Wann muss der private Krankenversicherer eine Cannabis-Schmerztherapie erstatten?

4.12.2025 – Die Behandlung mit Cannabis kann medizinisch notwendig sein, wenn andere Behandlungsmethoden nicht zum Erfolg geführt haben oder zu starken Nebenwirkungen führen. Bedingung ist eine gute Dokumentation und Begründung der Therapie durch die behandelnden Ärzte. Das hat das Landgericht Hamburg mit einem nicht rechtskräftigen Urteil bestätigt.

Ein Polizeibeamter ist privat krankenversichert. Nach einem Dienstunfall im Jahr 2007 erlitt er eine Schulterverletzung, bei der das Gelenk ausgerenkt wurde. Eine Operation war notwendig, doch die Schmerzen hielten an und führten schließlich dazu, dass er sich in die Behandlung eines Psychiaters begab.

Therapie mit Unterstützung von Cannabispräparaten

Zwischen 2013 und 2020 befand sich der Polizist wiederholt in ambulanter und stationärer psychiatrischer Behandlung. Zunächst begann er, Cannabispräparate auf eigene Initiative einzunehmen. Später erfolgte die Einnahme unter Aufsicht seines Hausarztes, eines Orthopäden sowie weiterer behandelnder Ärzte.

2019 beantragte der Mann schriftlich bei seinem Krankenversicherer die anteilige Kostenübernahme für die Cannabistherapie und legte die entsprechenden Rezepte vor. Nach den Versicherungsbedingungen wäre der Versicherer zu einer Erstattung von 30 Prozent der Kosten verpflichtet gewesen, während die übrigen 70 Prozent über die Beihilfe abgedeckt waren.

Krankenversicherer zweifelt an medizinischer Notwendigkeit

Der Versicherer lehnte die Kostenübernahme jedoch ab, nachdem er eine fachärztliche Stellungnahme eingeholt hatte. Begründet wurde dies damit, dass laut Gutachten keine tragfähige medizinische Indikation für die Behandlung mit Cannabispräparaten erkennbar sei.

Nachdem der Mann den Versicherer verklagt hatte, holte dieser eine weitere fachärztliche Stellungnahme ein – blieb jedoch bei seiner ablehnenden Haltung. Allerdings einigten sich die Parteien später im Rahmen eines Vergleichs darauf, dass die Versicherung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens 15 Prozent der Kosten übernimmt.

Die Beihilfestelle des Klägers hatte in der Zwischenzeit die Kostenübernahme zugesagt, nachdem sie zunächst abgelehnt hatte und das Verwaltungsgericht sie zur Zahlung verpflichtet hatte.

Landgericht Hamburg entscheidet zugunsten des Klägers

Der Rechtsstreit landete schließlich vor dem Landgericht Hamburg. Dort trug der Polizist vor, dass durch seine Verletzung im Jahr 2007 eine Fehlstellung und Blockierung der Schulter eingetreten sei, welche zu außerordentlichen Schmerzen führe. Bei der Cannabistherapie handle es sich um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne der AVB.

Der Krankenversicherer entgegnete, dass aus den vorgelegten Unterlagen nicht ersichtlich sei, ob und in welchem Umfang eine nach medizinischen Leitlinien empfohlene Behandlung der Beschwerden bisher erfolgt ist. Zudem könne eine Cannabistherapie angesichts der psychischen Probleme des Mannes sogar negativ wirken und die Beschwerden verstärken.

Mit Urteil vom 1. August 2022 (337 O 109/22) verpflichtete das Landgericht den Versicherer schließlich, die Kosten für die Cannabistherapie gemäß Vertrag zu erstatten.

Versicherer bestritt Vorliegen chronischer Schmerzen

Im Prozess hatte der Versicherer ursprünglich sogar bestritten, dass beim Kläger überhaupt eine Primärverletzung oder Folgeschäden vorliegen. Da er die medizinische Behandlung dieser Verletzungen zuvor jedoch selbst reguliert hatte, wertete das Gericht dieses Bestreiten als widersprüchlich und nach § 138 Absatz 4 ZPO als unbeachtlich.

Darüber hinaus sei der Versicherer vertraglich zu einem Verhalten nach Treu und Glauben verpflichtet, da mit einem Versicherungsvertrag nach gängiger Rechtsprechung eine besondere Treuebindung beider Parteien einhergehe. Er könne sich daher nicht auf eine rein formale Position zurückziehen, wenn diese im Widerspruch zu seinem eigenen früheren Verhalten stehe.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige hatte zudem weitere ärztliche Befundberichte beigezogen. Aus diesen Unterlagen ergab sich für das Gericht kein Zweifel daran, dass die beim Kläger geschilderten Verletzungen und Folgebeeinträchtigungen tatsächlich bestehen. Die Befunde deuten übereinstimmend auf ein chronisches Schmerzsyndrom hin.

