Arbeitsunfähig nach Tätowierung: Muss der Arbeitgeber Lohn zahlen?

8.7.2025 – Kommt es nach einer Tätowierung zu Komplikationen wie einer Entzündung und daraus resultierender Arbeitsunfähigkeit, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein trifft den Arbeitnehmer in diesem Fall ein Verschulden am Ausfall im Job – er habe die gesundheitlichen Risiken bewusst in Kauf genommen.

Die Mitarbeiterin eines Pflegedienstes ließ sich im Dezember 2023 am Unterarm tätowieren. Doch die Stelle entzündete sich und schmerzte, so dass die Frau für mehrere Tage ihre schwere körperliche Tätigkeit nicht ausüben konnte. Auch war sie auf die Einnahme von Antibiotika angewiesen. Infolge der Komplikationen war sie insgesamt vier Tage krankgeschrieben.

Der Pflegedienst bezahlte ihr daraufhin für den Monat Dezember ein reduziertes Monatsgehalt, das 465,90 Euro brutto unter ihren gewohnten Bezügen lag. Als Grund für den niedrigeren Lohn wurde „Unbezahlte Freizeit (unentschuldigtes Fehlen/Arbeitsbummelei)“ angegeben. Die Frau war damit nicht einverstanden und forderte mit Frist bis Mitte Februar 2024 die Zahlung des übrigen Lohns.

Nachdem die Frist verstrichen war, erhob die Frau mit Hilfe ihrer Gewerkschaft Zahlungsklage gegen den Pflegedienst. Dabei machte sie nicht das Entgelt für den Zeitraum des Tätowiervorgangs geltend, sondern für die darauffolgende Zeit, in der ihre Haut sich entzündet hatte.

Dabei argumentierte die Frau, dass sie kein Verschulden im Sinne von § 3 Absatz 1 EntgFG treffe. Mit der Entzündung habe sich ein sehr geringes Risiko verwirklicht, das nur in ein bis fünf Prozent der Tätowierungen auftrete. Es handle sich um eine unübliche Folgeerkrankung, mit der die Frau nicht habe rechnen müssen.

Tätowierung als „Verschulden gegen sich selbst“ gewertet

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein wies mit Urteil vom 22. Mai 2025 (5 Sa 284 a/24) die Klage ab und bestätigte damit das Urteil der Vorinstanz. Demnach hat die Frau kein Anrecht darauf, dass ihr der Arbeitgeber ein Entgelt für die Krankheitstage zahlt.

Zwar hatte die Frau eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt, der grundsätzlich ein hoher Beweiswert für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit zukomme, so betonte die zuständige 5. Kammer in ihrer Urteilsbegründung.

Dieser Beweiswert werde auch nicht dadurch erschüttert, dass § 3 Absatz 2 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie bei kosmetischen Eingriffen ohne medizinische Notwendigkeit keine Arbeitsunfähigkeit anerkennt. Denn die Klägerin fordere nicht Entgeltfortzahlung für den Zeitraum der Tätowierung selbst, sondern für die zeitlich davon getrennte Phase, in der sich die Haut entzündet hatte.

Dennoch wertete das Gericht ihr Verhalten als sogenanntes „Verschulden gegen sich selbst“. Im Entgeltfortzahlungsrecht liegt ein solches Verschulden vor, wenn Beschäftigte in erheblichem Maße gegen ihr eigenes gesundheitliches Interesse handeln – also sich so verhalten, wie es ein verständiger Mensch in vergleichbarer Lage im eigenen Interesse unterlassen hätte, um eine Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden.

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Pflegerin führte Hautverletzung vorsätzlich herbei

Nach diesen Grundsätzen hat die Pflegerin die Erkrankung, die zu ihrer Arbeitsunfähigkeit führte – nämlich die durch eine bakterielle Infektion verursachte Hautentzündung – selbst schuldhaft herbeigeführt, betonte das Gericht.

Die Klägerin sei zunächst davon ausgegangen, dass die Tätowierung „normale“ Folgen wie Schmerzen beim Einstich sowie Hautverletzung und Rötung mit sich bringe – und habe diese als notwendige Begleiterscheinungen bewusst in Kauf genommen. Nach Ansicht des Gerichts handelte sie damit mit direktem Vorsatz und setzte sich einer Hautverletzung aus.

Demnach hätte die Frau mit Komplikationen rechnen müssen. Immerhin habe sie selbst eingeräumt, dass in bis zu fünf Prozent der Fälle entzündliche Reaktionen auftreten können. Nach Einschätzung des Gerichts handle es sich damit nicht mehr um eine fernliegende Möglichkeit, sondern um ein durchaus vorhersehbares Risiko.

Hinzu komme, dass die Klägerin als Pflegehilfskraft einen körperlich fordernden Beruf mit engem Patientenkontakt ausübe – was das Risiko im konkreten Fall noch erhöht habe. Die Klägerin möge gehofft haben, dass diese Komplikation ausbleibt. Das genüge jedoch nicht, um einen bedingten Vorsatz auch hinsichtlich der Komplikation auszuschließen.

Pflicht des Arbeitnehmers, seine Gesundheit zu erhalten

Der Gesetzgeber verfolge mit § 3 EntgFG den Zweck, den Arbeitnehmer bei unverschuldeter krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit finanziell abzusichern, so führte das Gericht weiter aus. Damit korrespondiere die Verpflichtung des Arbeitnehmers, seine Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden.

Gegen diese Obliegenheit habe die Pflegerin verstoßen. Dass ihr nun kein Entgelt für die Fehltage gezahlt werde, sei auch im Einklang mit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 7. Oktober 1981 (5 AZR 338/79), bei dem es um gefährliche Sportarten ging. So habe das Bundesarbeitsgericht hervorgehoben:

„Wer sich unbeherrschbaren Gefahren und damit einem besonders hohen Verletzungsrisiko aussetzt, handelt leichtsinnig und unvernünftig und damit schuldhaft im Sinne der Lohnfortzahlungsbestimmungen“. Das Urteil des LAG ist rechtskräftig, eine Revision wurde nicht zugelassen.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Arbeitsunfähigkeit · Bundesarbeitsgericht · Gesundheitsreform · Lohnfortzahlung
 
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