11.8.2025 – Der GKV-Spitzenverband sieht in erster Linie den Gesetzgeber in der Pflicht, wenn Versicherungszeiten im EU-Ausland allein zum Zweck der Umgehung inländischen Rechts erworben werden oder Erwerbstätigkeiten zu diesem Zweck fingiert werden. Der PKV-Verband spricht von Einzelfällen, befürwortet dennoch ein Ende der „fragwürdigen Tricksereien“.
„Die große Schummelei mit der Privatversicherung“ titelte Mitte Juli die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. In dem Bericht wurde der Fall eines 60-jährigen Selbstständigen geschildert, der mit Hilfe eines Dienstleisters versucht hatte, von der privaten Krankenversicherung (PKV) in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zu wechseln.
Dies ist gemäß § 6 Absatz 3a SGB V für Menschen, die das 55. Lebensjahr vollendet haben und in den letzten fünf Jahren nicht gesetzlich versichert waren, meist nicht möglich. So soll verhindert werden, dass langjährig privat Versicherte im höheren Alter, wenn die Versicherungsprämien steigen, in die GKV zurückkehren.
Es gibt jedoch Schlupflöcher. Eines davon, heißt es im Bericht, hätte die Main Compass Consulting GmbH (MC Consulting) „mit dubiosen, höchstwahrscheinlich illegalen Konstruktionen“ zum Geschäft gemacht: Dabei führt der Weg über das europäische Ausland. Denn wer – egal welchen Alters – von dort zurück nach Deutschland zieht, kann in die GKV aufgenommen werden.
Die MC Consulting, die sich eine Maklervollmacht geben lasse, nutze dies, „um Kunden für einige Zeit im Ausland anzumelden und zu versichern – ohne dass sie auch nur einen Tag lang Deutschland verlassen müssen“, wird berichtet. Die private Krankenversicherung werde gekündigt und nach frühestens zwölf Monaten eine deutsche Krankenkasse aufgefordert, den Kunden aufzunehmen.
Der Wechsel des 60-jährigen Selbstständigen allerdings scheiterte. Die Folgen: Der Mann ist jetzt mehr als 15.000 Euro ärmer – und unversichert. „Damit ist er nicht allein“, heißt es im Bericht. Auch andere Kunden solcher Dienstleister wären in dieser Situation. Ihnen drohten hohe Strafen, denn sie seien versicherungspflichtig. Dennoch würden sie abwarten, hätten sich an Anwälte gewandt.
„Die Kosten für die medizinischen Behandlungen derjenigen, bei denen der Wechsel geklappt hat, tragen nun die gesetzlichen Kassen“, wird festgestellt.
Zum Ausmaß des Problems lasse eine Umfrage unter Verbraucherzentralen vermuten, dass es weiter verbreitet sei als gedacht, heißt es. Die Verbraucherschützer in Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Baden-Württemberg hätten von Ratsuchenden berichtet. Mehrere Anbieter seien auf dem Markt.
Das VersicherungsJournal hat den Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. (PKV-Verband) und den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) vor diesem Hintergrund um Einschätzungen gebeten, wie groß ihrer Meinung nach das Problem ist.
Ferner, wie sich das Phänomen in den vergangenen Jahren entwickelt hat und wie die Versicherer beziehungsweise Kassen damit umgehen. Wir fragten auch, ob es eine zentrale Stelle für Meldungen solcher Vorfälle gibt. Zudem wollten wir wissen, welche Bedeutung die im Bericht geschilderten Konstruktionen aus Sicht der Verbände haben.
Die Herausforderung ist es stets, im konkreten Fall die missbräuchlichen Fälle von den korrekten Fällen zu unterscheiden.
Sprecherin des GKV-Spitzenverbandes
Der GKV-Spitzenverband sieht in erster Linie den Gesetzgeber in der Pflicht. „An der zugrundeliegenden EU-Maxime der wechselseitigen Anerkennung der unterschiedlichen sozialrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten üben wir keine Kritik. Wenn sie in entsprechend gelagerten Erwerbsbiografien zu einer Wechselmöglichkeit in die GKV führt, ist dies aus unserer Sicht zu akzeptieren“, teilt eine Sprecherin mit.
„Zum Problem wird das jedoch, wenn Versicherungszeiten im EU-Ausland allein zum Zweck der Umgehung inländischen Rechts erworben werden oder gar Erwerbs-/Versicherungstätigkeiten zu diesem Zweck fingiert werden, denn das führt dann zu einer strukturellen Schwächung der GKV“, sagt sie.
