Tarifvertrag für den Versicherungsinnendienst: So stehen die Chancen auf die Annahme

8.7.2025 – Der neue Tarifvertrag für den Versicherungsinnendienst wurde beiden Seiten hart abgerungen – und führt nicht zur vollsten Zufriedenheit. Das zeigen die Statements von AGV, Verdi und DBV zu den ausgehandelten Neuregelungen.

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Am Freitag haben sich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf einen neuen Tarifvertrag für rund 183.000 Beschäftigte des Versicherungsinnendienstes geeinigt. Der Lohn steigt nun linear in zwei Stufen: zum 1. August 2025 um 5,0 Prozent und zum 1. September 2026 um weitere 3,3 Prozent (VersicherungsJournal 7.7.2025).

Darüber hinaus ist vereinbart, dass die monatlichen Bezüge um mindestens 200 Euro steigen. Davon profitieren untere Gehaltsgruppen überproportional. So erhöht sich das Gehalt in der Gehaltsgruppe A (für Tätigkeiten ohne Fachkenntnisse) ab August 2025 um 246 Euro – das entspricht einer Steigerung von 11,6 Prozent. Auch in den Tarifgruppen 1 bis 5 liegt das Plus jeweils bei über fünf Prozent.

Wie sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter zum neuen Tarifvertrag positionieren, hat die VersicherungsJournal-Redaktion die Tarifvertragsparteien gefragt. Die Antworten zeigen: Der neue Vertrag ist ein Kompromiss, um den lange gerungen wurde – und der von beiden Seiten mit gemischten Gefühlen bewertet wird.

In der Gesamtbewertung halten wir das Ergebnis für vertretbar.

Martina Grundler, Verdi

Verdi – enttäuscht über Reallohnverlust

Martina Grundler (Bild: Julia Carola Pohle)
Martina Grundler (Bild: Julia Carola Pohle)

Martina Grundler, die für die Ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft die Verhandlungen geführt hat, sagt dem VersicherungsJournal:

„Wir sind nach wie vor davon enttäuscht, dass die Arbeitgeberseite nicht bereit war, den Reallohnverlust der vergangenen Jahre auszugleichen. Wir haben für eine deutlich höhere Tarifsteigerung gekämpft. Damit ergibt sich für uns ein Auftrag für die nächsten Tarifverhandlungen, die im Mai 2027 starten“.

Verdi hatte ursprünglich eine Lohnerhöhung von zwölf Prozent binnen eines Jahres gefordert – als Reaktion auf die Rekordinflation 2022 und 2023. Doch selbst das nun vereinbarte Ergebnis bedeutet laut einer Musterrechnung der Gewerkschaft weiterhin Kaufkraftverluste gegenüber dem Jahr 2020 (1.7.2025).

„In der Gesamtbewertung halten wir das Verhandlungsergebnis für vertretbar, insbesondere, weil wir mit der Mindestanhebung von 200 Euro für alle für untere Tarifgruppen höhere prozentuale Steigerungen als fünf Prozent im ersten Erhöhungsschritt durchsetzen konnten“, gibt sich Grundler nun versöhnlich.

Ausbildung in der Versicherungsbranche nun „deutlich attraktiver“

Mit der stärkeren Anhebung in den unteren Lohngruppen würden gerade jene Arbeitnehmer entlastet, die besonders unter Reallohnverlusten zu leiden hätten, erklärt sie weiter: „Diese soziale Komponente im Abschluss halten wir für einen wichtigen Meilenstein in der Tarifpolitik in unserer Branche. In der Vergangenheit war der AGV nicht bereit, solche Mindestanhebungen für alle mit uns zu vereinbaren.“

Auch die vereinbarte Anhebung der Ausbildungsvergütung sei ein wichtiger Erfolg, betont Grundler: Zum 1. August 2025 steige sie um 150 Euro pro Monat, zum 1. September 2026 folgen weitere 100 Euro.

