8.5.2025 – Ein Radfahrer, der von der Straße über einen Gehweg in eine Einfahrt abbiegen will und dabei aufgrund eines leicht erhöhten, aber gut erkennbaren Bordsteins stürzt, hat keinen Anspruch auf ein Schmerzensgeld und einen Schadenersatz vom zuständigen Straßenbaulastträger. Denn in solchen Übergangsbereichen müssen Verkehrsteilnehmer nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein mit Unebenheiten rechnen und sich entsprechend umsichtig verhalten.
Eine Radfahrerin wollte mit ihrem E-Bike von der Straße auf den Gehweg abbiegen, um in die Einfahrt eines Hotels zu fahren. Fahrbahn und Gehweg bestehen aus einem ähnlichen Belag aus gelben Pflastersteinen. Der Übergang zwischen Straße und Gehweg ist mit einheitlich grauen Rinnen- und Tiefbordsteinen gestaltet. Der Bordstein ist wenige Zentimeter höher als der Rinnstein.
Die Velofahrerin stürzte, nachdem sich ihren Angaben zufolge ihr Vorderrad an der Bordsteinkante verfangen hatte. Bei dem Unfall erlitt sie schwere Verletzungen, die zu dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen führten.
Die Verunfallte verklagte die Gemeinde, die als Straßenbaulastträger für die Verkehrssicherheit der Straßen und Wege am Unfallort zuständig ist, auf Schmerzensgeld und Schadenersatz, da ihrer Ansicht nach der Bordstein kaum erkennbar gewesen sei.
Als einen Beleg für die bisherige ungenügende Verkehrssicherung gab die Verunglückte an, dass die Gemeinde nach ihrem Unfall zusätzlich eine weiße Markierung am Fahrbahnrand angebracht habe.
Die beklagte Gemeinde wehrte sich gegen den Vorwurf. Sie argumentierte, dass die Trennung zwischen Gehweg und Fahrbahn auch ohne besondere Markierung erkennbar und eine gewisse Unebenheit in solchen Bereichen üblich und hinzunehmen sei.
Das Landgericht (LG) Lübeck gab der Gemeinde recht und wies die Klage am 16. Dezember 2024 (4 O 235/24) ab. Das Gericht sah keine Amtspflichtverletzung der Gemeinde nach § 839 Absatz 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG.
Nach Ansicht des LG sei die Trennung zwischen Fahrbahn und Gehweg klar erkennbar gewesen – auch durch die andersfarbigen Rinnen- und Bordsteine. Zudem stellt der geringe Höhenunterschied keine außergewöhnliche Gefahrenquelle dar.
Im Urteil heißt es dazu: „Ein Radfahrer könne hier nicht auf ein gleich hohes Niveau der Verkehrsbereiche vertrauen. Vielmehr habe die Klägerin naturgemäß mit einem gewissen Höhenunterschied rechnen und dies beim Überfahren der Begrenzung berücksichtigen müssen.“
Der Höhenunterschied wäre nach Ausführungen des LG für die Radfahrerin mit der „gebotenen Aufmerksamkeit ausreichend erkennbar und bei gebotener vorausschauender Fahrweise in einem möglichst stumpfen Winkel zu überfahren“ gewesen.
„Auch die nachträglich aufgebrachte weiße Markierung begründe keine Haftung der Beklagten, weil es sich um eine überobligatorische Sicherheitsmaßnahme handele, die den objektiv nicht verkehrswidrigen Zustand lediglich weiter verfestigen solle. Derartige Maßnahmen zur Verhütung weiterer Unfälle ließen keinen Schluss auf einen zuvor verkehrswidrigen Zustand zu“, wie das LG betont.
Die Verunfallte legte Berufung gegen das Urteil ein, da ihrer Ansicht nach das Gericht den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt habe. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) bestätigte jedoch mit dem Beschluss vom 2. April 2025 (7 U 8/25) die Entscheidung des LG und wies die Berufung der Klägerin zurück.
Nach den Ausführungen des OLG sei „der Höhenunterschied zwischen Rinnen- und Tiefbordstein bei Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit und Sorgfalt ausreichend erkennbar. Dies gilt auch für ortsunkundige und ältere Radfahrer, die im Übrigen ihre Fahrweise an ihre persönlichen (Orts-)Kenntnisse und Fähigkeiten anzupassen haben.“
Weiter heißt es im Beschluss: „Mit einem ‚ebenerdigen‘ Übergang von Fahrbahn zu Gehweg kann allgemein nicht gerechnet werden, so dass solche Übergänge jedenfalls nicht im spitzen Winkel überfahren werden sollten.“
Eine öffentliche Verkehrsfläche muss sich nur in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand befinden.
OLG Schleswig
Nach Ausführungen des OLG würde „selbst im Falle des Vorliegens einer Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten das Mitverschulden der Klägerin gemäß § 254 BGB derart schwer wiegen“, dass die Haftung der Gemeinde dahinter vollständig zurücktreten würde.
Das Gericht betonte, dass der Gemeinde jedoch keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorzuwerfen ist. Denn: Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht eines Straßenbaulastträgers richtet sich danach, was ein durchschnittlicher Nutzer an Sicherheit erwarten darf. Zwar muss er Gefahrenstellen beseitigen, ist aber nicht verpflichtet, jede erdenkliche Unfallmöglichkeit auszuschließen.
„Vielmehr muss sich eine öffentliche Verkehrsfläche nur in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand befinden, der eine möglichst gefahrlose Benutzung zulässt“, wie im Beschluss ausgeführt wird. Verkehrsteilnehmer müssen sich auf die erkennbaren Gegebenheiten einstellen und mit typischen Gefahrenquellen wie Unebenheiten rechnen.
Die Richter stellen klar: Gemeinden müssen ihre Verkehrsflächen nicht gegen alle theoretisch denkbaren Risiken absichern. Leichte Höhenunterschiede an Übergängen zwischen Fahrbahn und Gehweg gelten als typische Gefahr, mit der Verkehrsteilnehmer rechnen müssen – insbesondere, wenn sie erkennbar und baulich üblich sind.
Für Radfahrer bedeutet das: Wer solche Stellen im spitzen Winkel überquert, ist selbst für den Unfall verantwortlich.
Das OLG verdeutlicht aber auch, wann ein Straßenbaulastträger laut gängiger Rechtsprechung handeln muss und entsprechende Sicherheitsmaßnahmen vorzunehmen hat.
Eingreifen muss der Straßenbaulastträger nur, wenn eine Gefahr besteht, die für einen durchschnittlichen „Benutzer bei Beachtung der von ihm zu erwartenden Eigensorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar ist und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag“.
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