Die Herausforderung sei es stets, im konkreten Fall die missbräuchlichen Fälle von den korrekten Fällen zu unterscheiden. Unklar sei, welches tatsächliche Ausmaß diese vermutete Grauzone habe. Geprüft werden müsste, ob es zusätzlicher regulativer Maßnahmen zur Begrenzung des Wechsel- oder Zugangsrechts zur GKV bedürfe.
Etwa für Personen in fortgeschrittenem Lebensalter, die bislang keinen oder nur geringen Bezug zur GKV hatten und deren Versicherungszeiten im EU-Ausland nur auffallend kurze Zeiträume umfassen. „Dies wäre dann sicherlich ein Fall für den Gesetzgeber beziehungsweise für das Bundesgesundheitsministerium, welches eine Gesetzesänderung gegebenenfalls vorbereiten müsste“, so die Sprecherin des GKV-Spitzenverbandes.
Einige sogenannte Experten sind in Online-Foren und sozialen Medien mit ihren marktschreierischen Werbeanzeigen sehr aggressiv unterwegs.
Sprecher des PKV-Verbandes
Der PKV-Verband hat einem Sprecher zufolge keine konkreten Zahlen zu dem Problem vorliegen. „Einige sogenannte Experten sind für dieses Schlupfloch in Online-Foren und sozialen Medien mit ihren marktschreierischen Werbeanzeigen sehr aggressiv unterwegs. Das erweckt bei manchem vielleicht den Eindruck eines größeren Umfangs, als das Thema in der Realität hat“, sagt er.
Soweit man das überblicke, seien es eher Einzelfälle. Problematisch sei die vermeintliche „Auswanderungs-Lösung“ über ein Schein-Arbeitsverhältnis in Osteuropa jedoch in jedem Einzelfall.
„Denn die GKV kann das Versicherungsverhältnis noch viele Jahre später kündigen, wenn sie bemerkt, dass der Job im Ausland nur vorgeschoben wurde, um den Zugang zur GKV zu erschleichen. Die Versicherten verlieren dann womöglich schlagartig den GKV-Versicherungsschutz. Damit begeben sich die Versicherten in ein existenzgefährdendes Risiko“, so der Sprecher.
Zur Frage der Entwicklung des Problems verweist er auf eine Gesetzesinitiative der SPD-Fraktion und der Grünen-Fraktion aus dem vergangenen November, die das Schlupfloch schließen sollte.
Darin war unter anderem angeführt, dass privat Versicherte während eines Auslandsaufenthaltes ihren Vertrag als Anwartschaftsversicherung fortführen könnten oder nach Rückkehr einen Anspruch auf Aufnahme in den Basistarif hätten. Der Antrag gelangte durch das Aus der Ampelregierung jedoch nicht mehr auf den parlamentarischen Weg.
Im Internet lassen sich solche Angebote zwar immer noch finden, aufgrund der Warnungen dürften aber deutlich weniger Versicherte darauf reinfallen.
Sprecher des PKV-Verbandes
„Grundsätzlich wäre es im Interesse der Versicherten, wenn den Anbietern dieser fragwürdigen Tricksereien ein Riegel vorgeschoben würde“, antwortet der Sprecher auf die Frage, wie die Krankenversicherer mit dem Problem umgehen. „Den PKV-Unternehmen sind in solchen Fällen die Hände gebunden.“
Sobald eine Krankenkasse einen Versicherten auf Basis einer solchen Vorversicherung im Ausland aufnehme, müsse die PKV die Kündigung dieses Versicherten akzeptieren. „Sie hat kein eigenes Prüfrecht, um zu überprüfen, ob die formalen Voraussetzungen für eine Aufnahme in die GKV erfüllt sind. Das kann nur die jeweilige Krankenkasse“, so der Sprecher.
Eine zentrale Stelle für Meldungen solcher Vorfälle sei ihm nicht bekannt. Da selbst in Berichten überregionaler Leitmedien diese Konstruktion als möglicher Wechsel-Tipp angeboten worden sei, „war das Thema medial sehr präsent“, sagt er.
Das habe sich im vergangenen Jahr jedoch geändert. Verbraucherschützer, Fachjournalisten und auch der PKV-Verband hätten auf die Problematik sowie die Gefahren für die Versicherten hingewiesen. „Im Internet lassen sich solche Angebote zwar immer noch finden, aufgrund der Warnungen dürften aber deutlich weniger Versicherte darauf reinfallen“, so der Sprecher.
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