Bundeshaushalt: „Völlig absurdes Vorgehen“ bei den Sozialversicherungen

26.6.2025 – Der Haushaltsentwurf 2025 von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil sieht Darlehen vor, um die angespannte Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung zu stabilisieren. Krankenkassen und Wohlfahrtsverbände halten die Maßnahmen für völlig unzureichend und fürchten historische Beitragssatzsteigerungen.

Nach dem „Sparminister“ Christian Lindner (FDP), der vehement an der Schuldenbremse festhielt, folgt nun der „Investitionsminister“, wie sich Lars Klingbeil (SPD) selbst nennt. Der neue Chef des Bundesministeriums der Finanzen hat am Dienstag den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2025 und die Eckwerte 2026 bis 2029 vorgestellt – und Rekordsummen genannt.

Lars Klingbeil (Bild: Photothek Media Lab)
Lars Klingbeil (Bild: Photothek Media Lab)

Demnach liegt der Gesamtetat im regulären Kernhaushalt bei 503 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Anstieg um 6,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Da den geplanten Ausgaben nur 421 Milliarden Euro an Einnahmen gegenüberstehen, schnellt die Neuverschuldung von 33,3 Milliarden auf 81,8 Milliarden Euro hoch – ohne die Sondervermögen.

Rekordinvestitionen von rund 116 Milliarden Euro

Zusammen mit 24,1 Milliarden Euro für das Sondervermögen „Bundeswehr“ sowie 37,2 Milliarden Euro für das neue Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ beträgt die Gesamtschuldenlast in diesem Jahr insgesamt sogar 143,1 Milliarden Euro.

Mit Rekordinvestitionen in Höhe von 115,7 Milliarden Euro, gespeist aus dem Kernhaushalt, dem Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ sowie dem Klima- und Transformationsfonds, sollen vor allem die Bereiche Mobilität, Digitalisierung, Innovation, Bildung und Forschung sowie Klimaschutz gefördert werden.

Darlehen zur Stabilisierung der Krankenkassen ...

Wie sieht es vor diesem Hintergrund mit der maroden Sozialversicherung aus? Laut einem Bericht der Frankfurter Rundschau hat Klingbeil für die Krankenkassen nur temporäre Darlehen statt der erhofften Zuschüsse eingeplant.

So sollen die Kassen 2025 und 2026 ein Darlehen von jeweils 2,3 Milliarden Euro erhalten. Die Pflegeversicherung soll in diesem Jahr ein Darlehen von 0,5 Milliarden Euro und im nächsten Jahr von 1,5 Milliarden Euro bekommen. „Versicherte müssen mit höheren Beiträgen rechnen“, heißt es in dem Beitrag, „denn die geplanten Darlehen decken nur einen Bruchteil des tatsächlichen Bedarfs“.

Bereits im vergangenen Jahr verzeichnete die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) laut dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ein Defizit von rund 6,2 Milliarden Euro (vorläufiges Ergebnis). Der durchschnittlich erhobene Zusatzbeitragssatz kletterte nach unterjährigen Anhebungen (8.8.2024, 6.11.2024) 0,12 Prozentpunkte über den für 2024 bekanntgegebenen Satz von 1,7 Prozent (2.11.2023).

Das BMG legte dann für Anfang dieses Jahres einen durchschnittlichen kassenindividuellen Zuschlag von deutlich gestiegenen 2,5 Prozent fest (11.11.2024). In der Folge erhöhten rund 88 Prozent der Kassen den Zusatzbeitrag zum Jahreswechsel (6.1.2025). Acht Körperschaften nahmen zwischen Februar und Mai unterjährige Anhebungen vor (19.5.2025).

... und der Pflegeversicherung

Auch in der sozialen Pflegeversicherung (SPV) muss immer wieder und immer stärker gegengesteuert werden. Ende vergangenen Jahres wendete die Politik die Zahlungsunfähigkeit der SPV in letzter Minute ab (20.12.2024). Diese drohte für Februar (7.10.2024). Der Beitragssatz wurde um 0,2 Prozentpunkte auf 3,6 Prozent angehoben.

