7.8.2025 – Ein Berufsunfähigkeitsversicherer kann im Rahmen der konkreten Verweisung die Rentenzahlung einstellen, auch wenn die neue Tätigkeit keine formale Berufsausbildung erfordert – vorausgesetzt, sie entspricht dem Qualifikationsniveau der vorherigen Tätigkeit. Das bestätigte das Oberlandesgericht Brandenburg mit einem Urteil.
Ein Mann arbeitete nach erfolgreicher Ausbildung viele Jahre als Karosseriemechaniker. Aufgrund einer Schultergelenkserkrankung musste er den Beruf im Jahr 2016 aufgeben.
Er verfügte über zwei private Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen (BUZ), die seine Berufsunfähigkeit im Sinne der jeweiligen Bedingungen anerkannten. Der Versicherer zahlte daraufhin eine monatliche Rente von insgesamt knapp 1.200 Euro.
Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens stellte der Versicherer fest, dass der frühere Automechaniker bereits seit 2017 als Gruppenleiter in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung tätig war. Für diese Position hatte er zwar eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation erworben, diese war jedoch freiwillig und keine formale Voraussetzung für die Tätigkeit.
Daraufhin verwies der Versicherer den Mann auf seinen neuen Beruf und stellte zum 30. August 2022 die Rentenzahlungen ein. Er berief sich dabei auf die Klausel zur konkreten Verweisung in den AVB: Demnach kann die Leistung eingestellt werden, wenn die versicherte Person tatsächlich in einem anderen Beruf arbeitet, der ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.
Der Mann klagte daraufhin gegen seinen Berufsunfähigkeitsversicherer – und hatte zunächst Erfolg. Das Landgericht Potsdam entschied mit Urteil vom 25. Januar 2024 (13 O 58/23), dass er nicht auf seine neue Tätigkeit verwiesen werden dürfe und seine Berufsunfähigkeit weiterhin bestehe.
Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der neue Beruf zwar eine vergleichbare soziale Wertschätzung genieße wie die frühere Tätigkeit als Automechaniker. Die Verweisung scheitere demnach nicht an diesem Kriterium.
Entscheidend war aus Sicht des Gerichts vielmehr, dass die handwerklich-fachlichen Anforderungen als Automechaniker deutlich höher seien. Für diesen Beruf sei nicht nur eine Facharbeiterausbildung erforderlich, sondern auch umfangreiche mathematische und handwerkliche Kenntnisse für Reparatur, Demontage und fachgerechte Wiedermontage.
Solche Kenntnisse seien für die Tätigkeit als Gruppenleiter in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung nicht notwendig. Folglich dürfe der Versicherer die Zahlungen nicht einstellen.
Eine Vergleichstätigkeit ist mithin dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung wie in ihrer Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufes absinkt.
OLG Brandenburg
Das Oberlandesgericht Brandenburg hob jedoch mit Urteil vom 30. April 2025 (11 U 45/24) die Entscheidung der Vorinstanz auf. Nach Auffassung des Gerichts darf der Versicherer den früheren Automechaniker wirksam auf seine neue Tätigkeit verweisen.
Der zuständige 11. Zivilsenat stellte dabei klar, dass die Beweislast zunächst beim Versicherer liegt, wenn er eine konkrete Verweisung geltend machen will. Doch den Versicherungsnehmer treffe eine sekundäre Darlegungslast. Er müsse nach dem Verweis überzeugend darlegen, aus welchen konkreten Umständen eine Verweisung ausscheide.
Maßgeblich sei hierbei die Lebensstellung, die durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit bestimmt werde. Diese werde – so das Gericht – insbesondere durch die Qualifikation, die Vergütung sowie die für eine ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen geprägt.
Nach Auffassung des Gerichts darf ein Versicherter zwar nicht ohne Weiteres auf eine Tätigkeit verwiesen werden, für die keine Berufsausbildung erforderlich ist – ein solcher Verweis sei aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei eine Ausbildung ein wichtiger Anhaltspunkt im Vergleich zwischen bisheriger und neuer Tätigkeit, da sie in der Regel mit einem höheren gesellschaftlichen Ansehen verbunden ist. Ihr komme jedoch lediglich eine „indizielle Wirkung“ zu.
