Dürfen die Krankenkassen bald Basis- und Zusatzversicherungen anbieten?

11.9.2025 – Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet laut einem Medienbericht derzeit an einem Konzept, nach dem Krankenkassen künftig einen Basistarif sowie individuell buchbare Zusatzpakete anbieten könnten. Dies würde den Wettbewerb unter den Kassen stärken und soll künftige Beitragssteigerungen abmildern. Der PKV-Verband sieht darin jedoch eine Wettbewerbsverzerrung zulasten der privaten Krankenversicherer.

Die Krankenkassen haben im ersten Halbjahr 2025 deutlich steigende Kosten verzeichnet. Zwar wurde in den sechs Monaten ein Überschuss in Höhe von 2,8 Milliarden Euro erzielt, wie das Bundesministerium für Gesundheit mitteilt. Einnahmen von 176,8 Milliarden Euro standen Ausgaben in Höhe von 174,0 Milliarden Euro gegenüber.

Nina Warken (Bild: Tobias Koch)
Nina Warken (Bild: Tobias Koch)

Allerdings kletterten die Ausgaben für Leistungen und Verwaltung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 7,8 Prozent. Der Überschuss soll nun genutzt werden, um die Finanzreserven der Kassen aufzustocken.

GKV finanziell massiv unter Druck

Die Reserven beliefen sich zum Ende des Halbjahres auf rund 4,6 Milliarden Euro. Das entspricht lediglich 0,16 Monatsausgaben und liegt damit weiterhin unter der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestreserve von 0,2 Monatsausgaben.

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) warnte, die gesetzliche Krankenversicherung stehe „finanziell massiv unter Druck“. Die Ausgaben der Kassen wüchsen deutlich schneller als ihre Einnahmen.

Für das kommende Jahr rechnet die Politikerin bei der Krankenversicherung mit einem Defizit von rund vier Milliarden Euro, in der Pflege mit weiteren zwei Milliarden.

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Reformidee sieht Basistarif und Zusatzpakete vor

Tino Sorge (Bild: privat)
Tino Sorge (Bild: privat)

In dieser angespannten Lage berichtet die Bild-Zeitung am Mittwoch von einem Reformkonzept, das Warken gemeinsam mit ihrem Staatssekretär Tino Sorge (CDU) erarbeiten soll. Es sieht eine grundlegende Neuausrichtung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vor. Demnach soll ein modulares Kassensystem das bisherige ersetzen.

Die Idee: Die Krankenkassen bieten zukünftig einen Basistarif an, der einen gewissen Grundschutz bietet und deutlich unter dem jetzigen Beitragssatz von 14,6 Prozent plus Zusatzbeitrag liegt. Wollen die Krankenversicherten einen umfassenderen Schutz, so können sie Zusatzpakete beziehungsweise -module buchen.

Laut dem Bild-Artikel dürften die Krankenkassen dann auch Pakete anbieten, die heutigen Krankenzusatzversicherungen privater Anbieter ähneln. Denkbar sei zum Beispiel „eine Krankenversicherung, die auch Brillen einschließt“, wird Sorge zitiert. Und weiter: „Es wäre ein Gewinn, wenn man solche Bausteine in der GKV zusätzlich versichern könnte.“

Kassen könnten ihren Versicherten viele passgenaue Tarife anbieten.

Tino Sorge

Krankenkassen könnten stärker auf individualisierte Angebote setzen

Der Vorstoß würde den Wettbewerb unter den Krankenkassen stärken. Heute sind rund 95 Prozent der Leistungen durch das SGB V und den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) verbindlich vorgegeben. Nur in einem kleinen Teil – etwa bei freiwilligen Satzungsleistungen – können die Versicherer eigene Akzente setzen.

Über Zusatzpakete hätten sie künftig deutlich mehr Spielraum, sich voneinander abzuheben. „Kassen könnten ihren Versicherten viele passgenaue Tarife anbieten. Sprich: Kassen bieten viel günstigere Tarife an – die eine gute Grundversorgung beinhalten – und darüber hinaus weitere Pakete, die man individuell dazubucht“, sagt Sorge der Bild-Zeitung.

Weitere Details des Modells bleiben in dem Beitrag offen. Unklar ist etwa,

  • ob Krankenkassen in ihren Zusatzpaketen Risikoaufschläge für bestimmte Mitglieder erheben dürfen,
  • ob ein Kontrahierungszwang bestehen soll oder ob Menschen mit Vorerkrankungen vom Zusatzschutz ausgeschlossen werden können,
  • auf welcher Grundlage die Zusatzpakete grundsätzlich kalkuliert werden dürfen und sollen.

„Keine Maßnahme, die wir momentan vorbereiten“

Gesundheitsministerin Warken wies am Mittwoch in einem Interview mit der NTV Nachrichtenfernsehen GmbH zurück, dass ihr Haus derzeit die Einführung eines Basistarifs vorantreibt.

Eine Expertenkommission solle Vorschläge erarbeiten, wie sich die Beitragssätze dauerhaft stabilisieren lassen, sagte sie. Diese könne auch über den vorliegenden Reformplan beraten. „Das ist jetzt aber keine Maßnahme, die wir momentan vorbereiten“, so Warken. Aktuell existiert die Kommission noch nicht – erste Ergebnisse soll sie im Frühjahr 2026 präsentieren.

Das Ergebnis wäre eine klare Wettbewerbsverzerrung zulasten der PKV.

Florian Reuther

PKV-Verband lehnt Reformpläne ab

Der Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. (PKV-Verband) spricht sich in einem Statement gegen die Reformpläne für einen Basistarif aus.

Florian Reuther (Bild: PKV-Verband)
Florian Reuther (Bild: PKV-Verband)

„Die aktuelle Debatte über die Finanzlage der sozialen Sicherungssysteme zeigt, dass die umlagefinanzierte gesetzliche Krankenversicherung bereits jetzt an ihre Grenzen stößt. Es wäre daher kontraproduktiv, das Leistungsangebot der gesetzlichen Kassen sogar noch auszuweiten“, sagt Verbandsdirektor Dr. Florian Reuther.

Stattdessen brauche es mehr kapitalgedeckte Vorsorge, um die Sozialversicherungen langfristig zu stabilisieren. „Mit dem breiten Angebot an privaten Zusatzversicherungen haben gesetzlich Versicherte schon heute eine große Wahlfreiheit, um den Leistungsumfang ihrer Kasse aufzustocken“, so Reuther.

Wettbewerbsverzerrung zulasten der PKV?

Der Verbandschef verweist darauf, dass derzeit bereits rund 31 Millionen private Krankenzusatzversicherungen bestehen – Tendenz weiter steigend.

Reuther warnt zudem vor Wettbewerbsnachteilen zulasten der privaten Krankenversicherer, sollte die GKV selbst Zusatzversicherungen anbieten dürfen.

„Die gesetzlichen Kassen sind als Sozialversicherungen von der Steuer befreit, hinterlegen kein Eigenkapital und bilden keine Rücklagen“, so der Jurist. Auch die für die PKV geltenden strengen Vorgaben bei der Beitragskalkulation müssten sie nicht einhalten. „Das Ergebnis wäre eine klare Wettbewerbsverzerrung zulasten der PKV.“

Leserbriefe zum Artikel:

Peter Schramm - Zusatzbausteine innerhalb der Krankenkassen wären unschädlich. mehr ...

 
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