Erst bei Gelb über die Ampel und dann einen Unfall mitverursacht?

29.7.2025 – Es fehlt an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen einem unterstellten Gelblichtverstoß an einer Fußgängerbedarfsampel und der Kollision an einer mindestens 20 Meter dahinter liegenden Kreuzung. Dies hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht kürzlich klargestellt. Zudem muss es dem Verkehrsteilnehmer bei Gelblicht möglich sein, ohne Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs noch bis zur Haltelinie anzuhalten. Anderenfalls darf er über die Haltelinie hinweg in den Kreuzungsbereich einfahren.

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Eine Verkehrsteilnehmerin war mit ihrem Vespa-Roller auf einer Bundesstraße unterwegs. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 70 Kilometer pro Stunde.

Sie passierte „gerade noch bei Gelblicht“ eine Fußgängerbedarfsampel, als rund 20 bis 25 Meter dahinter ein Autofahrer auf die Straße einbog und ihr die Vorfahrt nahm. Sie prallte seitlich in das Fahrzeug und zog sich dabei schwere Verletzungen zu.

Fahrer, Halter und Kfz-Versicherer verurteilt

Das Landgericht Lübeck (15 O 20/22) verurteilte den Fahrer des Pkw und dessen Halter sowie den Kfz-Versicherer als Gesamtschuldner, ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 Euro an die Rollerfahrerin zu zahlen. Zudem sollten sie für materielle Schäden in Höhe von 3.653,33 Euro nebst Zinsen aufkommen.

Außerdem stellte das Gericht fest, dass die Genannten verpflichtet sind, jedweden weiteren immateriellen Schaden, der sich aus dem Verkehrsunfall ergibt, zu 100 Prozent zu ersetzen.

Rollerfahrerin war unstreitig vorfahrtsberechtigt

Dagegen legten die Verurteilten Berufung ein. Diese wurde jedoch vom Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht (7 U 10/25) abgelehnt.

Die erste Instanz sei zu Recht im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagten zu 100 Prozent für den Schaden einzustehen haben, heißt es im Urteil.

Der Pkw-Fahrer habe zweifellos die ihn treffende Wartepflicht gegenüber der vorfahrtsberechtigten Klägerin verletzt und hierdurch den Unfall verursacht. Dieser Anschein sei nicht erschüttert worden.

Es fehle an einem Zurechnungszusammenhang zwischen einem – unterstellten – „Gelblichtverstoß“ an der Fußgängerbedarfsampel und dem Unfall an der nachfolgenden Kreuzung. Die besagte Ampel diene dem Schutz des querenden Fußgängerverkehrs und nicht dem Schutz des weit hinter der Signalanlage befindlichen Kreuzungsverkehrs.

Eine Vollbremsung könnte zur Gefährdung nachfolgenden Verkehrs führen.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht

Verkehrszeichen sind Allgemeinverfügungen

„Außerdem sind Verkehrszeichen, die ein Gebot oder Verbot wie das Gelblicht enthalten, Allgemeinverfügungen, die regeln, dass der Adressat [...] zwar grundsätzlich bei Gelb vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen warten soll“, heißt es im Text.

Das bringe jedoch oft die Schwierigkeit mit sich, dass der Verkehrsteilnehmer bei Gelblicht nicht mehr ohne die Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs bis zur Haltelinie anhalten könne.

„Eine Vollbremsung – insbesondere eines einspurigen Motorrollers – könnte zur Gefährdung nachfolgenden Verkehrs führen, so dass zumindest in der ersten Gelbphase die Abwägung dafür spricht, dass er nicht zu einer Vollbremsung verpflichtet ist“, so das Gericht.

Könne dem Verkehrsteilnehmer bei Beachtung dieser Grundsätze nicht gelingen, vor der Haltelinie bei Gelb anzuhalten, dürfe er über die Haltelinie hinweg in den Kreuzungsbereich einfahren.

Es bestehe deshalb auch ein Feststellungsinteresse für weitere immaterielle Schäden.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht

Dauerfolgen und Beeinträchtigungen nicht ausgeschlossen

Die Höhe des Schmerzensgeldes sei angesichts der schweren und zum Teil dauerhaften Verletzungen der noch verhältnismäßig jungen Klägerin nicht zu beanstanden.

Die Rollerfahrerin hat einen beidseitigen Kieferbruch, eine Halswirbelfraktur, eine Fraktur des linken Schlüsselbeins, einen mehrfachen Bruch des Oberschenkelknochens, einen Trümmerbruch des großen linken Zehs sowie Schürfwunden am Knie erlitten. Sie musste sich mehreren Operationen und Folgeoperationen unterziehen.

Zudem trägt sie sichtbare Folgen davon, darunter eine 15 Zentimeter lange Narbe im Dekolleté-Bereich, eine fünf Zentimeter lange Narbe am Oberschenkel und Narben am Knie. Der große Zeh am linken Fuß musste versteift werden.

Angesichts der schweren Verletzungen seien mögliche Dauerfolgen und weitere Beeinträchtigungen derzeit noch nicht abzuschätzen, so die Richter. Es bestehe deshalb auch ein Feststellungsinteresse für weitere immaterielle Schäden.

Lesetipp: „Unfälle und Regelverstöße: Wie Richter über Verkehrssünder urteilen“
Cover Dossier (Bild: VersicherungsJournal)

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Pkw · Schmerzensgeld · Zinsen
 
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