18.12.2025 – Junge Zielgruppen haben keinen emotionalen Zugang zu Versicherungsordnern, aber sehr wohl zu Systemen, die in Sekunden ihr Leben verbessern oder vereinfachen. Diese Kundengeneration verlangt keine Unterlagen, sondern Content. Versicherer, die es schaffen, Kurzvideos, Memes und KI intelligent zu kombinieren, werden in den kommenden Jahren nicht nur Kunden gewinnen, sondern kulturelle Relevanz. Ein Gastbeitrag von Dr. Robin Kiera.
Junge Kunden haben das Verhältnis zur Versicherungswelt neu programmiert – und sie haben dabei den Versicherungsordner endgültig abgeschafft. Für Menschen unter 30 ist das Leben ein Mix aus Tiktok-Snippets, Instagram-Reels, Meme-Referenzen und Antworten von ChatGPT.

Sie organisieren ihr Wissen, ihre Entscheidungen und ihren Alltag nicht mehr über PDF-Broschüren oder Beratungsunterlagen, sondern über Content, der sofort funktioniert. Klar, visuell, humorvoll und innerhalb weniger Sekunden verständlich.
Während große Teile der Versicherungsbranche noch damit beschäftigt sind, ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu aktualisieren, hat die neue Generation längst entschieden, wie sie Informationen konsumiert – und wie nicht.
Wer versteht, wie junge Kunden ticken, merkt schnell, dass drei Entwicklungen alles verändern. Erstens sind Gen Z und Gen Alpha mit über 2,6 Milliarden Menschen weltweit und mehr als 13,6 Millionen in Deutschland die größte Mediengeneration der Geschichte.
Ihre Kaufkraft liegt bei über 135 Milliarden Euro und ihr Einfluss auf Markenreputation und Kommunikationskultur ist enorm.
Zweitens ist ihre Aufmerksamkeitsspanne härter umkämpft als je zuvor: Binnen 0,4 bis maximal 1,2 Sekunden entscheiden sie, ob ein Inhalt bleibt oder weggewischt wird.
Und drittens verwenden sie gänzlich neue Informationsquellen. Für die meisten unter 30 sind Reels, Memes und ChatGPT längst wichtiger als Suchmaschinen oder klassische Werbetexte. 92 Prozent schauen täglich Kurzvideos, 67 Prozent informieren sich über Memes und 58 Prozent nutzen regelmäßig KI-Assistenten für Entscheidungen.
Versicherer befinden sich nicht in einem Kommunikationswettbewerb mit Content Creators, Meme-Seiten und KI-generierten Inhalten.
Die Schlussfolgerung ist eindeutig: Versicherer befinden sich nicht in einem Kommunikationswettbewerb mit anderen Versicherern – sondern mit Content Creators, Meme-Seiten und KI-generierten Inhalten.
Wie also erreicht die Branche diese Zielgruppe? Durch drei strategische Antworten: Kurzvideos, Memes und LLM-basierte Beratung. Und zwar nicht als Add-ons, sondern als Kernbestandteile moderner Kommunikation.
Kurzvideos sind die neue Standardform der Informationsaufnahme und damit der neue Versicherungsordner. Kein Format vermittelt schneller Nutzen, Emotion und Relevanz.
Unternehmen wie die Lern-Plattform Duolingo, Inc. machen es vor. Ihr Maskottchen, die schräge grüne Eule, ist auf Tiktok längst eine Ikone: über acht Millionen Follower, Millionen tägliche Views und eine Kommunikationsstrategie, die ausschließlich darauf setzt, in kürzesten Clips maximale Persönlichkeit zu zeigen.
Das ist deshalb so erfolgreich, weil Duolingo nicht versucht, Lerninhalte trocken zu erklären – sondern eine Figur geschaffen hat, die unterhält, überrascht und in Sekundenbruchteilen markanten Wiedererkennungswert erzeugt. Die Botschaft für Versicherer ist klar: Man braucht keinen komplexen Produktfilm, sondern Charaktere, Szenen und Emotionen, die sofort Klick machen.
Humor, Ehrlichkeit und Persönlichkeit schlagen immer Formalität.
Ein zweites eindrucksvolles Beispiel ist die irische Fluggesellschaft Ryanair. Der Billigflieger hat eine Kunst daraus gemacht, mit humorvollen Tiktok-Filtern das eigene Flugzeug „sprechen“ zu lassen. Die Videos sind technisch simpel, aber emotional brillant: Sie verzichten auf perfekte Ästhetik und setzen stattdessen auf freche Selbstironie und unmittelbare Nähe zur Zielgruppe.
Genau diese Dreistigkeit, gepaart mit transparentem Augenzwinkern, macht Ryanair zu einem der viralen Superstars einer eigentlich unbeliebten Branche. Die Lehre daraus: Humor, Ehrlichkeit und Persönlichkeit schlagen immer Formalität – insbesondere bei jungen Zielgruppen, die sofort merken, wenn ein Unternehmen sich verstellt.
Eines ist aber auch klar: Bei beiden sind keine Praktikanten oder Junior-Angestellten, sondern Profis mit signifikanten Budgets am Werk.
Humor kann negative Markterfahrungen in Nähe umwandeln.
