3.12.2025 – Die Zahl der Menschen, die an Chronischem Erschöpfungssyndrom (ME/CFS) oder Long Covid leiden, geht in die Millionen. Versicherungsmakler berichten, wie sie als Vermittler mit der Erkrankung bei ihren Kunden umgehen, welche Herausforderungen sich bei der Beantragung einer Berufsunfähigkeitsversicherung ergeben und wie sich Leistungsfälle in der Praxis darstellen.
Betroffene des Chronischen Erschöpfungssyndroms (ME/CFS) können schon durch einfachste Aufgaben im Arbeitsalltag überfordert werden:
Kleine Aufgaben wie Telefonate führen, E-Mails beantworten oder eine Besprechung können – je nach Ausprägung – Stunden später zu massiver Erschöpfung, Schmerzen, Kreislaufproblemen und kognitiver Benebelung führen. Diese Belastungseinbrüche wiederholen sich in Zyklen und machen eine reguläre Berufstätigkeit oft unmöglich.
Laut einer Studie im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS e.V. stieg die Zahl der Betroffenen auch durch die Coronapandemie und Long Covid stark an: von rund 400.000 zum Jahresbeginn 2020 auf nun rund 1,5 Millionen Bundesbürger. Die Studie stützt sich auf Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sowie auf Musterberechnungen.
Die Bundesregierung reagierte: Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) und Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU) riefen im November die „Nationale Dekade gegen postinfektiöse Erkrankungen“ aus. Innerhalb eines Jahrzehnts sollen 500 Millionen Euro zusätzlich in die Erforschung der Krankheit fließen.
In der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung ist das chronische Erschöpfungssyndrom einer der komplexesten Sachverhalte.
Das zeigt eine Umfrage des VersicherungsJournals unter spezialisierten Vermittlern und Versicherern. Den Anstoß gab Versicherungsmakler Tobias Riefe, Geschäftsführer der L & R Finanzkonzepte Lampe und Riefe GmbH & Co. KG, der auf den Rechtsstreit einer Mandantin aufmerksam machte.

Die Schwierigkeiten in der BU-Praxis hängen eng mit den Eigenarten des Krankheitsbildes zusammen:
Wenn die Erkrankung akut ist und zeitlich sehr nah liegt, erfolgt eine klare Ablehnung – kein Zuschlag, kein Ausschluss.
Tobias Bierl

Die Antworten der spezialisierten Versicherungsmakler zeigen, dass sie für das Thema ME/CFS sensibilisiert sind – unter anderem, weil sie entsprechende Fälle im Kundenkreis wahrnehmen. Einigkeit besteht weitgehend darin, dass der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung mit bestehender Erkrankung schwierig bis unmöglich ist.
„Wenn ME/CFS beim BU-Abschluss noch besteht oder auch nur in den Abfragezeitraum der Gesundheitsfragen fällt, wird das nach unserer Erfahrung nichts mit einer BU. Wir haben allerdings auch nicht viele Anfragen von Menschen mit dieser Vorerkrankung“, schreibt Matthias Helberg von der Matthias Helberg Versicherungsmakler e.K.
Tobias Bierl von der Finanzberatung Bierl GmbH berichtet, dass in den Informationstexten auf seiner Webseite CFS als eine der Diagnosen aufgeführt wird, die in der Regel direkt zur Ablehnung eines BU-Antrags führen. „Wenn die Erkrankung akut ist und zeitlich sehr nah liegt, erfolgt eine klare Ablehnung – kein Zuschlag, kein Ausschluss“, erklärt Bierl. Dennoch erhalte er entsprechende Anfragen.
Ein Grund, weshalb eine BU auch nicht unter Ausschluss von ME/CFS möglich sei, sei das diffuse Krankheitsbild, berichtet Bierl. „Risikoprüfer bevorzugen klare Krankheitsbilder, bei denen sich saubere Ausschlussklauseln vergeben lassen. Diffuse Krankheitsbilder hingegen sind schwer abgrenzbar und können auf Vieles Einfluss haben“, erklärt der Makler.
Anders verhalte es sich, wenn die Erkrankung außerhalb des abgefragten Diagnosezeitraums liege und der Antragsteller bereits genesen sei. Bierl betont, dass in solchen Fällen die Krankenakte genau geprüft werden muss, um eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zu vermeiden – etwa im Hinblick auf durchgeführte Behandlungen, Therapien oder mögliche Falschdiagnosen.
Gerade, wenn es um ME/CFS als Krankheitsursache geht, zeigt sich in der Leistungspraxis der Riesenvorteil einer AU-Klausel.
