So gehen Berufsunfähigkeitsversicherer mit ME/CFS und Long Covid um

10.12.2025 – Insgesamt sieben Berufsunfähigkeitsversicherer gaben dem VersicherungsJournal Einblick, wie sie beim Anträgen auf Versicherungsschutz und im Leistungsfall die Diagnose ME/CFS handhaben. Die Antworten zeigen, dass es sich um ein komplexes Krankheitsbild handelt, das in der Regel einen besonders umfangreichen Nachweis der Berufsunfähigkeit erfordert.

Wie gehen Versicherer und Vermittler mit Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung um?

Dieser Frage ist das VersicherungsJournal in einer aktuellen Umfrage nachgegangen, nachdem Versicherungsmakler auf wachsende Probleme im Umgang mit der Krankheit hingewiesen hatten (VersicherungsJournal 3.12.2025).

Krankheit oft mit Aufgabe des Berufs verbunden

ME/CFS zwingt viele Betroffene dazu, ihren Beruf aufzugeben oder stark einzuschränken. Schon einfache Tätigkeiten wie eine Mail zu beantworten oder ein kurzes Telefonat können – je nach Schweregrad – Stunden später zu massiver Erschöpfung, Schmerzen und kognitiver Benebelung führen.

Laut einer Studie im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS e.V. ist die Zahl der Erkrankten seit Beginn der Coronapandemie deutlich gestiegen: von rund 400.000 Anfang 2020 auf inzwischen etwa 1,5 Millionen Bundesbürger. Häufig geht der Erkrankung eine Infektion voraus, die eine komplexe neuroimmunologische Störung auslöst.

Das Problem: Bei dieser kaum erforschten Krankheit ist die Prognose ungewiss. Auch fehlen verlässliche Biomarker oder Tests, um ME/CFS nachzuweisen. Das erschwert es Betroffenen, eine Berufsunfähigkeit gegenüber ihrem Versicherer geltend zu machen – zumal viele Gutachter dafür nach Einschätzung von Fachanwälten noch nicht ausreichend sensibilisiert sind.

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Sieben BU-Versicherer antworten

Das VersicherungsJournal hat Berufsunfähigkeitsversicherer zu ME/CFS befragt. Sie sollten Auskunft geben, wie sie mit der Krankheit bei einem Antrag auf BU-Schutz umgehen, ob sie explizit Ausschlüsse für ME/CFS oder Long Covid vorsehen, ob sie eine Zunahme von Leistungsfällen beobachten – und welche Verfahren sie akzeptieren, wenn eine erkrankte Person ihre Berufsunfähigkeit nachweisen muss.

Die Anfrage haben folgende Versicherer beantwortet:

ME/CFS beim Antrag auf Berufsunfähigkeitsversicherung

Möchte sich eine bereits an ME/CFS erkrankte Person gegen das Risiko der Berufsunfähigkeit absichern, stehen die Chancen schlecht: Nach Angaben der vier befragten spezialisierten Versicherungsmakler wird ein BU-Antrag in der Regel meist direkt abgelehnt.

Liege die Krankheit bereits zurück, sei der Einzelfall anhand der Krankenakte zu prüfen.

Auch die Versicherer verweisen darauf, dass die Annahme davon abhänge, wie lange die Krankheit zurückliege – und ob sie bereits ausgeheilt sei. So antwortet die Canada Life:

Bei der Beantragung von BU-Versicherungsschutz prüfen wir jeden Antrag individuell.

Debeka

Wie bei Antragstellung geprüft wird

„In den Gesundheitsfragen unseres Berufsunfähigkeitsschutzes fragen wir Interessenten, ob sie in den letzten drei Jahren ein Post-Covid-Syndrom hatten. Doch ein pauschaler Ausschluss ist dies nicht: Jede Anfrage wird individuell und sorgfältig geprüft“. Dabei würden alle risikorelevanten Faktoren in die Entscheidung mit einfließen: zum Beispiel aktueller Gesundheitszustand, Art und Verlauf der Vorerkrankungen oder Hobbys.

Ähnlich antwortet die Debeka. „Bei der Beantragung von BU-Versicherungsschutz prüfen wir jeden Antrag individuell. So ist es durchaus möglich, dass wir bei einer vollständigen Genesung nach einer gewissen Zeit einen normalen Versicherungsschutz darstellen können oder einen Mehrbeitrag anbieten“, teilt eine Sprecherin mit.