Doch bereits wenige Wochen später musste eine Pflegekasse beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) Finanzhilfe beantragen (10.3.2025). Damit war klar, dass die Beitragserhöhung zum 1. Januar nicht ausreicht, um die Finanzierung der SPV-Ausgaben im Jahresverlauf zu gewährleisten.

Vor wenigen Tagen richtete nochmals der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) einen dringenden Appell an die Bundesregierung, Sofortmaßnahmen zu ergreifen (20.6.2025). Denn schon für das erste Quartal wurde ein Defizit von rund 90 Millionen Euro festgestellt. Für 2025 hatte man eigentlich mit minus 160 Millionen Euro gerechnet – insgesamt.

Zur Stabilisierung der Finanzen der SPV will Klingbeil nun ebenfalls das Instrument eines Darlehens nutzen. Der Ausgleichsfonds der SPV soll in diesem Jahr aus dem Bundeshaushalt ein überjähriges Darlehen in Höhe von 0,5 Milliarden Euro erhalten, weitere 1,5 Milliarden Euro im nächsten Jahr.

Gesundheitsetat sinkt im Bundeshaushalt

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte sich kürzlich alarmiert von der finanziellen Lage der Krankenkassen gezeigt und unter anderem weitere Steuermittel in Milliardenhöhe ins Gespräch gebracht. Die Kassenbeiträge, welche die Jobcenter für die Bürgergeldempfänger zahlen, reichen nicht zur Deckung ihrer Gesundheitskosten.

Nach Berechnungen der Krankenkassen müsste der Bund insgesamt rund zehn Milliarden Euro mehr überweisen. Dieses Problem sei „offensichtlich", sagte die Ministerin laut Focus online. Da gebe es eine Schieflage. Darüber werde man reden.

Doch nun schrumpft im neuen Bundeshaushalt der Gesundheitsetat sogar von 16,7 Milliarden Euro auf 16,4 Milliarden Euro. Entsprechend scharf reagieren Krankenkassen und Wohlfahrtsverbände.

Das sieht eher danach aus, als wolle man GKV und SPV in die Schulden treiben.

Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende AOK-Bundesverband

Keine Umsetzung der Ankündigungen von Ministerin Warken

Carola Reimann (Bild: AOK-Mediendienst)
Carola Reimann (Bild: AOK-Mediendienst)

„Dass Bund und Länder ihre Finanzverantwortung gegenüber der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Sozialen Pflegeversicherung nicht ausreichend wahrnehmen, hat erheblich zur aktuellen Finanzkrise von GKV und SPV beigetragen“, sagt Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes GbR.

Nach den jüngsten Äußerungen aus der schwarz-roten Koalition sei man davon ausgegangen, dass sich Berlin darüber im Klaren sei und das Ziel verfolge, den Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge endlich zu stoppen. „Was die Eckwerte zur mittelfristigen Haushaltsplanung nun aber offenbaren, ist enttäuschend und bleibt weit hinter unseren Erwartungen und den Ankündigungen von Ministerin Warken zurück.“

Die erhoffte nachhaltige Stabilisierung der Finanzen von GKV und SPV durch die kostendeckende Refinanzierung der Gesundheitsversorgung von Bürgergeldbeziehenden durch den Bund suche man in den Eckwerten vergeblich. Auch die vollständige Erstattung der vorgestreckten Corona-Kosten sei nicht berücksichtigt.

„Stattdessen wurden völlig unzureichende Teilbeträge auf Darlehensbasis eingestellt, und es wird auf mögliche Ergebnisse der Kommissionen verwiesen. Das sieht eher danach aus, als wolle man GKV und SPV in die Schulden treiben, statt die Beitragssätze nachhaltig zu stabilisieren“, kritisiert sie. Die geplanten Maßnahmen seien bei weitem zu wenig und ordnungspolitisch fragwürdig. „Aktuell klafft eine gewaltige Lücke zwischen Worten und Taten“, so Reimann.

Das Jahr 2025 wird als das Jahr mit den – vorläufig – höchsten Beitragssätzen in die Geschichte eingehen.

