Gekippte Stornoklausel: Können Kunden auch rückwirkend Ansprüche geltend machen?

28.8.2025 – In einem Anerkenntnisurteil des OLG Stuttgart hat die SV Sparkassenversicherung zugesagt, künftig auf eine Stornoklausel zu verzichten, die Verbraucher benachteiligen könnte. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg weist aktuell darauf hin, dass auch Sparer zu viel gezahlte Stornogebühren zurückfordern können, wenn sie ihren Vertrag bereits vor dem Urteil vorzeitig beendet haben.

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Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e.V. berichtete Anfang des Monats von einem Anerkenntnisurteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. Juli 2025 (7 UKl 1/24), in dem sich die SV Sparkassenversicherung Lebensversicherung AG verpflichtete, auf eine Klausel zum Stornoabzug zu verzichten (VersicherungsJournal 8.8.2025).

Diese Klausel wandte der Versicherer nach eigenen Angaben in Verträgen der indexgebundenen Rentenversicherung „Index Garant“ zwischen 2008 und Mitte 2013 an. In späteren Verträgen, die nach diesem Zeitraum abgeschlossen wurden, war sie nicht mehr Vertragsbestandteil.

Wenn sich ein Kunde vorzeitig vom Vertrag trennte, behielt sich der Versicherer laut Klausel vor, pro Monat bis zum vereinbarten Rentenzahlungsbeginn 0,025 Prozent des Deckungskapitals als Stornoabzug zu berechnen – höchstens jedoch fünf Prozent. Zudem verlagerte die Klausel die Beweislast: Der Kunde musste nachweisen, dass der Abzug in dieser Höhe ungerechtfertigt war.

Wer eine Index-Garant-Police […] gekündigt hat, sollte jetzt prüfen lassen, ob er den Stornoabzug samt Zinsen zurückverlangen kann.

Niels Nauhauser

Verbraucherzentrale: Kunden können Geld zurückfordern

Niels Nauhauser (Bild: privat)
Niels Nauhauser (Bild: privat)

In einer Pressemeldung vom Mittwoch greift die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg das Thema erneut auf. Sie weist darauf hin, dass Betroffene, die den Vertrag bereits vor dem Anerkenntnisurteil gekündigt haben, aus ihrer Sicht „zu Unrecht einbehaltenes Geld“ zurückfordern können.

„Wer eine Index-Garant-Police zwischen 2008 und Mitte 2013 abgeschlossen und inzwischen gekündigt hat, sollte jetzt prüfen lassen, ob er den Stornoabzug samt Zinsen zurückverlangen kann“, sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

Im Pressetext wird zugleich deutlich, dass die Verbraucherzentrale indexgebundenen Rentenversicherungen sehr kritisch gegenübersteht. Sie schreibt:

„Indexgebundene Rentenversicherungen, sogenannte Indexpolicen, wurden in den letzten Jahren verstärkt als Altersvorsorge verkauft. Die Erträge hängen dabei von der Entwicklung eines bestimmten Index ab. Anders als kostengünstige Indexfonds oder ETFs sind diese Policen jedoch teuer, intransparent und nach Erfahrung der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg oft unrentabel.“

Kündigen Kunden, um anderweitig besser vorzusorgen?

Viele Versicherte kündigten ihre Verträge, „um anderweitig besser für das Alter vorzusorgen“, argumentieren die Verbraucherschützer weiter.

Das deckt sich mit früheren Positionen: In einem Ratgebertext, der erklärt, wie Kunden ihren Vertrag ohne Kündigung stilllegen können, schrieb die Verbraucherzentrale: „Unterm Strich sind Lebensversicherungen keine attraktive Form der Altersvorsorge wegen zu niedriger Garantiezinsen und zu hoher Kosten.“

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) hatte ähnliche Kritik in der Vergangenheit zurückgewiesen. Er wies darauf hin, dass bei direkten Investments in Fonds und ETFs das Langlebigkeitsrisiko nicht abgesichert sei und in Vergleichen der Anlageformen die Überschussbeteiligung oft nicht eingerechnet werde (29.8.2024).