„In den vergangenen Jahren sind viele Branchen bei der Vergütung für Auszubildende an uns vorbeigezogen. Jetzt ist die Ausbildung in der Versicherungsbranche deutlich attraktiver geworden, das ist ein wichtiger Schritt zur Zukunftssicherung der Branche“, sagt sie.

Mitgliederbefragung „übliches Verfahren bei großen Tarifrunden“

Obwohl sich die Große Tarifkommission von Verdi einstimmig für den Tarifvertrag ausgesprochen hat, könnte die Gewerkschaft den Vertrag noch zu Fall bringen. Sie macht ihre Zustimmung davon abhängig, ob die Mitglieder den Vertrag annehmen. Bis zum 26. August sollen sie dazu befragt werden.

Auf die Frage, warum ein Mitgliedervotum zum Vertrag eingeholt werde, antwortet Grundler: „Das ist das übliche Verfahren bei großen Tarifrunden. In der Versicherungsbranche führen wir diese Befragung das erste Mal durch. Wir haben über den gesamten Verhandlungszeitraum unsere Mitglieder – aber auch die Beschäftigten – immer wieder zu beteiligen.“

Befragt werden alle Mitglieder im Innendienst, für die der Gehaltsvertrag gilt, berichtet die Gewerkschafterin. Sie werden per E-Mail angeschrieben und erhalten einen Link zur Abstimmung. Liegt keine Mailadresse vor, bekommen die Betroffenen die Unterlagen per Post. „Die Mitgliederbefragung wird ein Votum ergeben, über das die Tarifkommission dann beraten wird“, so Grundler.

„Insgesamt ist es ein achtbares Ergebnis, das die Beschäftigten mit ihrer Entschlossenheit und Ausdauer erkämpft haben“, lautet Grundlers abschließendes Fazit. „Wir haben deutlich mehr Streiks durchgeführt als in der Vergangenheit, die Zahl der beteiligten Betriebe und die Streikbeteiligung sind gestiegen.“

Aufgrund des Reallohnverlustes der letzten Jahre hätten wir für die Beschäftigten gerne noch mehr herausgeholt.

Ute Beese, DBV

DBV – „Wir wollten keinen Schnellabschluss mit einer marginalen Erhöhung“

Ute Beese (Bild: Peter Himsel)
Ute Beese (Bild: Peter Himsel)

Auch der Deutsche Bankangestellten-Verband e.V. (DBV) – Gewerkschaft der Finanzdienstleister hatte sich insgesamt eine noch höhere Lohnerhöhung erhofft, berichtet Verhandlungsführerin Ute Beese dem VersicherungsJournal.

„Aufgrund des Reallohnverlustes der letzten Jahre hätten wir für die Beschäftigten gerne noch mehr herausgeholt“, sagt Beese. Zugleich weist sie darauf hin, dass es sich um einen Flächentarifvertrag handelt und die wirtschaftliche Lage der Unternehmen sehr unterschiedlich sei, worauf auch Rücksicht genommen werden müsse.

Die von Mitgliedern der DBV unterstützten Streiks hätten den Druck auf die Arbeitgeber erhöht, so dass die Verhandlungen noch vor der Sommerpause weitergeführt und das Ergebnis leicht verbessert werden konnten, erklärt Beese.

„Uns war es wichtig, dass die Beschäftigten nicht noch länger auf eine Tariferhöhung warten müssen. Allerdings wollten wir keinen Schnellabschluss mit einer marginalen Erhöhung“, ergänzt die Gewerkschafterin.

Auch Beese betont die überproportionale Anhebung der Löhne in den unteren Tarifgruppen als besonderen Erfolg: „Gerade die Beschäftigten in den A- und B-Gruppen profitieren durch den Sockelbetrag und die deutlichen Erhöhungen besonders. Sie haben in den vergangenen Jahren die Kostensteigerungen am stärksten zu spüren bekommen“, erklärt sie.

Das Wichtigste ist, dass ein Tarifabschluss keine negativen Beschäftigungseffekte auslöst.

