27.8.2025 – Einem Pedelec-Fahrer, dem im Kreisverkehr die Vorfahrt genommen wurde, sprach das Landgericht Lübeck eine Teilschuld an der Entstehung des Unfalls zu. Der Grund: Er fuhr weit links auf dem nicht abgetrennten Radweg und war zudem recht schnell unterwegs.
Ein Autofahrer fuhr mit seinem Hyundai Ioniq in den Kreisverkehr in der Lübecker Ziegelstraße ein. Dort befand sich bereits ein Pedelec-Fahrer, der auf dem Fahrradschutzstreifen des Kreisverkehrs in die vorgeschriebene Richtung unterwegs war.
Als sich der Verkehr staute, musste der Autofahrer plötzlich bremsen. Sein Heck ragte dabei noch mindestens circa 30 Zentimeter in den Fahrradweg hinein. Der Pedelec-Fahrer kollidierte mit dem stehenden Auto. Er stürzte und der Hyundai wurde beschädigt.
Nach dem Unfall verklagte der Autofahrer den Radler auf Schadensersatz. Er behauptete, jener sei erst nach ihm in den Kreisverkehr eingefahren, da er ihn vorher nicht habe sehen können. Außerdem sei der Radler nach seinem Empfinden viel zu schnell und unvorsichtig gefahren. Seine Geschwindigkeit habe mindestens 25 Kilometer pro Stunde betragen.
Der Mann konnte vor Gericht zumindest einen Teilerfolg erzielen. Das Landgericht Lübeck bestätigte aber mit einem rechtskräftigen Urteil vom 13. Juni 2025 (9 O 146/24), dass er sich die Entstehung des Schadens zu 65 Prozent anrechnen lassen müsse.
Zulasten des Autofahrers berücksichtigte das Gericht die Gefährdungshaftung des Autos gemäß § 7 Absatz 1 StVG. Außerdem werteten die Richter sein Verhalten als Vorfahrtsverstoß nach § 8 Absatz 1a StVO, da er aufgrund der Verkehrssituation nicht einfach in den Kreisverkehr hätte einfahren dürfen.
„Ein Idealfahrer hätte eine Gefahrenbremsung seines Vorderfahrzeugs zumal in einem Kreisverkehr einkalkuliert und wäre daher nur dann in den Kreisverkehr gefahren, wenn er großzügigen Abstand zum Vorderfahrzeug gehabt hätte und jedenfalls vollständig im Kreisverkehr zum Stehen gekommen wäre, mithin mit dem Einfahren schlicht noch gewartet hätte“, führt das Gericht hierzu aus.
Zudem ergeben sich aus § 42 Absatz 2 StVO „hohe und umfassende Anforderungen an den Kraftfahrzeugfahrer zum Schutz des Radverkehrs, namentlich dass sowohl beim Überfahren des Schutzstreifens der Radverkehr nicht gefährdet werden darf als auch auf dem Schutzstreifen nicht gehalten werden darf“, erklärte das Gericht weiter. Beide Ge- und Verbote habe der Kläger mit seiner Fahrweise nicht vollständig eingehalten.
Doch auch der Radfahrer muss sich ein Fehlverhalten anrechnen lassen. Nach der Beweisaufnahme sah es das Gericht als erwiesen an, dass er gegen das Rechtsfahrgebot nach § 2 Absatz 2 StVO verstoßen hatte. Dies habe erheblich zum Entstehen der Kollision beigetragen.
Demnach muss auf Fahrbahnen grundsätzlich möglichst weit rechts gefahren werden – nicht nur bei Gegenverkehr, beim Überholen, an Kuppen, in Kurven oder bei eingeschränkter Sicht. Das Gericht stellte klar, dass das Rechtsfahrgebot auch für Radverkehrsschutzstreifen gilt, „da dieser nicht räumlich von der Fahrbahn abgetrennt ist, sondern ein markierter Teil der Fahrbahn ist.“
Hier wurde es dem Radfahrer zum Verhängnis, dass er am äußeren linken Rand des Schutzstreifens für den Radverkehr fuhr. Wäre er hingegen am rechten Rand gefahren, hätte er zur Überzeugung des Gerichts ohne Weiteres am Pkw des Unfallgegners vorbeifahren können.
Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass das Auto zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits seit einer Sekunde stand. Dies werteten die Richter zum Nachteil des Radfahrers. Die kurze Standzeit deute darauf hin, dass er sehr schnell unterwegs war. Demnach hätte er seine Geschwindigkeit im Kreisverkehr verringern und prüfen müssen, ob der Kfz-Fahrer ihn sieht – was der Radler jedoch nicht tat.
Das Gericht verurteilte den Radfahrer, an den Kläger 3.014,57 Euro Schadenersatz zuzüglich Zinsen zu zahlen. Außerdem muss er dem Autofahrer vorgerichtliche Anwaltskosten von 453,87 Euro ersetzen.
Dass auch das Fahren weit rechts im Kreisverkehr Gefahren birgt, zeigt das Beispiel der Schweiz. Dort ist es Radfahrern ausdrücklich erlaubt – und wird sogar empfohlen –, im Kreisverkehr möglichst mittig zu fahren.
„Hier bist du für Autos und Busse gut sichtbar und wirst kaum mehr übersehen. In der Mitte fährt es sich also deutlich besser als am rechten Rand des Kreisels“, schreibt die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva). Weites Rechtsfahren hingegen berge die Gefahr, sowohl von ein- als auch von ausfahrenden Pkw und Lkw übersehen zu werden.
Ähnliche Empfehlungen gibt es in Staaten wie Australien und den Niederlanden – auch dort wird die bessere Sichtbarkeit des Radfahrers als Argument für mittiges Fahren angeführt. In Deutschland wird genau dieses Verhalten negativ gewertet, wie das vorliegende Urteil zeigt.
Wer haftet nach einem Unfall? Wie werden dabei Fahrfehler, Technikprobleme am Fahrzeug oder Drogenkonsum des Fahrers gewertet? Welche Parksünden können als Straftat gewertet werden? Wann können Richter von einem Fahrverbot absehen – und wann ist eine solche Ermessensentscheidung rechtlich ausgeschlossen? Diese und andere Fragen beantwortet das neueste Dossier des VersicherungsJournals. Es gibt unter anderem einen fundierten Überblick über relevante Urteile im Verkehrsrecht – von Tempoverstößen bis Fahrerassistenzsystemen. Anhand zahlreicher Praxisfälle zeigt die 54-seitige Publikation, wie Gerichte komplexe Unfallhergänge bewerten, welche Rechtsfolgen drohen und inwieweit Regelverstöße eine negative Auswirkung auf den Kfz-Versicherungsschutz haben können. Diverse weitere Themen rund um das Verkehrsrecht wie das Fahreignungsregister, häufige Verkehrsverstöße oder rechtliche Entwicklungen hinsichtlich von Fahrerassistenzsystemen werden verständlich aufbereitet. Weitere Informationen und eine Bestellmöglichkeit finden sich unter diesem Link. Die Publikation steht Premium-Abonnenten des VersicherungsJournals zur persönlichen Nutzung kostenlos zur Verfügung. |
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