18.12.2025 – Wer aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit an einem Virus erkrankt und infolge dieser Erkrankung ein Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ausbildet, ist hierfür durch die für ihn zuständige gesetzliche Unfallversicherung zu entschädigen. Das hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit einem nicht rechtskräftigen Urteil entschieden.
Eine 1969 geborene Frau war als Erzieherin in einer Grundschule im Berliner Umland tätig. Im Januar 2012 erkrankten sechs Kinder an Ringelröteln. Das ist eine Infektionskrankheit, die bei Kindern oft mild verläuft, aber bei Erwachsenen schwerer ausfallen kann.
Kurz darauf musste sich die Erzieherin wegen Schwellungen und Schmerzen an den Gelenken arbeitsunfähig schreiben lassen. Ein Labortest wies ein Parovirus B19 nach, das als Auslöser von Ringelröteln gilt. In den Folgejahren litt die Erzieherin wiederholt an Müdigkeit und Konzentrationsschwäche, die dazu führten, dass sie ihren Beruf aufgeben musste.
Im Jahr 2014 erkannte die zuständige Berufsgenossenschaft die Infektion mit Ringelröteln im Grundsatz als Berufskrankheit an. Die Erkrankung wurde gemäß der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) unter der Nummer 3101 der Anlage 1 eingeordnet.
Demnach gelten Infektionskrankheiten als Berufskrankheiten, „wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“.
Gleichwohl lehnte es die Berufsgenossenschaft ab, die von der früheren Grundschullehrerin geltend gemachte starke körperliche und geistige Erschöpfung auf die Ringelröteln zurückzuführen. Sie betrachtete die Krankheit als vollständig ausgeheilt. Der Frau stehe entsprechend keine Erwerbsminderungsrente nach § 56 Absatz 1 Satz 1 SGB VII zu.
Nachdem die Lehrerin gegen den Ablehnungsbescheid geklagt hatte, sprach ihr das Sozialgericht Frankfurt (Oder) zunächst eine zeitlich gestaffelte Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit zu. Dabei bewertete das Gericht ihre allgemeine Erwerbsfähigkeit infolge der Erkrankung zunächst als um 60 Prozent und später als um 80 Prozent gemindert.
Hiergegen legte die Berufsgenossenschaft Berufung ein. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg bestätigte als Berufungsinstanz mit Urteil vom 27. November 2025 (L 3 U 206/19), dass das ME/CFS als Folge der Infektion mit Ringelröteln anzuerkennen ist und damit eine Berufskrankheit vorliegt.
Wie ein Sprecher des Gerichts dem VersicherungsJournal mitteilte, konnte sich die Klägerin dabei auf mindestens vier Sachverständigengutachten stützen, überwiegend aus dem immunologischen Fachgebiet. Auch das Landessozialgericht habe zur Überprüfung der Entscheidung der Vorinstanz ein weiteres Gutachten eingeholt.
Diese Gutachten hätten den – nicht nur zeitlichen, sondern auch ursächlichen – Zusammenhang zwischen der Infektion und der Entwicklung eines chronischen Erschöpfungssyndroms belegen können, so der Sprecher. Über den konkreten Inhalt der Gutachten könne zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Auskunft gegeben werden.
Zweifel hatte der 3. Senat allerdings an der Höhe der zugesprochenen Rente. Zur Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei ME/CFS fehlten bislang qualifizierte unfallmedizinische Erfahrungssätze, heißt es hierzu vom Gericht.
Hier sei man der „Empfehlung für die Begutachtung von Post Covid“ (PDF, 1,22 MB) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV) gefolgt, wonach eine stärker ausgeprägte Fatigue-Symptomatik generell mit einer MdE von 30 Prozent zu bewerten sei.
Treten weitere Symptome hinzu, könne dieser Wert erhöht werden, führt das Gericht weiter aus. Weil die Frau virusbedingt auch an chronischen Muskel- und Gelenkschmerzen leide, sei es gerechtfertigt, für die Rente eine Erwerbsminderung von 40 Prozent anzunehmen. Entsprechend setzte das Landessozialgericht die Rentenhöhe herab.
Das LSG weist darauf hin, dass nach dem Urteil grundsätzlich auch eine Covid-19-Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt werden könne. Wie ein Gerichtssprecher telefonisch erläuterte, seien entsprechende Fälle bislang jedoch noch nicht auf der Ebene der Landessozialgerichte entschieden worden.
Grund dafür sei der hohe gutachterliche Aufwand: Um sowohl eine Post-Covid-Erkrankung als auch den beruflichen Ursachenzusammenhang nachzuweisen, seien regelmäßig umfangreiche medizinische Sachverständigengutachten erforderlich. Genannt wurden unter anderem kardiologische, neurologische, psychiatrische, immunologische sowie lungenfachärztlich-internistische Begutachtungen.
Rechtskräftig ist das Urteil jedoch noch nicht. Zwar habe der Senat die Revision nicht zugelassen, doch könnten beide Parteien die Zulassung beim Bundessozialgericht beantragen.
Rechtsstreitigkeiten um private Berufsunfähigkeitsrenten verdeutlichen, dass auch hier meist umfassende medizinische Gutachten aus verschiedenen Fachrichtungen erforderlich sind, um bei einer ME/CFS-Erkrankung eine Leistung gegenüber dem Versicherer geltend zu machen.
Ein Beispiel lieferte das Oberlandesgericht Hamm: Mit Urteil vom 13. September 2023 (20 U 371/22) verurteilte es einen Versicherer zur Zahlung von 138.872 Euro nebst Zinsen, nachdem eine ehemalige Grundschullehrerin ein chronisches Erschöpfungssyndrom nachweisen konnte. Dafür legte sie Gutachten aus den Bereichen Neurologie, Psychiatrie, Immunologie, Endokrinologie und Hämatologie vor (VersicherungsJournal 3.12.2025, 10.12.2025).
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