21.7.2025 – Bei zahlreichen Unfällen muss die Schuldfrage vor Gericht geklärt werden. Häufig wird hier entschieden, dass nicht nur ein Unfallbeteiligter als Unfallverursacher gilt, und es kommt zu einer entsprechenden Haftungsaufteilung.
Es gibt Unfälle, bei denen zwei oder auch mehrere Verkehrsteilnehmer eine Mit- beziehungsweise Teilschuld (§ 254 BGB) am Unfall haben. Und sogar, wenn kein direktes Verschulden eines unfallbeteiligten Kfz-Fahrers vorliegt, kann er aufgrund der Betriebsgefahr, die von seinem Kfz ausgeht – die sogenannte Gefährdungshaftung gemäß § 7 StVG –, für den entstandenen Unfallschaden bei Dritten zur Haftung herangezogen werden.
Das belegt ein Urteil (12 O 270/21) vom 14. Juni 2022 des Landgerichts Stuttgart. Im genannten Fall wurde auf einer Autobahn ein Pkw von einem etwa zehn bis 15 Zentimeter großen Metallteil getroffen, das von einem vorausfahrenden Fahrzeug abgefallen war oder aufgewirbelt wurde. Dabei wurde der Pkw erheblich beschädigt. Beide Kfz-Fahrer verhielten sich regelkonform.
Der Kfz-Halter des vorausfahrenden Fahrzeugs muss sich dennoch die von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr anrechnen lassen und den eingetretenen Schaden am Pkw gemäß §§ 7 Absatz 1 und 17 Absatz 1 StVG in voller Höhe tragen. Denn die Betriebsgefahr des nachfolgenden Autos kommt nicht zum Tragen, da der Schaden für dessen Fahrer unvermeidbar war (VersicherungsJournal 12.12.2020).
Auffahrunfälle sind keine Seltenheit. Hin und wieder ereignet sich aber auch ein Unfall, weil ein Kfz-Fahrer rückwärtsfährt, ohne zu prüfen, ob hinter ihm frei ist. Das Schadensbild beider Unfallarten ähnelt sich stark, so dass nicht immer festzustellen ist, wer den Unfall verursacht hat.
Beschuldigen sich beide Unfallbeteiligte, dass der andere aufgefahren ist, kann es sein, dass auch beide jeweils zur Hälfte für den Schaden des anderen haften müssen, wie ein Gerichtsurteil des Amtsgerichts Essen (29 C 152/22) vom 21. Juli 2023 belegt (8.11.2023).
In einem weiteren Gerichtsstreit ging es darum, wer die Hauptschuld am Unfall hat, wenn ein Kfz-Fahrer auf einer Landstraße grundlos stark abbremst und der nachfolgende Verkehrsteilnehmer deswegen auffährt. Das LG Saarbrücken entschied in einem Urteil (13 S 69/19) vom 4. Oktober 2019: Leitet ein Kfz-Fahrer ohne ersichtlichen Grund eine Vollbremsung ein und kommt es dadurch zu einem Auffahrunfall, trägt er dafür eine Mitschuld von 50 Prozent (22.6.2020).
Missachtet ein Autofahrer beim Abbiegen auf ein Grundstück die Vorfahrt eines Motorradfahrers und es kommt zur Kollision, trägt der Abbiegende das überwiegende Verschulden – selbst wenn der Motorradfahrer erheblich zu schnell war. Das entschied das Landgericht Hamburg am 14. September 2018 (306 O 15/18).
Der Motorradfahrer hatte die am Unfallort zulässige Höchstgeschwindigkeit um 40 Prozent überschritten. Er erhielt laut Urteil deswegen eine Teilschuld in Höhe von 30 Prozent. 70 Prozent des Schadens muss hingegen der Pkw-Fahrer tragen (5.6.2019).
In einem anderen Gerichtsfall hatte das Gericht zu entscheiden, wer für den Unfall verantwortlich ist, wenn zwei Autofahrer an einer zweispurigen Straße, auf der eine Fahrbahnseite wegen parkender Fahrzeuge verengt ist, kollidieren. Ein Mann fuhr mit seinem Pkw auf der freien Straßenseite, als ihm eine Frau mit ihrem Auto entgegenkam. Sie hatte eine Ausweichlücke passiert, ohne dem Mann Vorrang zu gewähren. Dabei kam es zum Zusammenstoß.
Laut Gerichtsentscheid (10 O 85/20) vom 3. Februar 2023 des Landgerichts Duisburg muss sich ein wartepflichtiger Kfz-Fahrer beim Vorbeifahren an parkenden Fahrzeugen besonders vorsichtig verhalten. Dabei hat er zu gewährleisten, dass er entgegenkommende Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet oder behindert.
Doch auch der Vorfahrtsberechtigte hätte trotz seines Vorrangs die Geschwindigkeit reduzieren und weiter rechts fahren können, um eine Kollision zu verhindern. Dem Vorfahrtsberechtigten trifft laut Urteil daher eine Mitschuld von einem Drittel, der Wartepflichtige muss zwei Drittel des Unfallschadens tragen (16.3.2023).
In einem anderen Fall kollidierten bei Dunkelheit ein Motorradfahrer, der mit seinem Bike auf einer vorfahrtsberechtigten Straße unterwegs war, und ein Autofahrer, der mit seinem Pkw von einer Seitenstraße in die Straße einbiegen wollte und eigentlich wartepflichtig war.
Hier sei eine Haftungsverteilung zu je 50 Prozent je Unfallbeteiligten angemessen. Denn das Motorrad war schlecht zu erkennen gewesen, weil sein Fahrer ein Wheelie durchgeführt hatte. So entschied das Oberlandesgericht Hamm (11 U 38/22) (3.2.2023).
Der obige Text ist ein Auszug aus einem Dossier des VersicherungsJournals. Wer haftet nach einem Unfall? Wie werden dabei Fahrfehler, Technikprobleme am Fahrzeug oder Drogenkonsum des Fahrers gewertet? Welche Parksünden können als Straftat gewertet werden? Wann können Richter von einem Fahrverbot absehen – und wann ist eine solche Ermessensentscheidung rechtlich ausgeschlossen? Diese und andere Fragen beantwortet das neueste Dossier des VersicherungsJournals. Es gibt unter anderem einen fundierten Überblick über relevante Urteile im Verkehrsrecht – von Tempoverstößen bis Fahrerassistenzsystemen. Anhand zahlreicher Praxisfälle zeigt die 54-seitige Publikation, wie Gerichte komplexe Unfallhergänge bewerten, welche Rechtsfolgen drohen und inwieweit Regelverstöße eine negative Auswirkung auf den Kfz-Versicherungsschutz haben können. Diverse weitere Themen rund um das Verkehrsrecht wie das Fahreignungsregister, häufige Verkehrsverstöße oder rechtliche Entwicklungen hinsichtlich von Fahrerassistenzsystemen werden verständlich aufbereitet. Weitere Informationen und eine Bestellmöglichkeit finden sich unter diesem Link. Die Publikation steht Premium-Abonnenten des VersicherungsJournals zur persönlichen Nutzung kostenlos zur Verfügung. |
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