Die Versicherung der Psyche in der Arbeitskraftabsicherung

28.7.2025 – Die Definitionen für Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit unterscheiden sich grundsätzlich von der Regelung des Leistungsauslösers „Psyche“ in der Grundfähigkeitsversicherung. Deshalb sollten entsprechende Bausteine genau überprüft werden, schreibt der infinma-Geschäftsführer Dr. Jörg Schulz in seinem Gastbeitrag.

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In der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) sind seit einiger Zeit psychische Erkrankungen mit weitem Abstand die häufigste Ursache für einen Leistungsfall. Im Branchendurchschnitt liegt der Anteil bei etwa einem Drittel, in der Spitze macht die Psyche inzwischen bis zur Hälfte aller Leistungsfälle aus.

Grund genug, sich einmal näher anzuschauen, wie das Thema in den unterschiedlichen Lösungen zur Arbeitskraftabsicherung behandelt wird.

Typische Definition für Berufsunfähigkeit

Jörg Schulz (Bild: infinma)
Jörg Schulz (Bild: infinma)

Die typische Definition für Berufsunfähigkeit sieht so aus:

„Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen mindestens zu 50 Prozent außerstande ist, ihrem zuletzt ausgeübten Beruf nachzugehen, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war.“

Es kommt also „nur“ darauf an, dass der Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann. Die Ursache ist dabei unerheblich, solange die Berufsunfähigkeit aus Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall resultiert. Insofern sind psychische Ursachen für eine Berufsunfähigkeit grundsätzlich uneingeschränkt mitversichert.

(Dies gilt natürlich dann nicht, wenn beispielsweise bei der Antragsprüfung aufgrund psychischer Vorerkrankungen die Psyche komplett oder aber zumindest bestimmte Arten von psychischen Störungen vom Versicherungsschutz ausgenommen sind.)

Die Definition für Erwerbsunfähigkeit

Ähnlich sieht es in der Erwerbsunfähigkeitsversicherung aus:

„Erwerbsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls voraussichtlich mindestens sechs Monate – außerstande ist, irgendeine Erwerbstätigkeit für mindestens drei Stunden täglich auszuüben oder – kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen kann, das über der Grenze für eine geringfügige Beschäftigung gemäß § 8 Sozialgesetzbuch IV liegt.“

Auch hier sieht die Standarddefinition keine Einschränkungen im Hinblick auf eine psychische Ursache der Erwerbsunfähigkeit vor.

Leistungsauslöser „Psyche“ in der Grundfähigkeitsversicherung

Völlig anders gestaltet sich hingegen die Situation in der Grundfähigkeitsversicherung (GF). Hier ist die Psyche häufig als separater Baustein optional abschließbar. Eine typische Definition des Leistungsauslösers sieht dann so aus:

„Sofern Sie den Leistungsauslöser ‚Psyche-Option‘ zusätzlich gegen Mehrbeitrag vereinbart haben, liegt der Verlust einer Grundfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen von Beginn an auch dann vor, solange die versicherte Person während der Versicherungsdauer, frühestens nach Beginn des Versicherungsschutzes, aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.“

Hier wird also der Leistungsauslöser Psyche quasi daran gekoppelt, dass die psychische Erkrankung Ursache für eine Erwerbsunfähigkeit ist. Die Hürde für die Anerkennung der Leistungspflicht dürfte somit recht hoch sein.

Typische psychische Erkrankungen wie Burn-out, psychosomatischer Erschöpfungszustand, Essstörungen, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Panikattacken oder Angststörungen allein dürften wahrscheinlich nicht ausreichen, um die Leistungspflicht des Versicherers auszulösen. Darüber hinaus versichern einzelne Anbieter schwere Depressionen und /oder Schizophrenie als separate Leistungsauslöser.

Verhältnis zu anderen versicherten Grundfähigkeiten

Grundsätzlich sollten psychische Erkrankungen zudem nicht mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) verwechselt werden. Zwar sind die beiden Bereiche oft eng miteinander verbunden. Aber während sich psychische Erkrankungen vor allem durch Veränderungen im Denken, Fühlen und Verhalten manifestieren, handelt es sich bei Erkrankungen des ZNS meist um physische Schäden oder Funktionsstörungen. Typische Beispiele sind etwa Parkinson oder Multiple Sklerose.

Weiterhin wäre zu beachten, dass es auch bei prinzipiell versicherten Grundfähigkeiten möglicherweise Ausschlüsse im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen geben kann. So gilt zum Beispiel hier bei der Grundfähigkeit „Verlust der Fahrerlaubnis“:

„Ausdrücklich vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind alle Fälle, in denen die Fahrerlaubnis der Versicherten Person aufgrund von Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch oder aufgrund von psychischen Beeinträchtigungen oder neurotischen Fehlentwicklungen entzogen oder freiwillig zurückgegeben wird oder vor dem 30. Lebensjahr erstmalig nicht erworben werden kann.“

Wenn also einer Versicherten Person aufgrund des Vorhandenseins einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung der Führerschein entzogen wird, dann gibt es aufgrund der oben genannten Einschränkung trotz des Verlustes der Fahrerlaubnis keine Leistung aus dieser Grundfähigkeit. Gleichzeitig wird aber auch wegen der PTBS selbst keine Leistung fällig, da diese nicht mitversichert ist.

Beim Umtausch in eine Berufsunfähigkeitsversicherung

Schließlich sollte auch darauf hingewiesen werden, dass bei – auch nachträglichem – Einschluss eines Bausteins „Psyche“ sich die Prämien in der Regel deutlich erhöhen und möglicherweise neue /erweiterte Gesundheitsfragen erforderlich werden. Das Gleiche gilt gegebenenfalls auch dann, wenn in der Grundfähigkeitsversicherung von einer BU-Umtauschoption Gebrauch gemacht wird.

Da in der GF häufig gar nicht oder zumindest anders nach psychischen Vorerkrankungen gefragt wird, ist es durchaus verständlich, dass der Versicherer dies nachholen möchte, wenn der Umtausch in eine BU erfolgt. Die Leistungsvoraussetzungen sind schließlich gerade im Hinblick auf die Psyche gänzlich andere. Oder anders ausgedrückt: Bei der Absicherung der Psyche im Rahmen der GF handelt es sich häufig eher um eine „Worst Case-Absicherung“ für die ganz schweren Fälle.

Gänzlich unterschiedliche Definitionen

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass der Leistungsfall „Psyche“ in der Grundfähigkeitsversicherung gänzlich anders geregelt /definiert ist als in der Berufs- beziehungsweise Erwerbsunfähigkeitsversicherung.

Auch wenn vielfach die Psyche optional – gegen Mehrprämie – eingeschlossen werden kann, sollte man sich die Definition eines solchen Bausteins ganz genau anschauen. Nicht jede psychische Erkrankung, die in der BU beziehungsweise EU zu einer Leistung führen würde, ist auch automatisch Leistungsauslöser eines Psyche-Bausteins in der GF.

Dr. Jörg Schulz

Der Autor ist Geschäftsführer der infinma Institut für Finanz-Markt-Analyse GmbH.

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Schlagwörter zu diesem Artikel
Berufsunfähigkeit · Erwerbsunfähigkeit · Grundfähigkeitsversicherung
 
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