28.8.2025 – Ein Gericht in Mecklenburg-Vorpommern hat in einem Urteil zu einem Verkehrsunfall entschieden, dass eine geschnittene Kurve nicht zur Alleinhaftung führt. Es zeigt darin musterhaft auf, wie sich das jeweilige Teilverschulden wechselseitig aufheben kann. In dem verhandelten Streitfall war der Kläger so weit in den Kreuzungsbereich gefahren, dass er der Beklagten die Vorfahrt genommen hatte.
Wenn die Klärung der Schuldfrage nach einem Verkehrsunfall ergibt, dass beide Beteiligten gegen Verkehrsregeln verstoßen haben, haften sie jeweils anteilig für den Schaden. Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt ein Urteil des Landgerichts Stralsund vom 26. Juni 2025 (2 O 261/24).
Auf Schadensersatz geklagt hatte in dem Zivilverfahren ein Autofahrer, der einem von rechts kommenden Wagen Vorfahrt gewähren musste. Er rollte langsam auf die Kreuzung zu, blieb aber außerhalb der kreuzenden Fahrbahnhälfte, auf der eine Linksabbiegerin unterwegs war.
Als die vorfahrtberechtigte Frau nach links auf die Fahrspur neben dem wartenden Autofahrer einscheren wollte, stießen die Wagen zusammen. Konkret krachte die Abbiegerin mit der Fahrzeugfront in Höhe der mittleren Fahrzeugsäule in die Beifahrerseite des Klägers.
Dieses Schadensbild an den Autos widerlegt nach Angaben des Gerichts die Aussage der Beklagten, die „in einem weit ausholenden Bogen – äußerst rechts fahrend – abgebogen“ sei. Stattdessen habe sie „den Einmündungsbereich ganz erheblich geschnitten“, heißt es hierzu in dem Urteil.
Die entsprechende Feststellung eines erfahrenen Sachverständigen des Gerichts deckt sich nicht nur mit den Aussagen des Klägers und einer Zeugin. Auch die Positionen der Fahrzeuge nach dem Unfall und der aufschlussreiche Ort, an dem Splitter liegen blieben, sprächen gegen die Beklagte.
Laut Urteilsbegründung kommt deshalb ein Verstoß gegen § 2 StVO infrage. Dort heißt es im zweiten Absatz: „Es ist möglichst weit rechts zu fahren, nicht nur bei Gegenverkehr“. Zudem heißt es im ersten Absatz: „Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen, von zwei Fahrbahnen die rechte.“
Doch auch der andere Beteiligte habe die Straßenverkehrsordnung verletzt, argumentierte die Gegenseite und forderte, die Klage abzuweisen. Demnach sei von einer Alleinhaftung des Klägers auszugehen, weil dieser der Linksabbiegerin die Vorfahrt nach § 8 StVO genommen habe.
Dieser Argumentation der Verteidiger folgte das Gericht zum Teil und bestätigte, dass der Kläger das allgemeine Gebot „Rechts vor Links“ nicht umfänglich respektiert habe. Denn laut Zeugen und dem Sachverständigen befand sich der Kläger bei der Kollision nicht mehr vor, sondern auf der Kreuzung.
Damit habe der Kläger einen Vorfahrtsverstoß begangen, da „auf die gesamte Breite der Fahrbahn der bevorrechtigten Straße abzustellen ist“, begründen die Richter. Lediglich bei untergeordneten Straßen sei das Vorfahrtsrecht auf die Fahrbahnhälfte des Gegenverkehrs beschränkt.
Somit war der Verkehrsunfall für keine der beiden Seiten im Sinne des § 17 StVG „unabwendbar“, also auch für einen sogenannten Idealfahrer nicht zu vermeiden gewesen. Dies stellte der Sachverständige für keine der Streitparteien fest, betont das Gericht in seinem Urteil.
„Unter diesen Umständen war auf beiden Seiten die unstreitig gleichwertige Betriebsgefahr in die Quotenbildung einzustellen“, heißt es in dem Urteil. „Damit bleibt es im Ergebnis bei einer hälftigen Mithaftung beider Seiten.“
Denn das auch „Schnippeln“ genannte Schneiden des Kreuzungsbereichs spreche zwar typischerweise für eine Alleinhaftung des Abbiegers. Dieses gefährliche Manöver werde jedoch durch den Vorfahrtsverstoß des Klägers kompensiert, erklärt das Gericht die „wechselseitige Neutralisierung“ von Verstößen, die jeweils einzeln betrachtet zu einer Alleinhaftung führen würden.
Laut dem Gericht haften die Unfallbeteiligten für den reklamierten Sachschaden in Höhe von 13.660,50 Euro „fifty-fifty“. Daher werden die Fahrerin und ihr Haftpflichtversicherer als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger insgesamt 7.584,05 Euro plus Zinsen zu zahlen.
Wer haftet nach einem Unfall? Wie werden dabei Fahrfehler, Technikprobleme am Fahrzeug oder Drogenkonsum des Fahrers gewertet? Welche Parksünden können als Straftat gewertet werden? Wann können Richter von einem Fahrverbot absehen – und wann ist eine solche Ermessensentscheidung rechtlich ausgeschlossen? Diese und andere Fragen beantwortet das neueste Dossier des VersicherungsJournals. Es gibt unter anderem einen fundierten Überblick über relevante Urteile im Verkehrsrecht – von Tempoverstößen bis Fahrerassistenzsystemen. Anhand zahlreicher Praxisfälle zeigt die 54-seitige Publikation, wie Gerichte komplexe Unfallhergänge bewerten, welche Rechtsfolgen drohen und inwieweit Regelverstöße eine negative Auswirkung auf den Kfz-Versicherungsschutz haben können. Diverse weitere Themen rund um das Verkehrsrecht wie das Fahreignungsregister, häufige Verkehrsverstöße oder rechtliche Entwicklungen hinsichtlich von Fahrerassistenzsystemen werden verständlich aufbereitet. Weitere Informationen und eine Bestellmöglichkeit finden sich unter diesem Link. Die Publikation steht Premium-Abonnenten des VersicherungsJournals zur persönlichen Nutzung kostenlos zur Verfügung. |
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