Anne-Kathrin Klemm, Vorständin BKK Dachverband

Keine Reserven mehr, um die Ausgabendynamik zu bremsen

Anne-Kathrin Klemm (BKK Dachverband)
Anne-Kathrin Klemm (BKK Dachverband)

Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbandes, sieht in dem Klingbeil-Entwurf eine herbe Enttäuschung für Gesundheit und Pflege. „Nach dem Geraune der letzten Wochen machte sich Hoffnung breit, dass sich die neue Bundesregierung nun ernsthaft der dramatischen Finanzsituation in der GKV und der SPV annimmt“, teilt sie mit.

„Doch daraus wird vorerst nichts! Anstatt die Sozialsysteme – und damit auch die Bürgerinnen und Bürger sowie Arbeitgeber – nachhaltig zu entlasten, wird geflickt und das Problem vertagt. Dabei wäre ein richtiger Boost auch hier ein klares Signal gewesen“, so Klemm. GKV und SPV hätten seit Jahren unfairerweise Milliarden für versicherungsfremde Leistungen gezahlt und die Kassen gleichzeitig ihre Reserven abbauen müssen. Jetzt sei nichts mehr da, um die Ausgabendynamik zu bremsen.

„Die Folge sind historische Beitragssatzsteigerungen. Nun sollen Darlehen des Bundes die Sache richten. Aber das wird vorne und hinten nicht reichen: Das Jahr 2025 wird als das Jahr mit den – vorläufig – höchsten Beitragssätzen in die Geschichte eingehen. Weitere Rekorde im Folgejahr sind bereits absehbar“, bemängelt sie.

Das Vorgehen werde vollends absurd, wenn man bedenke, dass das Geld zurückgezahlt werden muss. Es gebe bereits ein weiteres Darlehen von einer Milliarde Euro aus dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, das ebenfalls noch zurückgezahlt werden muss. Auch in der SPV sei zusätzlich ein altes Darlehen von 0,5 Milliarden Euro bis Ende 2028 zurückzuzahlen.

Darlehen sind keine nachhaltige Finanzierung und verschieben nur das Problem in die Zukunft.

Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende Verband der Ersatzkassen

Keine Lösungen für nachhaltige Stabilisierung

Ulrike Elsner (Bild: VDEK)
Ulrike Elsner (Bild: VDEK)

Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen e.V. (VDEK), fordert Nachbesserungen in den weiteren Haushaltsberatungen, um Beitragssteigerungen zu verhindern. Die von der Bundesregierung in Aussicht gestellten Darlehen seien allenfalls ein erster kleiner Schritt, um die angespannte Finanzsituation in der GKV und SPV kurzfristig abzumildern.

„Die Darlehen gleichen noch nicht einmal im Ansatz die Kosten für versicherungsfremde Leistungen aus. Sie bieten auch keine Lösungen für eine nachhaltige Stabilisierung der beiden Sozialversicherungszweige“, sagt sie. Essenziell sei die Übernahme aller versicherungsfremden Leistungen und der Aufwendungen für die Gesundheitskosten für Bürgergeldempfangende.

Auch in der SPV warte man auf längst fällige Entscheidungen, wie die einmalige Rückzahlung der Coronakosten von fünf Milliarden Euro und die dauerhafte Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige durch den Staat. „Darlehen sind keine nachhaltige Finanzierung und verschieben nur das Problem in die Zukunft“, moniert Elsner.

Die geplante Unterstützung durch zu niedrige Darlehen verstärkt den Eindruck einer bloßen Notlösung.

Verena Bentele, Präsidentin Sozialverband VdK Deutschland

Zögerliches Vorgehen bei den Sozialversicherungen

Verena Bentele (Bild: VdK/Marlene Gawrisch)
Verena Bentele (Bild: VdK/Marlene Gawrisch)

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland e.V., hält die finanzielle Lage der Sozialversicherungen für besorgniserregend.

„Viele Menschen befürchten jetzt steigende Beiträge, und das kann nicht das Mittel der Wahl sein.

Dem massiven Anstieg der Verteidigungsausgaben, den Rekordinvestitionen in die Infrastruktur und Steuerentlastungen für die Unternehmen steht ein zögerliches Vorgehen bei den Sozialversicherungen gegenüber“, kritisiert sie.

„Die geplante Unterstützung der Kranken- und Pflegeversicherung durch zu niedrige Darlehen anstelle von ausreichenden und verbindlichen Bundeszuschüssen verstärkt den Eindruck einer bloßen Notlösung.“

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