Die LV 1871 berichtet: „Wir haben keine Anfragen in der Risikoprüfung zu ME/CFS und sehr wenige Leistungsfälle. Die Versicherbarkeit ist hier eine große Herausforderung, aber ein pauschales Votum gibt es bei uns nicht.“

ALH-Gruppe: Krankheit muss zehn Jahre lang ausgeheilt sein

Einen konkreten Zeitraum nennt die Alte Leipziger/Hallesche. „Eine Absicherung ist bei uns nach einer CFS-Erkrankung grundsätzlich erst dann möglich, wenn die Erkrankung seit mindestens zehn Jahren vollständig und ohne verbleibende Folgen ausgeheilt ist“, teilt ein Sprecher mit.

Liege die Ausheilung kürzer zurück oder bestünden noch Beschwerden, komme eine Absicherung derzeit nicht in Betracht. In solchen Fällen werde der Antrag zunächst zurückgestellt, so der ALH-Sprecher. Auch der HDI und die Debeka stellen Anträge bei bestehender Erkrankung zurück und prüfen sie zu einem späteren Zeitpunkt erneut.

Versicherer haben keine Ausschlussklauseln bezüglich ME/CFS formuliert

Doch gibt es Versicherer, die eine Leistung bei ME/CFS oder Long Covid explizit ausschließen? Die angefragten Unternehmen verneinen dies. Keiner der befragten Anbieter gibt an, entsprechende Ausschlussklauseln zu verwenden.

Exemplarisch steht hierfür die Antwort der HDI: „Da die private Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) bei jeder nicht explizit ausgeschlossenen Krankheit leistet, gilt der Versicherungsschutz selbstverständlich auch für ME/CFS oder Long Covid.

Es bestehen keine allgemeinen Ausschlüsse von Erkrankungen oder Viruserkrankungen im Rahmen der aktuellen Versicherungsbedingungen. Des Weiteren sind auch Folgeschäden durch Impfungen nicht vom Versicherungsschutz ausgeschlossen“, berichtet der HDI-Sprecher.

Als Leistungsauslöser in der BU hat ME/CFS […] keine große Relevanz.

Canada Life

Keine Zunahme an Leistungsfällen beobachtet

Auch eine Zunahme von Leistungsfällen oder Leistungsanträgen sehen die meisten Versicherer nicht. Das VersicherungsJournal hatte hierzu gefragt, ob die Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren einen Anstieg von ME/CFS-Fällen registriert haben.

„Als Leistungsauslöser in der BU hat ME/CFS bei Canada Life keine große Relevanz“, berichtet die Sprecherin des Versicherers. Die LV 1871 spricht von „wenigen Fällen“. Auch die HDI erkennt keine „signifikante Zunahme“ – im Gegenteil: Die Zahl der Leistungsanträge wegen Long Covid sei sogar rückläufig. Anträge mit ME/CFS-Stellung als Ursache stellten demnach überwiegend Einzelfälle dar. Ähnlich äußert sich die Provinzial.

Die Swiss Life hingegen registriert im Zusammenhang mit Long Covid eine Zunahme der Leistungsanträge. „Gleichzeitig stellt uns die derzeit hohe Auslastung von Gutachtern vor extreme Herausforderungen – nicht nur bei ME/CFS, sondern auch im Bereich Psyche“, so die Sprecherin.

Zudem gibt die Mehrheit der Versicherer an, ME/CFS statistisch nicht gesondert zu erfassen. Stattdessen werden meist nur breite Diagnosegruppen geführt oder die Krankheit in allgemeineren Kategorien wie „neurologische Erkrankungen“ zusammengefasst. Hier bestehen folglich statistische Lücken.

Wie können Versicherungsnehmer eine ME/FCS-Erkrankung nachweisen?

Wollen Versicherungsnehmer eine Leistung wegen eines chronischen Erschöpfungssyndroms geltend machen, erschwert das Fehlen objektivierbarer Befunde sowie die unsichere Prognose die Anerkennung des Leistungsfalls durch den Versicherer.

Das VersicherungsJournal fragte deshalb, welche Unterlagen und Befunde die Unternehmen im Leistungsfall akzeptieren und wie sie mit der unsicheren Prognose umgehen. Die Antworten zeigen, dass in der Regel ein sehr ausführlicher und fachübergreifender Nachweis nötig ist, der dokumentiert, wie die Erkrankung verläuft und zur Berufsunfähigkeit führt.

