16.5.2025 – Die Tarifauseinandersetzung in der Versicherungswirtschaft spitzt sich zu. Verdi erhöht den Druck, während der Arbeitgeberverband kritisiert, dass Ausstände kurzfristig und ohne klare Vorankündigung stattfinden. In mehreren Städten haben Versicherungsangestellte in dieser Woche die Arbeit niedergelegt – und es sollen nicht die letzten Warnstreiks gewesen sein.
Am Freitag, dem 23. Mai, steht die dritte Verhandlungsrunde für einen neuen Tarifvertrag in der Versicherungswirtschaft an. Der bisherige Vertrag war bereits Ende März ausgelaufen.
Die Arbeitgeberseite wird vom Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland e.V. (AGV) vertreten. Auf Arbeitnehmerseite verhandeln die Ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft sowie der Deutsche Bankangestellten-Verband e.V. (DBV) – Gewerkschaft der Finanzdienstleister.
Dabei zeigen sich die Fronten zunehmend verhärtet. Verdi fordert zwölf Prozent mehr Lohn innerhalb eines Jahres – auch, um Reallohnverluste infolge der hohen Inflation nach dem Ukraine-Krieg auszugleichen. Die Arbeitgeber bieten dagegen lediglich 8,36 Prozent mehr Gehalt, verteilt über einen Zeitraum von 35 Monaten (VersicherungsJournal 29.4.2025). Die Gewerkschaft reagiert mit Warnstreiks.
Bereits am Dienstag hatte Verdi in Köln und Düsseldorf zum Warnstreik aufgerufen. Die zentrale Kundgebung fand auf dem Rudolfplatz vor dem historischen Stadttor in Köln statt. Betroffen von den Arbeitsniederlegungen waren unter anderem die Ergo Versicherungen und die Axa Versicherungen, die in Düsseldorf beziehungsweise Köln ihren Hauptsitz haben.
Die Region zählt zu den wichtigsten Versicherungsstandorten Deutschlands. In Köln beschäftigt die Assekuranz nach Angaben des AGV rund 25.350 sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter – nur München zählt noch mehr. Hinzu kommen knapp 11.600 Beschäftigte in Düsseldorf (31.3.2025).
Christian Beier, Branchenkoordination Finanzdienste NRW bei Verdi, wertet den Streik als Erfolg. An der Kundgebung hätten sich rund 650 Personen beteiligt, berichtet er dem VersicherungsJournal. Hinzugekommen seien geschätzt 150 Mitarbeiter, die im Homeoffice ihre Arbeit niedergelegt hätten.
„Mit über 650 Streikenden haben die Versicherungsbeschäftigten in Köln ein starkes Zeichen gesetzt. Diesmal waren sogar einige Betriebe dabei, die das erste Mal in ihrer Geschichte zum Streik aufgerufen werden konnten“, berichtet Beier.
„Die Stimmung auf der Streikversammlung war eindeutig: Nur mit einem deutlich nachgebesserten Angebot der Arbeitgeber wird man sich in der Domstadt zufriedenstellen lassen“, sagt der Gewerkschaftsfunktionär.
Der Verdi-Forderung von zwölf Prozent für zwölf Monate stehen ganze 3,6 Prozent im ersten Jahr gegenüber. Das ist ein Ausdruck mangelnder Wertschätzung.
Michael Jacobsen, Verdi Hamburg
Am Donnerstag weitete Verdi die Streiks deutlich aus. Zum Arbeitsausstand im Innendienst rief die Gewerkschaft unter anderem in Hamburg, Bremen, Hannover, Nürnberg, Braunschweig und Oldenburg auf.
Die größte Beteiligung wurde in Hamburg erwartet. Zur Kundgebung auf dem Schotterplatz vor dem Eingang zur Stadtparkbühne rechnete Verdi mit rund 1.000 Teilnehmern. Die Hansestadt zählt mit über 20.000 Beschäftigten ebenfalls zu den Versicherungshochburgen. Unter anderem haben hier die Hansemerkur-Gruppe und die Ergo Lebensversicherung AG ihren Sitz.
„Der Verdi-Forderung von zwölf Prozent für zwölf Monate stehen ganze 3,6 Prozent im ersten Jahr gegenüber. Das ist ein Ausdruck mangelnder Wertschätzung. Die Beschäftigten haben nur jetzt die einmalige Chance, Einfluss auf ihre Situation zu nehmen – und wir nehmen viel Aktivität wahr“, sagt Michael Jacobsen, Gewerkschaftssekretär Versicherungen bei Verdi Hamburg.
Wie viele Demonstrierende an den einzelnen Orten erschienen sind, ließ sich bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses nicht ermitteln.
