26.9.2025 – Das Bundessozialgericht hat einen Unfall als Arbeitsunfall gewertet, bei dem eine Angestellte im Sozialraum auf dem Weg zum Kaffeeautomaten schwer stürzte und sich verletzte. Demnach kann ein Raum auch dann zur Risikosphäre eines Betriebs gehören, wenn er nur dazu dient, dass sich Beschäftigte dort mit Snacks und Getränken versorgen. Ob das Trinken von Kaffee für die Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit notwendig sei, spiele dabei keine Rolle.
Eine Verwaltungsangestellte beim Finanzamt wollte sich am Münzautomaten im Sozialraum des Finanzamts einen Kaffee holen. Der Boden war zuvor frisch gewischt worden und nass, ein Warnschild war aufgestellt. Trotzdem rutschte sie auf dem glatten Boden aus und zog sich einen Bruch des dritten Lendenwirbelkörpers zu. Ihre festgelegte Arbeitszeit endete eine Stunde später.
Als die Frau Leistungen bei der gesetzlichen Unfallversicherung geltend machen wollte, lehnte die Unfallkasse Hessen den Antrag ab, da kein Arbeitsunfall vorliege. Der Versicherungsschutz ende demnach mit dem Durchschreiten der Tür zu dem Sozialraum. Dabei hob die Unfallversicherung darauf ab, dass der Sozialraum des Finanzamts mit einer Kantine vergleichbar sei.
Nach gängiger Rechtsprechung gehörten demnach Wege innerhalb einer Kantine, Gaststätte oder aber auch eines Pausenraums bis zum Durchschreiten der Außentür grundsätzlich nicht zu den im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Wegen. Das gelte zumindest dann, solange ein Beschäftigter darin keiner versicherten Tätigkeit nachgehe (VersicherungsJournal 28.8.2015).
Die Frau klagte gegen den ablehnenden Bescheid – mit Erfolg: Das Hessische Landessozialgericht entschied am 7. Februar 2023 (L 3 U 202/21) entgegen der Vorinstanz, dass sie Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat (22.2.2023).
Nach § 8 Absatz 1 SGB VII gilt ein Ereignis nur dann als Arbeitsunfall, wenn die Handlung zum Zeitpunkt des Unfalls den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt. Dafür muss ein innerer oder sachlicher Zusammenhang zur Arbeit bestehen, erläuterte das Gericht.
Bei Unfällen rund um die Nahrungsaufnahme sei außerdem zu unterscheiden. Unfälle auf dem Weg zum Essen könnten versichert sein, während Unfälle beim Essen selbst in der Regel der privaten Lebenssphäre zuzuordnen seien, da sie der Befriedigung eines menschlichen Grundbedürfnisses dienten. In solchen Fällen müsse die Unfallkasse nicht zahlen.
Das Gericht stellte darüber hinaus klar: Wege, die Beschäftigte während der Arbeitszeit zurücklegen, um sich an einem anderen Ort Essen zu besorgen oder einzunehmen, stehen grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Und dies unabhängig davon, ob der Weg über das Betriebsgelände oder durch den öffentlichen Verkehrsraum führt, etwa zu einer Gaststätte, zur eigenen Wohnung oder zu einem Kiosk.
Der Versicherungsschutz beruhe darauf, dass die Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit diene und somit die Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit ermögliche. Außerdem sei der Weg betriebsbezogen, weil Ausgangs- und Zielpunkt durch die Pflicht geprägt seien, im Betrieb anwesend zu sein.
Beide Aspekte – die betriebliche Notwendigkeit des Weges und das Ziel der Handlung – begründen den „wesentlichen inneren Zusammenhang“ zwischen Betrieb und Weg, stellte das LSG klar. Entscheidend sei dabei, dass die Lebensmittel für den alsbaldigen Verzehr, insbesondere am Arbeitsplatz, bestimmt seien. Dagegen seien Wege, die nur dem privaten Lebensmitteleinkauf für den häuslichen Bereich dienen, nicht versichert.
Dabei scheiterte die Unfallkasse auch mit ihrem Argument, dass das Holen eines Kaffees durch die Klägerin nicht mehr der „Tagsüber-Versorgung mit Essen und Getränken im Sinne des alsbaldigen Verzehrs“ gedient habe und das Trinken eines Kaffees gar nicht notwendig sei, um die Arbeitsfähigkeit aufrechtzuerhalten, sondern dem persönlichen Genuss diene.