Sebastian Hopfner, AGV

Arbeitgeberverband: „Es hat Zeit gebraucht, sich anzunähern“

Sebastian Hopfner (Bild: AGV)
Sebastian Hopfner (Bild: AGV)

Dr. Sebastian Hopfner, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes der Versicherungsunternehmen in Deutschland e.V. (AGV), berichtet dem VersicherungsJournal von erneut sehr schwierigen Gesprächen in der vierten Tarifrunde. Diese hätten sich über sieben Stunden hingezogen.

„Hauptstreitpunkt war – wie bisher – die unterschiedliche Vorstellung über die Höhe der ersten Tarifanhebung. Der AGV wollte an sich keine fünf Prozent oder mehr vereinbaren, da solche Abschlüsse nicht zur aktuellen Situation passen. Verdi hingegen akzeptierte nichts unter fünf Prozent. Es hat Zeit gebraucht, sich hier anzunähern“, erklärt Hopfner.

Zur Bewertung des neuen Tarifvertrages sagt der Fachanwalt: „Der Abschluss ist wirtschaftlich gerade noch vertretbar. Natürlich ist mit dem Abschluss für die Unternehmen eine Mehrbelastung gegeben. Diese bewegt sich jedoch in einem Rahmen, der von den Unternehmen im Normalfall bewältigt werden kann“.

Das Wichtigste sei, dass ein Tarifabschluss keine negativen Beschäftigungseffekte auslöse. „Davon gehen wir in der Fläche nicht aus“, ergänzt Hopfner. Bereits zum 1. August 2025 sollen die Personalkosten für die Versicherer um 2,68 Prozent steigen, durch die zweite Erhöhung kommen noch einmal über vier Prozent hinzu – höhere Beiträge zur Sozialversicherung nicht eingerechnet.

Verständnis für Mitgliederbefragung

Der AGV zeigt Verständnis dafür, dass Verdi den Tarifvertrag durch ein Mitgliedervotum legitimieren lassen will.

„Die Gewerkschaft hatte uns die Notwendigkeit der sogenannten Erklärungsfrist bereits weit vor der Tarifrunde angekündigt. Sie ist Teil der neuen Strategie von Verdi, Tarifabschlüsse auf eine breitere Meinungsbasis zu stellen. In anderen Branchen verfolgt Verdi diesen Weg schon länger“, erklärt Hopfner.

Der Fachanwalt ergänzt: „Man hat uns versichert, dass dann, wenn die Große Tarifkommission von Verdi das verhandelte Ergebnis annimmt, eine hinreichende Gewähr dafür gegeben ist, dass die Basis dies ebenfalls so beurteilt“. Entsprechend blickt der Verband der Abstimmung gelassen entgegen.

AGV verweist auf soziale Funktion von Tarifverträgen

Die Frage, ob die überproportionale Anhebung der Löhne in den unteren Tarifgruppen auch eine Reaktion auf den Fachkräftemangel in der Branche sei, verneint Hopfner.

„Die überdurchschnittliche Anhebung der unteren Lohngruppen ist weniger dem Fachkräftemangel geschuldet als vielmehr der sozialen Funktion von Tarifverträgen. Wir nennen diese Maßnahme daher auch ‚Sozialkomponente‘“, erklärt der AGV-Vorstand.

Die Anhebung stehe im Kontext der sehr hohen Inflation in den Jahren 2022 und 2023. „Der Preis für ein Pfund Butter steigt für alle gleich. Es verdienen aber nicht alle gleich und so trifft die Inflation die Niedrigverdiener stärker. Dieses gewerkschaftliche Argument haben wir aufgegriffen“, so Hopfner.

Den neuen Tarifvertrag (PDF, 158 KB) stellt der Arbeitgeberverband auf seiner Webseite bereit. In den Tarifnachrichten finden sich auch weitere Details zu den Vereinbarungen.

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Ausbildung · Inflation · Senioren · Sozialversicherung · Strategie · Tarifvertrag
 
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