Gewerkschafter Beier berichtet, dass auch in der kommenden Woche bundesweit Streiks geplant seien, um noch einmal den Druck auf die Versicherer zu erhöhen. „Wir werden weiter streiken!“, sagt er. Unter anderem wird an folgenden Orten die Arbeit niedergelegt:
Bereits nach der ersten Streikwelle Anfang April hat der Arbeitgeberverband der Versicherer beklagt, dass Verdi die Unternehmen nicht hinreichend über die Streiks informieren würde.
Verdi kommuniziert Streiks nur unzureichend. Die Defizite sind teilweise so stark, dass man sogar von rechtswidrigen Aktionen ausgehen könnte.
Sebastian Hopfner, AGV
Demnach seien beide Streikparteien zur Verhältnismäßigkeit und dem Gebot fairer Kampfführung verpflichtet, wie der AGV in einer Tarifnachricht vom 4. April hervorhebt. Dabei verweist er unter anderem auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 30. Oktober 1995 (1 AZR 217/95).
„Es ist in der Tat festzustellen, dass Verdi Arbeitskampfmaßnahmen nur unzureichend gegenüber dem Arbeitgeberverband oder den bestreikten Mitgliedsunternehmen kommuniziert. Die Defizite sind teilweise so stark, dass man bei streng juristischer Betrachtung teils sogar von rechtswidrigen Aktionen ausgehen könnte“, sagt Dr. Sebastian Hopfner, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des AGV und Fachanwalt für Arbeitsrecht, dem VersicherungsJournal.
Die aktuellen Aktionen könnten schon deshalb rechtswidrig sein, weil die Tarifverhandlungen nicht gescheitert seien, positioniert sich Hopfner weiter. Ein Scheitern sei laut Bundesarbeitsgericht aber Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für einen Streik und auch einen Warnstreik.
„Es gibt mit Verdi einen schon seit Langem verabredeten Verhandlungstermin für den 23. Mai in Düsseldorf. An diesem Termin hat die Gewerkschaft festgehalten, so dass von einem Scheitern der Verhandlungen nicht die Rede sein kann“, erklärt der Fachanwalt. Im Sinne einer Deeskalation wolle der AGV die Tarifverhandlungen jedoch nicht mit juristischen Auseinandersetzungen belasten.
Dass Verdi die Unternehmen über die Streiks nicht ausreichend in Kenntnis setze, bestreitet Beier für seinen Verantwortungsbereich. In der Regel seien die Arbeitgeber mit den Streikaufrufen über die Maßnahmen in Kenntnis gesetzt worden – circa eine Woche vorher, spätestens jedoch am Vorabend der Aktionen.
Eine genaue gesetzliche Regelung, welche Fristen hier als angemessen gelten, kennt das Arbeitsrecht nicht. So hebt auch das Bundesarbeitsgericht im Urteil von 1995 hervor, „dass sich das Arbeitskampfgeschehen seiner Natur nach einer Formalisierung weitgehend entzieht. An Form und Umfang der Unterrichtung […] dürfen deshalb keine hohen Anforderungen gestellt werden“.
Der AGV hat das höchste erste Angebot der vergangenen zwanzig Jahre platziert. Das bedeutet für die Branche Zusatzkosten von 1,2 Milliarden Euro.
Sebastian Hopfner, AGV
Während Verdi die bisherigen Streiks als Erfolg wertet, kommt der Versichererverband zu einer anderen Einschätzung. AGV-Funktionär Hopfner erklärt, die Streikbeteiligung sei in dieser Tarifrunde nicht höher als bei den vorangegangenen Verhandlungen.
„Einschränkungen des Geschäftsbetriebs sind durch die gewerkschaftlichen Aktionen nicht zu befürchten. Wir gehen davon aus, dass dies trotz angekündigter weiterer Warnstreiks auch so bleiben wird“, sagt Hopfner dem VersicherungsJournal.
Die Tarifbotschaft des Arbeitgeberverbands sei von den Beschäftigten richtig verstanden worden, glaubt er: „Der AGV hat das höchste erste Angebot der vergangenen zwanzig Jahre platziert, um der erhöhten Inflationsentwicklung in den Jahren 2022 und 2023 nachträglich Rechnung zu tragen.“
„Dieses beinhaltet in der Endstufe Zusatzkosten für die Branche von rund 1,2 Milliarden Euro. Unsere Angestellten sind stark im Rechnen und wissen das. Sie wissen auch um den Kostendruck, der auf den Häusern lastet“, so Hopfner weiter. Der AGV gehe am kommenden Freitag „konstruktiv und mit dem Willen, eine allseits interessengerechte Lösung zu finden, in die dritte Tarifverhandlungsrunde“.
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