21.10.2025 – Ein Vermieter haftet auch dann für die Verletzung der Streupflicht, wenn das Grundstück einer Eigentümergemeinschaft gehört und eine Hausmeisterfirma mit der Schneeräumung beauftragt wurde. Das hat der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil klargestellt.
Die Mieterin einer Eigentumswohnung in einem Solmser Mehrfamilienhaus stürzte an einem Januarmorgen 2017 beim Verlassen des Hauses auf einem vereisten Gehweg. Die Frau verletzte sich dabei schwer und musste sich über einen längeren Zeitraum mehreren Folgebehandlungen unterziehen. Für den Tag hatte der Wetterdienst Glatteis angekündigt.
Der Weg, der zum Hauseingang führte, war nicht geräumt. Für die Gehwege auf dem Grundstück war eine GmbH zuständig, die im Auftrag der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) den Winterdienst übernahm. Das Grundstück selbst steht im gemeinschaftlichen Eigentum der WEG.
Nach ihrem Sturz verklagte die Frau ihre Vermieterin auf 12.000 Euro Schmerzensgeld. Das Amtsgericht Wetzlar gab der Klage statt und verurteilte die Vermieterin zur Zahlung.
Das Landgericht Limburg als Berufungsinstanz kam jedoch mit Urteil vom 6. Oktober 2023 (3 S 32/23) zu einem anderen Ergebnis:
Die Übertragung des Räum- und Streudienstes auf einen Hausmeisterdienst führe rechtlich dazu, dass die Vermieterin nur dann hafte, wenn sie ihre Überwachungs- und Kontrollpflichten gegenüber dem beauftragten Unternehmen verletzt habe. Dafür sah das Gericht im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.
Die Vermieterin würde als Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft zudem nur anteilig nach ihrem Miteigentumsanteil haften, betonte das Gericht. Zwar könne eine Pflichtverletzung nach § 280 BGB grundsätzlich Schadensersatz auslösen, doch der Mietvertrag sehe ausdrücklich vor, dass die Kosten des Winterdienstes nach Eigentumsanteilen umzulegen sind.
Das zeige, dass die Vermieterin die praktische Durchführung der Streupflicht nicht selbst übernehmen wollte. Sie war lediglich verpflichtet, sich im Rahmen der Eigentümergemeinschaft an der Kontrolle des Winterdienstunternehmens zu beteiligen. Eine eigene Verantwortung für das Räumen oder Streuen habe sie nicht gehabt. Nur wenn sie erkennbare Mängel bemerkt, aber nicht reagiert hätte, wäre eine Haftung möglich gewesen – dafür gab es nach Ansicht des Gerichts jedoch keine Hinweise.
Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung des Landgerichts auf. Er kam mit einem Urteil vom 6. August 2025 (VIII ZR 250/23) zu dem Ergebnis, dass der Schmerzensgeldanspruch der Mieterin nicht mit der vom Landgericht gegebenen Begründung verneint werden kann.
Das Landgericht habe „nicht hinreichend in den Blick genommen“, dass die Vermieterin laut Mietvertrag verpflichtet sei, die auf dem Grundstück der vermieteten Wohnung befindlichen Wege in den Wintermonaten zu räumen und zu streuen, führten die Richter aus.
So habe die Vermieterin mietvertragliche Nebenpflichten verletzt, erläutert der BGH weiter. Diese Nebenpflichten bestünden auch dann, wenn der Vermieter nicht Alleineigentümer des Grundstücks sei, sondern Mitglied einer Eigentümergemeinschaft, der das Grundstück gehöre. Rechtliche Grundlage hierfür seien § 241 Absatz 2 BGB und § 535 BGB.
Ein Vermieter ist demnach gemäß § 535 BGB verpflichtet, dem Mieter während der Mietzeit den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung zu ermöglichen – dazu gehört auch ein sicherer Zugang zur Wohnung. Daraus folgt, dass der Vermieter in seinem Verantwortungsbereich zumutbare Maßnahmen ergreifen muss, um Gefahren durch Glätte oder Schnee zu verhindern.