Debeka: umfangreiche Befunde und Unterlagen erbeten

Die Debeka teilt mit: „Für die Feststellung der Berufsunfähigkeit bei Krankheitsbildern wie Long Covid oder ME/CFS ist uns bewusst, dass die Diagnosestellung und die Prognose oft mit besonderen Herausforderungen verbunden sind.

Da objektivierbare Befunde häufig fehlen und der Verlauf individuell sehr unterschiedlich sein kann, legen wir besonderen Wert auf eine umfassende und sorgfältige medizinische Dokumentation“, positioniert sich die Debeka.

Folgende Unterlagen seien für die Leistungsprüfung besonders relevant:

  • Fachärztliche Berichte: Ausführliche Stellungnahmen von behandelnden Fachärzten, die die Diagnose, den Verlauf und die Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit beschreiben.
  • Klinische Funktionsdiagnostik: Ergebnisse von Tests und Untersuchungen, die die funktionellen Einschränkungen dokumentieren (zum Beispiel Belastungstests und neuropsychologische Untersuchungen).
  • Verlaufsgutachten: Dokumentationen über den Krankheitsverlauf und die Entwicklung der Beschwerden über einen längeren Zeitraum.
  • Ein vollständiger Auszug aus der Patientendatei/-kartei der behandelnden Ärzte, mit allen Daten zu den Erkrankungen, die die Berufsunfähigkeit verursachen. Dazu gehören insbesondere das jeweilige Datum der Arzt-Kontakte, Untersuchungsergebnisse, (Verdachts-)Diagnosen, Therapien und Überweisungen.
  • Weitere relevante Befunde: Laborwerte, bildgebende Verfahren oder andere medizinische Nachweise, sofern diese vorliegen und zur Diagnosesicherung beitragen.

„Wir prüfen jeden Fall individuell und berücksichtigen die Gesamtschau aller vorgelegten Unterlagen. Uns ist bewusst, dass die Prognose bei Long Covid und ME/CFS oft unsicher ist. Daher legen wir Wert auf eine transparente Kommunikation und begleiten die Betroffenen eng im Prüfungsprozess, um eine faire und nachvollziehbare Entscheidung zu treffen“, so die Debeka.

Eine belastbare Prognose über die Dauer der Erkrankung sei hingegen für die Leistungsprüfung nicht erforderlich. Die Debeka schreibt: „Wenn die Berufsunfähigkeit an sich nachgewiesen ist und die vertraglich vereinbarte Anspruchsschwelle erreicht wird, sehen unsere Versicherungsbedingungen ausdrücklich vor, dass wir beweiserleichternd auf die Prognose einer dauerhaften Berufsunfähigkeit verzichten.“

Gesamtschau für die Prüfung erforderlich

Auf das Moment der Gesamtschau vorliegender Befunde und der Auswirkungen auf die Berufsfähigkeit heben mehrheitlich auch die anderen Versicherer ab. So betont auch die Alte Leipziger, dass „eine reine Diagnose“ nicht ausreiche, „um eine Leistungsentscheidung zu treffen“.

Vor allem müsse die Einschränkung der beruflichen Tätigkeit objektiviert werden, berichtet die Gesellschaft weiter. Deshalb fordere der Versicherer den „gesamten Behandlungsverlauf“ bei den Ärzten an, „weil aufgrund der oft unklaren Befundlage eine Gesamtschau erforderlich ist“. Dabei würden Berichte von Fachärzten in Ergänzung mit Testverfahren zum Leistungsvermögen helfen.

Auch die HDI Leben hebt hervor, dass sie eine „Darstellung der Ursache für den Eintritt der Berufsunfähigkeit“ sowie „ausführliche Berichte der Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten“ benötigen. Weiter führt das Unternehmen aus, was diese Berichte umfassen müssen:

  • Informationen zur Ursache, zum Beginn, zur Art und zum Verlauf der Gesundheitsstörungen,
  • deren Auswirkungen auf die körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionen,
  • zur bisherigen beziehungsweise voraussichtlichen Dauer der Gesundheitsstörungen sowie
  • zur Schwere der Beeinträchtigungen in Bezug auf die Ausübung des zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls ausgeübten Berufs.

Swiss Life: ME/CFS tritt oft in Zusammenhang mit anderen Erkrankungen auf

Die Swiss Life weist abweichend davon darauf hin, dass ME/CFS oftmals zusammen mit anderen Krankheiten auftrete, am häufigsten mit Long Covid. Bei dieser Erkrankung sei eine bessere Objektivierbarkeit möglich.

