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Bei Hilfeleistung selbst verletzt: Wer für die Folgen haftet

7.11.2025 – Nach einem Auffahrunfall zweier Pkw hielt die Lenkerin eines Motorrollers an, um Erste Hilfe zu leisten. Beim Abstellen ihres Rollers verletzte sie sich in der Hektik. Dies sei dem Betrieb des unfallverursachenden Kfz zuzurechnen, befand das OLG Hamm. Der „Mitverursachungsbeitrag“ hinsichtlich der Betriebsgefahr des Motorrads sei aber in die Abwägung einzustellen.

Ein Pkw war im August 2013 einem anderen Pkw aufgefahren; der vordere überschlug sich und blieb auf dem Dach liegen. Beide Autos kamen erst im Straßengraben zum Stillstand.

Frau A. war mit ihrem Motorroller unterwegs und selbst nicht am Unfall beteiligt. Sie hielt an, weil sie Erste Hilfe leisten wollte. Als sie ihren Roller abstellte, fiel er jedoch auf ihren Fuß. Dabei erlitt sie einen Fersenbein-Trümmerbruch.

Der gesetzliche Unfallversicherer von Frau A. machte gegen die nun Beklagten – Lenkerin, Halterin und Haftpflichtversicherer des auffahrenden Pkw – Ansprüche von Frau A. aus übergegangenem Recht gemäß § 116 SGB X geltend.

Landgericht: Vorausgegangener Auffahrunfall hat Sturz „mitgeprägt“

Das Landgericht Münster erklärte einen Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt, dies unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von 30 Prozent. Es stellte zudem eine Ersatzpflicht der Beklagten zu 70 Prozent hinsichtlich materieller Zukunftsschäden und -aufwendungen fest.

Der Unfall von Frau A. habe sich beim Betrieb des Beklagtenfahrzeugs – also des auffahrenden Pkws – ereignet. Der Auffahrunfall habe den – in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang erfolgten – Sturz von Frau A. mitgeprägt. Sie habe sich in nervöser Hektik befunden, was angesichts der Unfallsituation nachvollziehbar erscheine.

Die Beklagtenseite sah hingegen keinen haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang: Der Erstunfall habe den Sturz von Frau A. nicht unmittelbar ausgelöst. In ihrem Unfall habe sich ihr allgemeines Lebensrisiko verwirklicht. Zudem treffe sie ein erhebliches Eigenverschulden.

Die Beklagten legten Berufung ein. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm beschied ihnen mit Beschluss vom 5. Mai 2025 (7 U 97/23) allerdings „keine Aussicht auf Erfolg“: Das Landgericht habe der Klage zu Recht mit Teilgrund- und Teilendurteil überwiegend stattgegeben.

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OLG: Sturz im Zusammenhang mit Betrieb des Beklagtenfahrzeugs

Das OLG befand in seinem Hinweisbeschluss: Dem Unfallversicherer stehe aus übergegangenem Recht der Frau A. gegen die Beklagten dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 7, 18 StVG in Verbindung mit § 115 VVG zu.

A.s Sturz sei bei Betrieb des Beklagtenfahrzeugs erfolgt. Das Merkmal „bei Betrieb“ sei weit auszulegen. Ein Schaden sei schon dann beim Betrieb eines Kfz entstanden, wenn sich in ihm die vom Kfz ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, „d. h., wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensereignis durch das Kraftfahrzeug (mit) geprägt worden ist“.

Für die Schadloshaltung sei aber stets erforderlich, dass die Schadensfolge in den Bereich der Gefahren falle, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist.

Auffahrunfall setzte „entscheidende Ursache“ für A.s Handeln

A.s Verletzung sei dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs zuzurechnen. Der Auffahrunfall habe „die entscheidende Ursache“ dafür gesetzt, dass sie zur Hilfeleistung anhielt. Dass ihre Verletzung letztlich auf die eigene Handlungsweise zurückzuführen und nur mittelbare Folge des vorausgegangenen Unfalls war, lasse hier den Schutzzweckzusammenhang nicht entfallen.

„Sofern eine Rettungshandlung von billigenswerten Motiven getragen und darüber hinaus im Hinblick auf den sonst drohenden Schaden vernünftig und angemessen (nicht unverhältnismäßig) erscheint, haftet derjenige, der die Gefährdungslage in sorgfaltswidriger Weise geschaffen hat, für die Nachteile, die der Retter bei seinem Eingreifen erleidet“, so das OLG.

„Lediglich dann, wenn die Selbstgefährdung bei einer Rettungsmaßnahme zu groß erscheint und diese daher als unvernünftig anzusehen wäre, kann erwartet werden, dass der Hilfswillige von einem Eingreifen absieht […].“

Es habe sich auch nicht bloß das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht. Grund für A.s Sturz seien die Hektik und Eile angesichts der Unfallsituation gewesen. Diese Situation habe eine erhebliche Gefahrsteigerung bewirkt, die sich letztlich verwirklicht habe.

Die Betriebsgefahr des Motorrollers

Auf Seiten von Frau A. sei die Betriebsgefahr des Motorrollers zu berücksichtigen, der sich ebenfalls noch in Betrieb befunden hat, so das OLG.

Dessen Betriebsgefahr sei – entgegen der Ansicht des Landgerichts – auch nicht als geringer als die Betriebsgefahr des Beklagten-Pkw zu gewichten, „da sich vorliegend eine Zweirädern innewohnende besondere Gefahrenlage in dem konkreten Unfallgeschehen ausgewirkt hat“.

Zutreffend sei das Landgericht von einem Mitverschuldensvorwurf gegen die Zeugin A insoweit ausgegangen, als diese die erforderliche Sorgfalt beim Abstellen des Motorrollers habe vermissen lassen.

Das Gewicht dieses Mitverschuldens sei allerdings „insoweit relativiert“, als sich A. eben in Eile befand, um schnellstmöglich Hilfe zu leisten. In einer solchen Situation „kann nicht schlechterdings mit einer vollständig durchdachten und allen Sorgfaltsanforderungen gerecht werdenden Reaktion gerechnet werden“.

Anmerkung zum Verfahren

Den Beklagten wurde Gelegenheit gegeben, nach Zustellung des Hinweisbeschlusses Stellung zu nehmen. Die Berufung wurde auf den Hinweis hin zurückgenommen.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Haftpflichtversicherung · Pkw · Versicherungsvertragsgesetz
 
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