Das bedeutet: Die Ausbildung ist zwar ein gewichtiges Indiz für die Lebensstellung, entscheidet darüber aber nicht allein. Vielmehr ist im Rahmen einer Gesamtabwägung zu prüfen, ob die neue Tätigkeit insgesamt geeignet ist, die bisherige Lebensstellung zu wahren – unter Einbeziehung von Qualifikation, erforderlichen Kenntnissen, Einkommensniveau und Entwicklungsperspektiven.
Im konkreten Fall betonte das OLG, dass die Tätigkeit eines Gruppenleiters in einer Werkstatt für behinderte Menschen ein qualifiziertes Anforderungsprofil erfordere, das deutlich über einen einfachen Ausbildungsnachweis hinausgehe. Dies habe das Landgericht Potsdam in seiner Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt.
So verlange die Tätigkeit laut WVO eine abgeschlossene Berufsausbildung sowie eine mindestens zweijährige Erfahrung im Beruf. Die Mitarbeiter sollen laut Verordnung in der Regel Facharbeiter, Gesellen oder Meister in Industrie und Handwerk sein.
Auch müssen sie darüber hinaus pädagogisch geeignet sein und über eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation verfügen – dies fordere der Arbeitgeber des früheren Automechanikers sogar explizit. Vor diesem Hintergrund seien die Qualifikationsanforderungen in der neuen Tätigkeit sogar als höherwertig im Vergleich zum früheren Beruf als Automechaniker einzustufen.
Das Urteil des OLG Brandenburg zeigt, dass die Vergleichbarkeit zwischen der Verweisungstätigkeit und der vorherigen Tätigkeit auf unterschiedlichen Kriterien beruht. Dabei ist auf die Gesamtsituation abzustellen.
Björn Thorben M. Jöhnke
Darüber hinaus erfahre die Tätigkeit als Gruppenleiter aufgrund des Bezugs zur Behindertenarbeit eine gesteigerte gesellschaftliche Anerkennung, was im Rahmen der Gesamtbetrachtung für einen beruflichen Aufstieg spreche. Die Vergütung bewege sich in vergleichbarer Höhe zur vorherigen Beschäftigung und war nicht entscheidungserheblich.
Somit konnte der frühere Automechaniker nach Auffassung des Gerichts nicht erfolgreich darlegen, was gegen die konkrete Verweisung auf seine neue Tätigkeit spricht. Der Versicherer ist daher berechtigt, die Zahlungen einzustellen. Eine Revision des Urteils wurde nicht zugelassen.
„Das Urteil des OLG Brandenburg zeigt, dass die Vergleichbarkeit zwischen der Verweisungstätigkeit und der vorherigen Tätigkeit auf unterschiedlichen Kriterien beruht“, kommentiert Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke auf dem Blog der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB.
„Statt die einzelnen Kriterien zu vergleichen, ist vielmehr auf die Gesamtsituation abzustellen und aufgrund dieser zu beurteilen, ob es sich um vergleichbare Tätigkeiten handelt“, so Jöhnke.
Mit einer Anzeige im Extrablatt erreichen Sie mehr als 12.500 Menschen im Versicherungsvertrieb, überwiegend ungebundene Vermittler. Über die Konditionen informieren die Mediadaten.
Ihre Leserbriefe können für andere Leser eine wesentliche Ergänzung zu unserer Berichterstattung sein. Bitte schreiben Sie Ihre Kommentare unter den Artikel in das dafür vorgesehene Eingabefeld.
Die Redaktion freut sich auch über Hintergrund- und Insiderinformationen, wenn sie nicht zur Veröffentlichung unter dem Namen des Informanten bestimmt ist. Wir sichern unseren Lesern absolute Vertraulichkeit zu. Schreiben Sie bitte an redaktion@versicherungsjournal.de.
Allgemeine Pressemitteilungen erbitten wir an meldungen@versicherungsjournal.de.
Geraten Sie in Verkaufssituationen immer wieder an Grenzen?
Wie Sie unterschiedliche Persönlichkeitstypen zielgerichtet ansprechen, erfahren Sie im Praktikerhandbuch „Vertriebsgötter“.
Interessiert? Dann können Sie das Buch ab sofort zum vergünstigten Schnäppchenpreis unter diesem Link bestellen.