Berufsunfähigkeit: Schnellere Regulierung durch das Belastungsprofil

17.4.2024 – Der Leistungsprüfungsprozess in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist komplex und dadurch häufig sehr langwierig. Dreh- und Angelpunkt und gleichzeitig eine Schwachstelle ist dabei die Festlegung der beruflichen Tätigkeit. Abhilfe soll ein neues Prüfschema schaffen: Es stellt die individuelle Belastung der versicherten Person in den Vordergrund und soll dadurch eine einfachere und schnellere Fallbearbeitung ermöglichen. Erläutert wird das Konzept in einem Gastbeitrag von Verena Pilzweger und Raffaele Altomonte von der Deutschen Rück.

In der Leistungsprüfung bei Berufsunfähigkeits- (BU-) Versicherungen orientieren sich heute die meisten Lebensversicherer noch immer an genau einem Faktor: der Berufsbezeichnung. Das ist ein Problem. Denn die Berufsbezeichnung allein hat nur wenig Aussagekraft darüber, welche tatsächlichen Belastungen das jeweilige Berufsbild der versicherten Person mit sich bringt.

Verena Pilzweger
(Bild: Deutsche Rück)

Zwar haben sich sowohl die Abfrage von Teiltätigkeiten als auch die Aufstellung eines Stundenplans durchaus bewährt, doch bleiben sie ein Behelf. Denn sie lassen deutlichen Interpretationsspielraum, welche psychischen und physischen Belastungen mit dem jeweiligen Beruf verbunden sind.

Viel Interpretationsspielraum bei Berufsbildern

Eine Art Scheingenauigkeit und weiterer Interpretationsspielraum entstehen auch dadurch, dass sich die Arbeitswelt stetig weiter verändert. Sehen wir uns zum Beispiel die Tätigkeitsbeschreibung „Marketing- und Verkaufsmaßnahmen“ an.

Hinter dieser schwammigen Formulierung, mit der eine Teiltätigkeit definiert werden soll, kann sich sehr viel verbergen: von der eher kaufmännisch geprägten strategischen Planung und Konzeption bis hin zur Umsetzung gezielter Vertriebsmaßnahmen vor Ort. Letztere können ein deutlich höheres Maß an körperlicher Aktivität verlangen und mit einer anderen Form von Stress verbunden sein. Auch ein Mix aus beiden Komponenten gehört in der modernen Arbeitswelt zum Alltag.

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Belastungsfaktoren beim Antragsteller erfragen

Raffaele Altomonte
(Bild: Deutsche Rück)

Das aktuelle Prüfschema im Leistungsfall hat also deutliches Verbesserungspotenzial. Hinter jedem Beruf und jeder Tätigkeit verbergen sich aber auch Belastungsfaktoren, die sich wesentlich besser zur Bewertung der physischen und psychischen Belastung einer versicherten Person eignen.

Greifen wir noch einmal das Beispiel „Marketing- und Verkaufsmaßnahmen“ auf. Es kommen hier sowohl lange, sitzende Tätigkeiten am Computer als auch rein körperliche Arbeiten, beispielsweise beim Auf- und Abbau eines Verkaufsstandes oder langes, ermüdendes Stehen während einer Verkaufsveranstaltung, in Betracht.

Die Vorteile lägen auf der Hand, wenn Lebensversicherer künftig Belastungsfaktoren beim Antragsteller erfragten. Denn Belastungen sind beständig, in ihrem Umfang begrenzt, können eindeutig bewertet werden und sind klar im Kontext der medizinischen Diagnose einzuordnen.

Hinzu kommt: Sie sind verhältnismäßig einfach vom Antragsteller zu beschreiben und stellen für den Versicherer eine sehr verlässliche Bewertungsgrundlage für die Ermittlung des BU-Grads dar.

Wie funktioniert ein Belastungsprofil?