Dies vermochte an der Auffassung des Senats, es habe sich um einen Arbeitsunfall gehandelt, nichts zu ändern. Es könne für den Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung keinen Unterschied machen, ob sich Versicherte einen Kaffee oder ein Wasser holen wollen, führte das OLG aus.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung nutzen Arbeitnehmer ihre Pausen gerade dazu, um Kaffee zu trinken, erklärte das OLG mit Verweis auf ein früheres Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. Dezember 1999 (B 2 U 3/99 R).
Dabei hob das Gericht folgende Aspekte hervor, die dafür sprechen, dass sich der Unfall während der versicherten Tätigkeit ereignet hat:
Wie das Bundessozialgericht in einem Terminbericht mitteilt, hat es sich mit Urteil vom 24. September 2025 (B 2 U 11/23 R) dem Richterspruch der Vorinstanz angeschlossen und die Berufung der Unfallkasse zurückgewiesen. Eine schriftliche Urteilsbegründung liegt derzeit noch nicht vor.
Demnach habe das Landessozialgericht das Unfallereignis zu Recht als Arbeitsunfall anerkannt. Die dem Unfall unmittelbar vorausgehende Verrichtung sei der versicherten Tätigkeit als Beschäftigte zuzurechnen.
„Zwar ereignete sich der Unfall während einer eigenwirtschaftlichen Verrichtung. Steht bei Essen und Trinken während der Arbeitszeit (Arbeitsschicht) der beabsichtigte Konsum eines Genussmittels im Vordergrund, handelt es sich bei dem Konsum wie bei dem Weg dahin um eigenwirtschaftliche Tätigkeiten“, führt das oberste Sozialgericht aus.
Die Klägerin habe sich am Unfalltag gemäß ihren Gewohnheiten wie üblich gegen 15.30 Uhr einen Kaffee holen wollen. Ausnahmsweise betriebsdienliche Umstände, dass sich die Klägerin zum Erhalt ihrer Arbeitskraft in Gestalt des Kaffees mit Koffein versorgen wollte, seien nicht festgestellt worden.
„Die Klägerin erlag aber einer besonderen Betriebsgefahr. Beschäftigte sind gegen Gefahren aus dem Bereich ihres Arbeitsplatzes versichert, wenn sie sich im Wesentlichen wegen der versicherten Beschäftigung dort aufhalten und sich eine spezifische Gefahr verwirklicht, der sie durch die Eingliederung in den Betrieb ausgesetzt sind“, schreibt das Bundessozialgericht.
Dass sich mit dem Unfall eine spezifische Betriebsgefahr verwirklicht habe, machte das Bundessozialgericht auch daran fest, dass der Arbeitgeber die betriebliche Getränkeversorgung ausdrücklich in dem Sozialraum verortet hatte.
Dieser Raum sei damit der Risikosphäre des Betriebs zuzurechnen. Das schließe die Säuberung und Reinigung ein. Das Ausrutschen der Klägerin auf dem von der beauftragten Reinigungsfirma gewischten Boden sei damit dem Gefahrenbereich des Betriebes zuzuordnen.
Mit einer Anzeige im Extrablatt erreichen Sie mehr als 12.500 Menschen im Versicherungsvertrieb, überwiegend ungebundene Vermittler. Über die Konditionen informieren die Mediadaten.
Ihre Leserbriefe können für andere Leser eine wesentliche Ergänzung zu unserer Berichterstattung sein. Bitte schreiben Sie Ihre Kommentare unter den Artikel in das dafür vorgesehene Eingabefeld.
Die Redaktion freut sich auch über Hintergrund- und Insiderinformationen, wenn sie nicht zur Veröffentlichung unter dem Namen des Informanten bestimmt ist. Wir sichern unseren Lesern absolute Vertraulichkeit zu. Schreiben Sie bitte an redaktion@versicherungsjournal.de.
Allgemeine Pressemitteilungen erbitten wir an meldungen@versicherungsjournal.de.
Geraten Sie in Verkaufssituationen immer wieder an Grenzen?
Wie Sie unterschiedliche Persönlichkeitstypen zielgerichtet ansprechen, erfahren Sie im Praktikerhandbuch „Vertriebsgötter“.
Interessiert? Dann können Sie das Buch ab sofort zum vergünstigten Schnäppchenpreis unter diesem Link bestellen.