Wie Gerichte die medizinische Notwendigkeit feststellen

Anschließend war zu klären, ob im vorliegenden Fall eine medizinisch notwendige Behandlung gegeben war. Hierzu führten die Richter aus:

Versichert sei laut Vertragsbedingungen die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Unfallfolgen. Mit dem Begriff „medizinisch notwendig“ werde zur Bestimmung des Versicherungsfalles „ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt“.

Ob eine solche medizinisch notwendige Behandlung vorliege, sei anhand der objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Behandlung zu beurteilen. Ausreichend sei, dass es zumindest vertretbar war, die Therapie als notwendig anzusehen.

Für die Überzeugungsbildung des Richters sei zudem keine absolute oder unumstößliche Gewissheit nötig – eine solche sei ohnehin nicht erreichbar. Es genüge ein „für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie sämtlich auszuschließen“.

Warum die Cannabistherapie als medizinisch notwendig eingestuft wurde

Den verfügbaren Befunden und Behandlungsunterlagen zufolge war es nach Ansicht des Landgerichts zumindest vertretbar, die Therapie als medizinisch notwendig einzustufen. Dabei folgte das Gericht dem selbst beauftragten Sachverständigen, der die medizinischen Unterlagen umfassend ausgewertet hatte:

  • Die Cannabistherapie sei als geeignet anzusehen, die Schmerzen des Klägers zu lindern. Es handle sich im vorliegenden Fall um eine Methode, die sich in der Praxis – im Vergleich zu schulmedizinisch anerkannten Verfahren – als mindestens ebenso erfolgversprechend bewährt habe. Sie werde jedenfalls dann angewendet, wenn keine anderen schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten oder Arzneimittel zur Verfügung stehen, so das Gericht.
  • Andere Behandlungen nach dem WHO-Stufenschema der Schmerztherapie hatten zuvor nicht angeschlagen oder waren wegen erheblicher Nebenwirkungen – etwa Leberschädigungen, starker Sedierung oder Suchtgefahr – nicht zumutbar.
  • Die behandelnden Ärzte hatten die zugrunde liegende Erkrankung des Klägers zuvor ausreichend diagnostisch abgeklärt und die gewählte Therapie begründet und nachvollziehbar dokumentiert.
  • Nach gefestigter Rechtsprechung reichen für die Einschätzung der Gleichwertigkeit einer Therapie gegenüber schulmedizinischen Methoden schon Anwendungsbeobachtungen aus, wie aus einem Urteil des BGH vom 10. Juli 1997 (IV ZR 133/95) hervorgehe. Umfangreiche Studien zur Wirksamkeit seien dafür nicht zwingend nötig. Dies gelte zumindest dann, wenn keine gleichwertige Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung stehe. Mit dieser Feststellung wiesen die Richter die Argumentation des Versicherers zurück, Cannabis könne mangels ausreichender Forschung nicht als medizinisch notwendig gelten.
  • Den Einwand des Versicherers, die Cannabisgabe könne sich nachteilig auf die psychische Erkrankung des Klägers auswirken, ließ das Gericht nicht gelten. Für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit sei entscheidend, welche konkrete Erkrankung behandelt werden solle. Mögliche Nebenwirkungen stünden der Einstufung als notwendig nicht entgegen.

Künftige Prüfung der Leistungsvoraussetzungen möglich

Das Gericht stellte zwar im Wege einer Feststellungsklage fest, dass die Cannabistherapie des Klägers zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als medizinisch notwendig einzustufen war. Die Feststellung gilt jedoch nur für den damaligen Behandlungsstand.

Der Versicherer kann künftig prüfen, ob andere Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind oder sich die gesundheitliche Lage wesentlich verändert hat.

Gegen das Urteil kann innerhalb von sechs Monaten Beschwerde eingelegt werden – damit kann eine höhere Instanz die Entscheidung überprüfen.

Andere Urteile, andere Ergebnisse

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 14. November 2023 (I-13 U 222/22) einem privat Krankenversicherten die Erstattung der Kosten nach einer Cannabistherapie verweigert (VersicherungsJournal 17.11.2023). Dabei hob das Gericht jedoch darauf ab, dass sich dem an Glasknochen Erkrankten ausreichend Behandlungsalternativen boten.

Ob gesetzliche Krankenversicherer für eine Therapie zahlen müssen, darüber entschied das Bundessozialgericht mit Urteil vom 10. November 2022 (B 1 KR 21/21 R). Dabei hob das Gericht darauf ab, dass Ärzte hat besonders sorgfältige und umfassende Einschätzung abzugeben haben, damit die Kostenübernahme durch die Krankenkasse gerechtfertigt sei (14.11.2022).

 
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