„Oft ist daher bereits eine Anerkennung aufgrund von Long Covid möglich, so dass nicht detailliert auf ME/CFS eingegangen werden muss“, erklärt der Versicherer.

„Ist CFS die alleinige BU-Ursache, akzeptieren wir Facharztberichte, Klinik- und Reha-Entlassungsberichte sowie Gutachten der Deutschen Rentenversicherung, sofern bereits eine Erwerbsminderungsrente gezahlt wird“, so die Swiss Life.

Die Provinzial betont, dass es „keine Besonderheiten der Leistungsprüfung“ gebe. „Je nach Aussagekraft und Qualität der Unterlagen können Facharztberichte ausreichen; fehlen objektivierbare Befunde, werden in der Regel Gutachten herangezogen“, berichtet der Sprecher.

Die Rolle von Gutachtern

Die Versicherer weisen darauf hin, dass sie sich vorbehalten, beim Vorliegen von ME/CFS einen externen Gutachter einzuschalten. Der HDI macht dazu konkrete Angaben:

„Eine medizinische Begutachtung nehmen wir im Leistungsfall generell nur in Ausnahmefällen vor – dies betrifft etwa zwei bis drei Prozent der Leistungsfälle. Aufgrund der teils längeren und individuell sehr unterschiedlichen Krankheitsverläufe ist eine Prüfung und Entscheidung auf Basis der vorliegenden medizinischen Unterlagen der behandelnden Ärzte in der Regel ausreichend und zielführender.“

Die Swiss Life berichtet: „Wir nutzen für die Einschätzung des Berufsunfähigkeitsgrades bei CFS ein spezielles System unseres Rückversicherers.“

Wie oft werden Leistungsanträge abgelehnt?

Konkrete Einblicke in ihre Leistungspraxis gaben nur zwei Versicherer. Die übrigen Unternehmen verwiesen in der Regel darauf, dass ME/CFS statistisch nicht gesondert erfasst werde, sondern in größeren Diagnosegruppen aufgehe.

Die Provinzial erläutert, dass nur für rund zwei Drittel des BU-Bestands eine detaillierte Auswertung möglich sei. Im restlichen Drittel würden Leistungsfälle lediglich über übergeordnete Kategorien wie Psychiatrie/Psychosomatik, Orthopädie oder Neurologie geführt.

Für den auswertbaren Teil des Bestands meldet der Versicherer in den vergangenen fünf Jahren insgesamt 14 Leistungsanträge mit einer ME/CFS-Diagnose. Bis auf einen Fall seien alle anerkannt worden. Im verbleibenden Fall habe eine außervertragliche Vereinbarung ebenfalls zu einer Leistung geführt.

Die niedrige Zahl solcher Anträge erklärt die Provinzial damit, dass das Erschöpfungssyndrom häufig gemeinsam mit anderen Krankheiten auftrete – etwa psychischen Erkrankungen. In diesen Fällen seien dann meist die Begleiterkrankungen der eigentliche Leistungsauslöser.

Die Swiss Life berichtet: „In den letzten beiden Jahren haben wir eine geringe zweistellige Anzahl an Fällen mit alleiniger Ursache CFS gemeldet bekommen, davon wurde gut ein Viertel anerkannt, die Hälfte abgelehnt, die anderen Fälle sind noch ergebnisoffen.“

Fast alle BU-Versicherer ermöglichen die Vereinbarung der AU-Klausel

Versicherungsmakler Matthias Helberg von der Matthias Helberg Versicherungsmakler e.K. betont die Bedeutung einer Arbeitsunfähigkeitsklausel, um den Zeitraum bis zur Feststellung einer Berufsunfähigkeit finanziell zu überbrücken.

In der Regel zahlen Versicherer hier eine zeitlich begrenzte Leistung, wenn der Versicherungsnehmer über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig geschrieben ist.

Da die Zahlung an die ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit und nicht an eine dauerhafte Berufsunfähigkeit gekoppelt ist, können Versicherer diese Leistung später nicht zurückfordern – selbst dann nicht, wenn sich die ursprüngliche Diagnose als unzutreffend herausstellt.

Lediglich die Debeka verneint, dass eine solche AU-Klausel optional vereinbart werden kann. Die anderen Versicherer bieten sie gegen Aufpreis an:

  • LV 1871: ohne konkrete zeitliche Angabe,
  • Alte Leipziger/Hallesche und Provinzial: bis zu 24 Monate,
  • HDI, Canada Life und Swiss Life: bis zu 36 Monate.
 
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