Matthias Helberg

Doch wie verhält es sich, wenn der Versicherer nach einer Erkrankung die Diagnose anficht und die Leistung verweigert? Um solche Zeiträume zu überbrücken, empfiehlt Matthias Helberg den Einschluss einer Arbeitsunfähigkeitsklausel, die bei ihm mittlerweile Standard in der Vermittlung sei.
„Gerade, wenn es um ME/CFS als Krankheitsursache geht, zeigt sich in der Leistungspraxis der Riesenvorteil einer AU-Klausel, denn es kommt nur auf die Dauer einer Krankschreibung und in der Regel nicht auf deren Ursache an“, so Helberg.
Da die Leistung an die ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit gebunden ist und nicht an eine dauerhafte Berufsunfähigkeit, können Versicherer das gezahlte Geld auch dann nicht zurückverlangen, wenn die Krankheitsdiagnose später nicht bestätigt wird. Allerdings ist die Leistungspflicht des Versicherers zeitlich begrenzt – zum Beispiel auf zwölf bis 18 Monate.
Leistungsfälle im Kundenkreis nehmen die Vermittler vereinzelt wahr – wenn auch noch nicht in großer Zahl.
Helberg berichtet, dass bei ihm diese Fälle in der Regel unter Post-Covid-19 laufen. Dabei ist zu beachten, dass Post-Covid-Erkrankungen auf ME/CFS zurückzuführen sein können, Long Covid aber als Überbegriff für verschiedene Krankheitsbilder verwendet wird.
Auf seinem Blog schildert der Makler Fälle, in denen er Kunden dabei begleitete, eine BU-Leistung nach einer Coronainfektion erfolgreich zu beantragen. In beiden Fällen war der Versicherer die Alte Leipziger Lebensversicherung a.G.
Auch Guido Lehberg von Die Versicherungsprofis GmbH berichtet: „Wir haben aktuell einen Leistungsfall mit Post-Covid im Kundenkreis, bei dem ME/CFS vorliegt und der seit über einem Jahr bereits Krankentagegeld bezieht und wir nun in den Leistungsfall einsteigen, da eine Besserung aktuell nicht in Sicht scheint.“
Das Büro von Tobias Bierl arbeitet mit einem spezialisierten Versicherungsberater zusammen und verweist Kunden bei der Beantragung an die BU-Expertenservice GmbH. Diese begleitet die Leistungsbeantragung und bereitet die notwendigen Unterlagen professionell auf.
Wie herausfordernd der Nachweis einer ME/CFS-Erkrankung im Rechtsstreit sein kann, zeigt der Fall, den Versicherungsmakler Tobias Riefe schildert. Das Landgericht Köln stellte mit Urteil vom 17. Juli 2024 (26 O 404/20) fest, dass bei der Versicherungsnehmerin keine Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen vorliegt. Das Urteil liegt dem VersicherungsJournal in geschwärzter Form vor.
Geklagt hatte eine Diplom-Ingenieurin, die in leitender Position tätig war. Ab 2017 traten bei ihr Symptome wie starke Erschöpfung, Konzentrationsprobleme und wiederkehrende Schmerzen auf, weshalb sie sich in psychologische Behandlung begab. Zwischen 2017 und 2018 war sie mehrfach über längere Zeiträume teilstationär und stationär in Behandlung.
Im Entlassungsbericht der Klinik wurden eine mittelgradige depressive Episode und – aufgrund der Schmerzen – eine Migräne ohne Aura diagnostiziert.
Wie Makler Riefe berichtet, zog sich der Rechtsstreit fast acht Jahre hin. Und obwohl die Deutsche Rentenversicherung bei der Frau eine volle Erwerbsminderungsrente anerkannt habe, habe der BU-Versicherer die Leistung verweigert.
Das Landgericht stützte sich im Verfahren auf ein selbst eingeholtes Gutachten, das zu dem Ergebnis kam, dass keine Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen vorliege. Der Gutachter konzentrierte sich dabei auf die Frage einer psychischen Erkrankung – das mögliche Vorliegen von ME/CFS wurde hingegen nicht vertieft geprüft.
Zum Nachteil der Klägerin wertete der Gutachter, dass sie während der gutachterlichen Untersuchung eine für ihn unerwartet hohe kognitive Leistungsfähigkeit zeigte. Sie habe den mehrstündigen Abläufen folgen und sich aktiv einbringen können. Erhebliche Schwankungen im Leistungsniveau seien außergewöhnlich und auch durch eine depressive Erkrankung nicht erklärbar.
Ein von der HDI beauftragter Gutachter hatte bei der Frau zudem ein ausgeprägtes Aggravationsverhalten behauptet: Sie würde vorhandene Beschwerden bewusst übertrieben darstellen, um kränker oder stärker beeinträchtigt zu wirken. Wurde es hier der Frau zum Nachteil, dass Symptome bei ME/CFS oft erst nach der Belastungssituation auftreten?