Die zweite große Antwort lautet Memes. Sie sind die visuelle Muttersprache der neuen Generation – sofort verständlich, hochgradig emotional und maximal teilbar. Wer sie beherrscht, gewinnt kulturelle Relevanz. Wer sie ignoriert, verliert sie.
Die Deutsche Bahn hat vorgemacht, wie man als Marke mit enormem Kritikpotenzial Meme-Kommunikation erfolgreich einsetzt. Ihre Kampagne, in der sie sich selbstironisch über Verspätungen lustig macht, ist ein Paradebeispiel dafür, wie Humor negative Markterfahrungen in Nähe umwandeln kann.
Das funktioniert deshalb so gut, weil die Bahn nicht versucht, Probleme zu verstecken – sondern offen anerkennt, wie die Realität für viele Pendler aussieht. Die Selbstironie wirkt entwaffnend und menschlich. Dass die Bahn dafür Millionen in die Entwicklung weniger Meme-Assets investiert hat, zeigt, dass professionelles Meme-Marketing alles andere als ein „Nebenprojekt“ ist – sondern eine hochstrategische Disziplin.
Mit einem 99-Euro-Abo für das neueste KI-Tool bekommt man keine epische Selbstironie mit Millionenreichweite.
Ein weiteres ikonisches Beispiel ist Sixt. Die Autovermietung ist berühmt dafür, innerhalb weniger Minuten auf politische Ereignisse, Promi-Pannen oder gesellschaftliche Trends zu reagieren. Oft sind die Memes so scharf, dass Sixt dafür Abmahnungen und Strafen kassiert.
Doch das gehört zum Geschäftsmodell. Sixt weiß: Die Reichweite und Markenstärke, die ein viraler Moment erzeugt, sind wertvoller als jede juristische Auseinandersetzung. Meme-Marketing ist hier eine Hochrisiko-Hochrendite-Strategie – und funktioniert, weil Sixt schneller, mutiger und humorvoller ist als die Konkurrenz.
Eines muss aber jedem klar sein. Während Sixt regelmäßig verklagt wird und seine Rechtsabteilung gut beschäftigt sein dürfte, investiert die Bahn Millionen in ihre Selbstironie. Mit einem 99-Euro-Abo für das neueste KI-Tool bekommt man weder virale Sixt-Kommunikation noch epische Selbstironie mit Millionenreichweite.
Junge Menschen erwarten unmittelbare, personalisierte und klare Erklärungen.
Die dritte Antwort auf das veränderte Kundenverhalten sind LLMs – also KI-basierte Sprachmodelle, die Beratung und Informationsaufnahme komplett neu definieren. Junge Menschen erwarten keine PDFs, keine Anträge und erst recht keine Fachsprache. Sie wollen unmittelbare, personalisierte und klare Erklärungen – und zwar jetzt, nicht später. KI kann diese Erwartung präziser erfüllen als jedes traditionelle Dokument.
Der schwedische Zahlungsdienstleister Klarna zeigt eindrucksvoll, wie das funktioniert: Mehr als zwei Drittel des Kundenservice laufen dort bereits über KI. Nutzer erhalten in Sekunden Antworten, die präzise, freundlich, kontextualisiert und verständlich sind. Die Geschwindigkeit und Qualität setzen Maßstäbe – und erzeugen Vertrauen, weil die KI nicht müde wird, nicht genervt ist und nie unklar formuliert.
Airbnb wiederum nutzt LLMs für personalisierte Vorschläge. Statt statischer Filter erzeugt die Plattform dynamische Empfehlungen, die auf Verhalten, Wünschen und Sprache basieren. Die Nutzer erleben dadurch etwas, das Versicherungen bitter fehlt: das Gefühl, dass das Produkt wirklich zu ihnen passt und sie verstanden werden.
Die nächste Kundengeneration verlangt keine Unterlagen, sondern Content.
Für Versicherer ergibt sich daraus eine einfache Wahrheit: Junge Kunden haben keinen emotionalen Zugang zu Versicherungsordnern, aber sehr wohl zu Systemen, die in Sekunden ihr Leben verbessern oder vereinfachen. Wenn ein LLM ihnen in 30 Sekunden erklärt, was eine Berufsunfähigkeitsversicherung macht, welche Risiken für sie wirklich relevant sind und was eine gute Police ausmacht, entsteht ein „Magic Moment“ – nicht beim Abschluss, sondern beim Verstehen.
Am Ende steht eine klare Botschaft: Die nächste Kundengeneration verlangt keine Unterlagen, sondern Content. Sie will keine Formalität, sondern Verständlichkeit. Keine Produkte, sondern Stories. Und keine Komplexität, sondern Klarheit.
Versicherer, die es schaffen, Kurzvideos, Memes und KI intelligent zu kombinieren, werden in den kommenden Jahren nicht nur Kunden gewinnen, sondern kulturelle Relevanz. Alle anderen werden PDFs produzieren, die weiter niemand öffnet.
Wenn Sie junge Kunden erreichen wollen, müssen Sie nicht lauter werden – sondern zeitgemäßer. Und das beginnt damit, die Sprache der Generation zu sprechen, deren Aufmerksamkeit heute die wertvollste Ressource der Branche ist.
Der Autor war als Versicherungsvermittler und Projektleiter in der Versicherungs- und Finanzwirtschaft tätig. Jetzt ist der Digitalexperte CEO der Marketingagentur Digitalscouting in Hamburg.
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