Grundrente: Verstößt Ausschluss freiwilliger Beitragszeiten gegen das Grundgesetz?

11.6.2025 – Das Bundessozialgericht hat in einem aktuellen Urteil bestätigt, dass freiwillig gezahlte Beiträge bei den erforderlichen Zeiten für den Erhalt einer Grundrente nicht angerechnet werden müssen. Die Unterschiede zwischen Pflichtbeiträgen und freiwilligen Beiträgen rechtfertigen demnach die ungleiche Behandlung der Versicherten durch die gesetzliche Rentenversicherung.

Ein Mann war im Zeitraum von Mai 1966 bis Anfang 1986 rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Nach einer kurzen Phase der Arbeitslosigkeit nahm er eine selbstständige Tätigkeit im Pressevertrieb auf. Von April 1987 bis November 2012 zahlte er durchgängig freiwillige Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung ein.

Im Juli 2022 beantragte der Mann bei seinem Rentenversicherungsträger, dass bei seiner vergleichsweise niedrigen Rente von rund 579 Euro auch der Grundrentenzuschlag berücksichtigt wird. Voraussetzung für diesen Zuschlag ist laut § 76g SGB VI unter anderem, dass mindestens 33 Jahre mit sogenannten Grundrentenzeiten vorhanden sind.

Die Rentenversicherung lehnte den Grundrentenzuschlag ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Mann lediglich 230 Monate mit Pflichtbeiträgen vorweisen könne – deutlich weniger als die für den Zuschlag erforderlichen 396 Monate (entspricht 33 Jahren). Die zusätzlich geleisteten freiwilligen Beiträge über 312 Monate könnten nicht angerechnet werden.

Mann klagt wegen Ungleichbehandlung als Selbstständiger

Nachdem seine freiwilligen Beitragszeiten mehrfach nicht berücksichtigt worden waren und entsprechende Bescheide ergingen, zog der Mann vor Gericht. Er machte geltend, dass auch freiwillig geleistete Beiträge zur Rentenversicherung in seinem Fall anerkannt werden müssten.

Zur Begründung führte er an, eine Nichtberücksichtigung führe zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Selbstständigen und freiwillig Versicherten gegenüber pflichtversicherten Arbeitnehmern. Dies bedeute einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Artikel 3 GG.

Diese Benachteiligung sei insbesondere deshalb nicht nachvollziehbar, weil Selbstständige häufig ein höheres Erwerbsrisiko trügen und in vielen Fällen wirtschaftlich schlechter gestellt seien. Ergänzend führte er aus, die Ungleichbehandlung beträfe viele Rentner, die selbständig gewesen seien und freiwillige Beiträge entrichtet hätten. Mit einer Klagewelle sei zu rechnen.

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Landessozialgericht wies Klage zurück

Bereits das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschied mit Urteil vom 24. Januar 2024 (L 5 R 1205/23), dass kein Verstoß gegen das Grundgesetz vorliege und die Rentenversicherung die freiwillige Beitragszahlung nicht berücksichtigen müsse.

Demnach werden laut Gesetz nur freiwillige Beiträge als Grundrentenzeit anerkannt, wenn sie wie Pflichtbeitragszeiten gewertet werden – stark vereinfachend, wenn sie nahtlos an Kindererziehungs- oder Pflegezeiten anschließen.

Kein Verstoß gegen Grundgesetz

Einen Verstoß gegen das Grundgesetz konnte das Landessozialgericht hingegen nicht erkennen. So werde Artikel 14 GG schon deshalb gewährleistet, weil kein Eingriff in die erworbenen Rentenanwartschaften vorliege. Die vom Kläger entrichteten freiwilligen Beiträge fließen demnach ungeschmälert in die Berechnung seiner Rente ein und ihr Wert werde nicht gemindert.

Auch einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz verneinte das Gericht. Zwar gebiete Artikel 3 GG, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, so führte der 5. Senat aus.

Dem Gesetzgeber sei jedoch nicht jede Differenzierung verwehrt. Ein Verstoß liege nur vor, wenn Gruppen anders behandelt würden, obwohl zwischen ihnen keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestünden, dass sie eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.