Das Landgericht entschied auf Grundlage dieses Gutachtens und nach der mündlichen Anhörung der Klägerin zugunsten des Versicherers. Den Antrag der Frau, zusätzlich ein biochemisches Gutachten eines auf ME/CFS spezialisierten Experten einzuholen – um nicht nur eine psychische Erkrankung, sondern auch ein chronisches Erschöpfungssyndrom prüfen zu lassen –, wies das Gericht zurück.
Anlass für die Forderung nach einem weiteren Gutachten war ein Bluttest, bei dem ein verminderter ATP-Wert festgestellt wurde. Dieser kann auf eine gestörte zelluläre Energieproduktion hinweisen – etwas, das bei vielen ME/CFS-Patienten tatsächlich beobachtet wird.
Das Gericht folgte dem Antrag nicht. Ein verminderter ATP-Wert könne zum Beispiel auch aus sportlicher Betätigung resultieren, argumentierte das Gericht. Zudem handle es sich bei dem beauftragten Gutachter um einen erfahrenen und zuverlässigen Experten, so dass kein weiteres Gutachten notwendig sei.
Das Oberlandesgericht stellte in einer Verfügung zunächst klar, dass die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung im vereinfachten Beschlussverfahren nach § 522 Absatz 2 ZPO nicht vorliegen. Eine Entscheidung per Kurzbeschluss komme daher nicht infrage.
In der inhaltlichen Vorbewertung hält der Senat die Berufung der Klägerin dennoch für aussichtslos. Insbesondere gebe es keinen Anlass, ein weiteres biochemisches Gutachten einzuholen – etwa zur Klärung des verminderten ATP-Werts. Nach Auffassung des Gerichts sei dieser Befund nicht geeignet, die erstinstanzliche Einschätzung zur fehlenden Berufsunfähigkeit zu erschüttern.
„Der Rechtsanwalt hat der Kundin erklärt, dass er leider in den letzten Jahren mehrmals die Erfahrung gemacht hat, dass das ME/CFS von Gutachtern und somit auch den Richtern im Rahmen einer BU-Prüfung nicht akzeptiert wird“, berichtet Riefe dem VersicherungsJournal.
Gleichwohl gibt es auch Urteile, in denen Gerichte zugunsten der Betroffenen entschieden haben – entscheidend bleibt stets der konkrete Einzelfall.
So hat das Oberlandesgericht Hamm mit einem rechtskräftigen Urteil vom 13. September 2023 (20 U 371/22) einen Versicherer zur Zahlung von 138.872 Euro nebst Zinsen verurteilt, nachdem bei einer ehemaligen Grundschullehrerin ein Erschöpfungssyndrom nachgewiesen wurde.
Das Gericht stellte dabei besonders auf die Anforderungen ab, die an den Nachweis einer Berufsunfähigkeit bei dieser Erkrankung zu stellen sind. Der Versicherer hatte argumentiert, die Krankheit sei mangels Labor- und Bildbefunden nicht objektiv belegbar – dies sei jedoch laut Bedingungen erforderlich. Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht.
Dabei hob das Gericht folgende Gründe hervor, im Sinne der Versicherungsnehmerin zu entscheiden:
Dr. Markus Otto von der Kanzlei Otto, Hugendubel & Emmert weist in einem Artikel auf anwalt.de als Fazit des Urteils darauf hin, dass es sowohl vorgerichtlich als auch gerichtlich entscheidend ist, sachkundige Gutachter für ME/CFS-Fälle zu beauftragen, um die komplexe Erkrankung gegenüber Versicherern und Gerichten fundiert nachzuweisen.
„In der Regel sind hier fachübergreifende Gutachten erforderlich, in der Regel ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten, ein immunologisches Gutachten, aber auch ein endokrinologisches und hämatologisches Gutachten können geboten sein“, schreibt Otto. Bereits im Zuge einer Leistungsanmeldung sei – auch in der Regel krankheitsbedingt – die Unterstützung Dritter auf der Hand liegend.
Doch auch im letzten Streitfall vergingen – vom Leistungsantrag bis zum Urteil zugunsten der Klägerin – volle sechs Jahre, in denen die Betroffene ohne die beantragten Leistungen auskommen musste und nicht sicher sein konnte, ob sie eine Rente zugesprochen bekommt.
Henriette Meissner - Fachkundige Begleitung durch Makler ist wichtig. mehr ...
Matthias Helberg - Gerichtsverfahren zur Anerkennung einer Berufsunfähigkeit sind nicht die Regel sind. mehr ...
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