Verbraucherschützer nennen Anlass für Klage

Im aktuellen Pressetext erläutert die Verbraucherzentrale, warum die beanstandete Klausel des Sparkassenversicherers aus ihrer Sicht unwirksam ist. Bisher war das unklar geblieben, da ein Anerkenntnisurteil üblicherweise ohne mündliche oder schriftliche Begründung auskommt. Die Ausführungen des OLG Stuttgart enthalten dazu keine Details.

„Bereits im Jahr 2012 hatte der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die Beweislast für die angemessene Höhe des vorgesehenen Abzugs beim Versicherer liegt. Erst in einem zweiten Schritt kann mittels einer Klausel dem Verbraucher die Beweislast auferlegt werden, dass in dem jeweiligen konkreten Einzelfall ein Abzug überhaupt nicht oder nur in geringerer Höhe angemessen ist“, schreibt sie nun.

Konkret geht es um ein BGH-Urteil vom 25. Juli 2012 (IV ZR 201/10). Weil die Klausel des Sparkassenversicherers den Anschein erwecke, die Verbraucher seien für eine unangemessene Höhe des pauschalisierten Aufwandsersatzes selbst beweispflichtig, habe man gegen die Klausel geklagt, berichtet die Verbraucherzentrale.

„Zwar erlaubt das Versicherungsvertragsgesetz grundsätzlich Abzüge bei Kündigung. Diese müssen aber vertraglich vereinbart, klar beziffert und angemessen sein. Zudem muss der Versicherer bereits bei Vertragsschluss transparent über die Höhe möglicher Abzüge informieren“, ergänzen die Verbraucherschützer.

Wir nehmen zur Kenntnis, dass sich die Bewertungskriterien für bestimmte Sachverhalte im Laufe der Zeit verändern können und dies auch Auswirkungen auf bereits lang bestehende Vertragsverhältnisse hat.

SV Sparkassenversicherung

SV Sparkassenversicherung will im Einzelfall prüfen

Die SV Sparkassenversicherung hatte bereits berichtet, dass sie künftig auf die Anwendung der Stornoklausel verzichten wird, wenn Versicherungsnehmer ihren Vertrag vorzeitig kündigen.

Ob der Versicherer auch rückwirkend geltend gemachte Ansprüche erstatten wird, hänge laut einem Sprecher stets vom Einzelfall ab – „insbesondere auch mit Blick auf eine mögliche Verjährung“.

Zum Vorgehen der Verbraucherzentrale, ehemalige Versicherte nun über mögliche Rückerstattungsansprüche zu informieren, äußert der Sprecher Verständnis:

„Das Anliegen der Verbraucherzentralen ist aus ihrer Perspektive nachvollziehbar. Wir nehmen zur Kenntnis, dass sich die Bewertungskriterien für bestimmte Sachverhalte im Laufe der Zeit verändern können und dies auch Auswirkungen auf bereits lang bestehende Vertragsverhältnisse hat.“

„Genau aus diesem Grund haben wir uns entschieden, die entsprechenden Klauseln für die betroffenen Verträge künftig nicht mehr anzuwenden“, ergänzt der Sprecher.

Frage der Verjährung steht im Raum

Doch könnten Ansprüche aus der unwirksamen Klausel bereits verjährt sein? Niels Nauhauser zeigt sich auf telefonische Nachfrage zurückhaltend.

Nach § 199 BGB verjähren Forderungen grundsätzlich nach drei Jahren – gerechnet ab dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Betroffene davon wusste oder wissen musste. Hier sei im Einzelfall zu prüfen, erklärt auch Nauhauser – etwa, wann ein Vertrag gekündigt oder Ansprüche geltend gemacht wurden.

Für den Beginn der Verjährungsfrist könnte entscheidend sein, welches Urteil die Gerichte zugrunde legen – das aktuelle Anerkenntnisurteil oder schon das BGH-Urteil von 2012, als solche Klauseln erstmals gerügt wurden.

Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg wolle nun genau beobachten, wie der Versicherer auf die Rückforderungen reagiere, kündigte Nauhauser an – ob er kulant sei oder den Verbrauchern zusätzliche Steine in den Weg lege. Sie behalte sich auch weitere rechtliche Schritte vor.

 
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