Hier komme dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. der sei besonders groß, wenn Begünstigungen nicht auf Beiträgen beruhen, sondern – wie die Grundrente – steuerfinanziert zum Zweck des sozialen Ausgleichs gewährt werden. Dies erlaube es, generalisierende, typisierende und pauschalisierende Regelungen zu verwenden, ohne gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen, auch wenn damit verbundene Härten auftreten.

Ausreichend gewichtige Gründe für Ungleichbehandlung

Im vorliegenden Fall gebe es ausreichend gewichtige Gründe für die Ungleichbehandlung von Pflichtbeitragszeiten und freiwilligen Beitragszeiten, so hob das LSG hervor.

„Dem Gesetzgeber ist es grundsätzlich nicht verwehrt, Pflichtversicherte und freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung unterschiedlich zu behandeln, um die Solidarität der abhängig Beschäftigten zu stärken, auf deren Schutz die Sozialversicherung in erster Linie ausgerichtet ist“, schreibt das Landessozialgericht in der Urteilsbegründung.

Denn pflichtversicherte Beschäftigte „tragen in aller Regel nach Beitragszeit, Beitragsdichte und Beitragshöhe in erheblich stärkerem Maße zur Versichertengemeinschaft bei als freiwillig Versicherte; sie können sich dieser Verpflichtung auch nicht – wie freiwillig Versicherte – entziehen“, führt das Gericht aus.

Demgegenüber sei es freiwillig Versicherten möglich, jederzeit die Beitragszahlung zu mindern, zu erhöhen oder – zeitweilig oder auf Dauer – ganz einzustellen. Sie könnten frei entscheiden, ob und in welcher Höhe sie Beiträge zahlen. „Darin liegt ein gewichtiger Unterschied zu den Pflichtversicherten, deren Beiträge sich in der Regel nach dem Arbeitsentgelt bemessen“, erklärt das LSG.

Anliegen des Gesetzgebers mit Grundrente rechtfertigt Ungleichbehandlung

Anliegen des Gesetzgebers sei es mit der Grundrente aber gerade gewesen, die Renten derjenigen anzuheben, die langjährig versichert sind und aufgrund geringer Erwerbseinkünfte nur vergleichsweise wenig Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung einzahlen können. Deren Lebensleistung solle mit einer besseren Absicherung im Alter gewürdigt werden.

Die Herausnahme der Zeiten freiwilliger Versicherung sei somit sachlich gerechtfertigt und halte sich im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber zustehe, schlussfolgert das LSG.

Bundessozialgericht schließt sich dem Urteil der Vorinstanz an

Das Bundessozialgericht folgte mit Urteil vom 5. Juni 2025 (B 5 R 3/24 R) nun der Einschätzung der Vorinstanz, so berichtet die Verlag C. H. Beck oHG. Demnach sei die Revision des Klägers zurückgewiesen worden. Eine detaillierte Urteilsbegründung liegt derzeit noch nicht vor.

Demnach sei eine Ungleichbehandlung von Pflichtbeiträgen und freiwillig geleisteten Beiträgen sachlich gerechtfertigt, so dass kein Verstoß gegen Verfassungsrecht vorliege. Dies ergebe sich aus den Unterschieden:

Anders als Pflichtversicherte, bei denen die Höhe der Beiträge von der Erwerbsarbeit abhängt, könnten freiwillig Versicherte die Höhe ihrer Beiträge selbst wählen und jederzeit ändern oder aussetzen. Unmittelbar vor Einführung des Grundrentenzuschlags habe die Mehrheit der freiwillig Versicherten nur den Mindestbetrag gezahlt, erklärt Beck weiter.

Im Gegensatz dazu könnten sich Pflichtversicherte als zahlenmäßig bedeutsamste Versicherungsgruppe der gesetzlichen Rentenversicherung ihrer Beitragspflicht nicht entziehen. Sie tragen durch die Zahlung von Pflichtbeiträgen regelmäßig in stärkerem Maß zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung bei, so hob das BSG gleichlautend mit der Vorinstanz hervor.

 
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