Kern des Belastungsprofils ist ein Fragebogen-Set, das alle Arten von Belastungen – ergonomische, psychische und soziale sowie Umgebungsbelastungen – erfasst. In unserem bei der Deutschen Rückversicherung AG entwickelten Konzept besteht das komplette Set aus 20 Fragen, die wir anhand unseres Datenpools und einer Auswertung aus unserem Leistungsregulierungstool auf die Top-100-Berufe zugeschnitten haben.

Das funktioniert so: Die zu versichernde Person – in diesem Fall eine Krankenpflegerin oder ein Krankenpfleger – beantwortet zehn belastungsspezifische Fragen, die in strukturierter und themenbezogener Reihenfolge aufeinander aufbauen. Zum Beispiel „Ich arbeite feinmotorisch (das heißt, mit Finger- und Handgeschicklichkeit, zum Beispiel Tabletten bereitstellen, Infusionen verabreichen, Blutabnahme, Schreiben, Bedienen einer Tastatur/Maus/Touchpad)“.

Bei einem Ingenieur wären es zwölf Fragen, bei einem Bäcker 13. Ergänzt werden die Fragen um eine Detailabfrage zur Intensität der Belastungen und um konkretisierende Ausführungen der Kundin oder des Kunden.

Den Fragebogen haben wir in Zusammenarbeit mit unseren medizinischen Beratern und auf Grundlage eigener berufskundlicher Expertise entwickelt und bereits mit verschiedenen Endkunden getestet und adjustiert. Das Ergebnis: Die Arbeit mit einem Belastungsprofil funktioniert bestens und sorgt für deutlich präzisere Aussagen.

Beschleunigte Leistungsprüfung

Mit dem Belastungsprofil wird also die Bewertungsgrundlage für die Leistungsprüfung deutlich verbessert. Denn das Belastungsprofil kann die Abfrage der Teiltätigkeiten komplett ersetzen und als Ergänzung zur Abfrage der zeitlichen Anteile von Tätigkeiten genutzt werden.

Damit wird die Leistungsprüfung des Versicherers auch für den Kunden deutlich transparenter. Eine Win-win-Situation für beide Seiten.

Qualität der Einschätzungen der Ärzte verbessern

In dem Kontext sollte auch die Arztanfrage völlig neu gedacht werden. Oftmals sind Ärzte gar nicht in der Lage, zu vom Versicherer definierten Teiltätigkeiten eine präzise Einschätzung abzugeben.

Dies können wir Versicherer den Ärzten aber nicht zum Vorwurf machen. Im Gegenteil: Wir sollten uns mit dem Belastungsprofil ein neues Konzept zu eigen machen, das dieses Problem lösen kann. Denn Einschätzungen zu den Einschränkungen durch Belastungen kennen Ärzte aus dem arbeits- und sozialmedizinischen Bereich.

So können die Versicherer dazu beitragen, die Qualität der Einschätzungen der Ärzte zu verbessern – und wahrscheinlich auch die Rücklaufzeit zu verringern, wenn dem Arzt die Einschätzung leichter fällt. Letztlich ist es ganz im Sinne der Versicherer, wenn die Leistungsprüfung weniger Zeit beansprucht und der Kunde schneller seine Leistungen erhält.

Verena Pilzweger, Raffaele Altomonte

Verena Pilzweger ist Senior Referentin im Bereich Recht/Compliance bei der Deutschen Rückversicherung AG. Raffaele Altomonte ist Senior Referent im Bereich Leben/Kranken Antrag und Leistung beim Unternehmen.

Leserbriefe zum Artikel:

+Kai-Jochen Neuhaus - Eine standardisierte Abfrage kann zu falschen Ergebnissen führen. mehr ...

Helmut Brunner - Standardabfragen können auch schnell zu (Standard-) Ablehnungen führen. mehr ...

Schlagwörter zu diesem Artikel
Berufsunfähigkeit · Marketing · Regulierung · Rückversicherung
 
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