Wenn eine mangelnde Baustellenabsicherung zu einem Unfall führt

11.4.2025 – Wer bei einem Unfall in einer Straßenbaustelle zu Schaden kommt, weil er die Verkehrsführung falsch interpretiert, trägt nicht automatisch die alleinige Schuld. Auch der für die Verkehrssicherungspflicht der Baustelle zuständige Träger kann haften, wenn die Absicherung mangelhaft war, wie ein Gerichtsurteil belegt.

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Ein Mann fuhr mit seinem Pkw in eine Baustelle an einem Rasthof nahe einer Bundesautobahn. Dabei geriet er mit seinem Fahrzeug in einen tief ausgefrästen Baustellenbereich. Das Fahrzeug setzte unter anderem mit dem Unterboden auf und konnte aus eigener Kraft nicht mehr aus der Unfallstelle fahren, sondern musste abgeschleppt werden.

Der Kfz-Fahrer, der auch der Pkw-Halter war, verklagte die Gemeinde, die für die Baustelle als Straßenbaulastträger für die Verkehrssicherungspflicht zuständig ist, unter anderem auf die Übernahme der Reparaturkosten. Er war der Ansicht, dass der Baustellenbereich nicht wie vorgeschrieben abgesichert und die Beschilderung unklar gewesen sei.

Baustelle ordnungsgemäß beschildert?

Laut den vom Kläger und der Polizei vorgelegten Bildern bestand die Baustellensicherung im Wesentlichen aus einzelnen, teils mit großem Abstand aufgestellten Schrankenzaunelementen. Zudem gab es ein Verkehrszeichen mit einem nach rechts zeigenden, rückstrahlenden Richtungspfeil, ein Einbahnstraßenschild, das jedoch hinter der Auskofferung stand, sowie rückstrahlende Warnelemente ohne Leuchten.

Vor Gericht erklärte die Gemeinde, dass die Baustelle ordnungsgemäß beschildert gewesen sei. Der Kläger habe entgegen der Fahrtrichtung in den Baustellenbereich fahren wollen und den Unfall selbst verursacht.

Unaufmerksamer Fahrer

Das Landgericht (LG) Potsdam wies die Klage des Kfz-Halters ab. Die Richterin des LG sah keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, da die Gefahrenlage für aufmerksame Fahrer erkennbar gewesen sei.

„Selbst wenn die Verkehrsführung irritierend gewesen sein sollte, seien angesichts des Rechtsabbiegepfeils an der Ausfahrt und des gegenüberliegenden Einbahnstraßenschildes quer aufgestellte Absperrschranken nicht erforderlich gewesen“, so die Gerichtsentscheidung. Ferner war laut LG nicht damit zu rechnen gewesen, dass jemand – wie der Kläger – bewusst zwischen den Absperrungen hindurchfährt.

Gegen das Urteil des LG legte der Pkw-Halter Berufung ein.

Unzureichende Baustellenabsicherung

Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg hat die Entscheidung des LG mit einem Urteil (2 U 30/24) vom 16. Dezember 2024 aufgehoben und der Berufung des Klägers überwiegend stattgegeben. Anders als die Vorinstanz stellte das OLG eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die beklagte Gemeinde fest. Die Gemeinde habe nicht alle zumutbaren Maßnahmen getroffen, um Verkehrsteilnehmer vor den Gefahren der Baustelle zu schützen.

Laut einer für die Baustelle geltenden verkehrsrechtlichen Anordnung wäre sie so auszuschildern gewesen, dass Verkehrsteilnehmer die Verkehrsführung schnell und zweifelsfrei erkennen können. Alle Verkehrszeichen und -Einrichtungen hätten rückstrahlen oder beleuchtet sein müssen. Zudem wäre es notwendig gewesen, die Baugrube ausreichend kenntlich zu machen – Absperrfahnen allein reichen dafür in der Regel nicht aus.

Eindruck einer Fahrbahn entstanden

„Die Baustelle und vor allem der ausgekofferte Bereich waren nur rudimentär durch in weitem Abstand stehende Schrankenzaunelemente angedeutet. Der Gefahrenbereich war weder besonders beleuchtet noch ausreichend kenntlich gemacht“, heißt es in dem Urteil.

Zudem waren bei der Auskofferung keine Absperrfahnen, keine Baken und auch keine ausreichende Abschrankung vorhanden. Dadurch konnte der Eindruck einer Fahrbahn zwischen den Schrankenzaunelementen entstehen.

Weiter heißt es im Urteil: „Der Rechtspfeil war zu weit rechts angebracht, um von allen Verkehrsteilnehmern hinreichend sicher wahrgenommen zu werden. Das mit ihm angeordnete Rechtsfahrgebot machte zudem nur, wie das jenseits der Auskofferung aufgestellte Einbahnstraßenschild, die vorgeschriebene Fahrtrichtung kenntlich. Es machte nicht deutlich, dass die Fahrbahn nur vor dem vereinzelten Schrankenzaunelement verlief.“

Verstoß gegen das Sichtfahrgebot

Allerdings haftet die Gemeinde laut der OLG-Entscheidung nur für 60 Prozent des Schadens, da den Kläger eine Mitschuld am Unfall trifft. Konkret hat der Autofahrer nach der Urteilsbegründung gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Absatz 1 StVO verstoßen.

Er hätte nur so schnell fahren dürfen, dass er innerhalb der übersehbaren Strecke jederzeit hätte halten können, „insbesondere vor einem Hindernis, das sich innerhalb der übersehbaren Strecke auf der Straße befindet“.

Aufgrund der ausgeschilderten Baustellensituation bei der Anfahrt zur Raststätte hätte er besondere Umsicht und Sorgfalt walten lassen und seine Geschwindigkeit der unklaren Verkehrslage anpassen müssen. Allerdings wurde nicht festgestellt, dass er besonders schnell fuhr.

Zudem sei ihm keine besondere Leichtsinnigkeit vorzuwerfen, da er „sich in dieser nicht nur für ihn unübersichtlichen Lage in erster Linie auf die Verkehrsführung konzentrierte und nicht auch den Boden nach nicht zu vermutenden Hindernissen und Gräben […] absuchte“. Dementsprechend wurde der Haftungsanteil des Klägers vom OLG auf 40 Prozent festgelegt.

Verkehrssicherungspflicht versus Eigenverantwortung

Das OLG-Urteil unterstreicht, dass Straßenbaulastträger im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht Baustellen so abzusichern haben, dass selbst unerfahrene oder weniger aufmerksame Verkehrsteilnehmer vor unerwarteten Gefahren geschützt sind.

Insbesondere in Bereichen mit unklarer Verkehrsführung und gravierenden Gefahren wie abgefrästen Fahrbahnteilen müssen klar ersichtliche und lückenlose Absperrungen, erkennbare Warnhinweise sowie eine eindeutige, verständliche Beschilderung vorhanden sein.

Gleichzeitig macht das Gericht deutlich: Auch bei unklarer oder verwirrender Verkehrslage trägt jeder Verkehrsteilnehmer eine Mitverantwortung. Wer sich nicht aufmerksam und vorsichtig verhält, muss sich ein Mitverschulden anrechnen lassen – selbst dann, wenn die Hauptursache des Unfalls bei der mangelhaften Sicherung liegt.

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Schlagwörter zu diesem Artikel
Pkw · Verkehrssicherungspflicht
 
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