Diese Pflicht umfasse auch Flächen, die nicht unmittelbar mitvermietet sind, wie Zugänge, Treppen oder den Weg vom Hauseingang bis zur Straße, so hob das Gericht weiter hervor.
Besonders betonte der BGH, dass diese Grundsätze auch dann gelten, wenn der Vermieter Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft ist. Entscheidend sei nicht, wem das Grundstück gehöre, sondern dass der Vermieter Vertragspartner des Mieters sei. Seine vertragliche Verkehrssicherungspflicht folge nicht aus dem Eigentum, sondern aus dem Mietvertrag selbst.
Das Landgericht habe daher zu Unrecht angenommen, dass die Vermieterin als einzelne Wohnungseigentümerin keine eigene Verantwortung treffe. Der BGH wies darauf hin, dass ein Mieter einer Eigentumswohnung denselben Schutzanspruch habe wie jeder andere Wohnungsmieter.
Es sei nicht gerechtfertigt, ihn schlechterzustellen, nur weil sein Vermieter Teil einer WEG sei – zumal Mieter in der Regel gar nicht erkennen könnten, wie die Eigentumsverhältnisse an der Immobilie genau ausgestaltet seien.
Die Auffassung des Landgerichts führe „zu einem unterschiedlichen Schutzniveau innerhalb des Wohnraummietrechts, das sachlich nicht gerechtfertigt ist und für das es eine rechtsdogmatische Grundlage nicht gibt“, so führte der BGH aus.
Die Vermieterin argumentierte vor dem BGH weiter, dass im Mietvertrag ausdrücklich vereinbart worden sei, der Winterdienst werde von der Wohnungseigentümergemeinschaft oder deren beauftragtem Dienstleister übernommen. Daraus leitete sie ab, dass sie selbst von allen Pflichten zur Schneeräumung und Streuung entbunden sei und im Schadensfall nicht hafte.
Im Mietvertrag fand sich nach Auffassung des BGH keine eindeutige Formulierung, wonach die Vermieterin von ihrer Pflicht zum Streuen befreit sein sollte. Zwar enthielt der Vertrag eine Klausel, die den Mieter grundsätzlich zur Schneebeseitigung verpflichtete. Doch dort stand auch, dass der Mieter nicht selbst räumen muss, wenn diese Arbeiten „anderweitig vorgenommen“ und über die Betriebskosten abgerechnet werden.
Erst recht lasse sich daraus nicht ableiten, dass die Mieterin bei Versäumnissen des Winterdienstes nur gegen Dritte Ansprüche geltend machen könnte – also gegen die WEG oder die Hausmeisterfirma – und nicht gegen ihre Vermieterin. Auch die im Vertrag vorgesehene Umlage der Winterdienstkosten nach Eigentumsanteilen ändere daran nichts.
Diese Umlagenregelung betreffe lediglich die Betriebskosten gemäß § 556 BGB – also wer die Kosten trägt –, nicht aber die Verantwortung für Sicherheit und Haftung, so hob der BGH hervor.
Die Vermieterin durfte ihre Pflichten zwar an die Hausmeisterfirma übertragen und sich – wie der Bundesgerichtshof betonte – dieser als sogenannter „Erfüllungsgehilfin“ im Sinne von § 278 BGB bedienen. Das bedeute jedoch, dass sie für ein mögliches Fehlverhalten des beauftragten Unternehmens rechtlich in gleicher Weise haftet, als wäre es ihr eigenes.
Der BGH hob das Urteil des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache unter Berücksichtigung seiner Rechtsprechung an das Landgericht Limburg zurück. Das hat noch offene Tatsachen zu klären, die für die Entscheidung über die Haftung der Vermieterin relevant sind.
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