20.5.2025 – Nur noch 21 Prozent der Makler beobachten bei ihren Kunden Interesse an der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen Beratungsgespräch zu Versicherungen und Finanzanlagen. Tendenz: weiter sinkend. Vor diesem Hintergrund bewertet der AfW die ESG-Beratungspflicht für Vermittler als gescheitert und fordert ihre Aussetzung.
Vermittler von Versicherungsanlageprodukten sind seit August 2022 verpflichtet, auch die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden zu erfragen und in ihre Empfehlung einzubeziehen (VersicherungsJournal 10.3.2021). Das schreibt unter anderem die EU-Offenlegungsverordnung VO (EU) 2019/2088 vor.
Berücksichtigen müssen die Vermittler hierbei sogenannte ESG-Kriterien: Umweltaspekte (Environmental), soziale Belange (Social) sowie eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung (Governance).
Doch entspricht diese Pflicht überhaupt den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden – und wie gehen Vermittler damit um? Das hat der AfW – Bundesverband Finanzdienstleistung e.V. im Rahmen seines 17. Vermittlerbarometers untersucht. An der Umfrage beteiligten sich im Oktober und November 2024 insgesamt 1.173 Personen, die Mehrheit davon Versicherungsmakler.
In der öffentlichen Wahrnehmung sind derzeit Themen wie Migration, Inflation und geopolitische Risiken präsenter als die Nachhaltigkeitsdiskussion.
Norman Wirth, AfW-Vorstandsmitglied
Die Makler sollten beantworten: „Welche Einstellungen haben Ihre Kunden zur Nachhaltigkeit? Was antworten diese, wenn Sie das Thema ansprechen?“
Die Ergebnisse der aktuellen Umfrage fallen deutlich nüchterner aus als noch vor zwei Jahren. 2022 sagten noch 53 Prozent der Befragten, ihre Kunden seien „sehr interessiert“ an Nachhaltigkeitsaspekten. In der aktuellen Erhebung trifft das nur noch auf 21 Prozent zu.
Zugleich geben 68 Prozent der Makler an, dass ihren Kunden das Thema schlicht „egal“ sei. Weitere elf Prozent berichten, dass Nachhaltigkeit bei ihren Kunden sogar auf aktive Ablehnung stößt, sobald es zur Sprache kommt.
„In der öffentlichen Wahrnehmung sind derzeit Themen wie Migration, Inflation und geopolitische Risiken deutlich präsenter als die Nachhaltigkeitsdiskussion“, erklärt Norman Wirth, Vorstandsmitglied des AfW, das nachlassende Interesse. Bereits bei der letztjährigen Umfrage hatte der AfW beobachtet, dass das Thema deutlich an Relevanz verloren hat (7.2.2024).
Die Umfrage zeigt auch: Vermittler sehen zu wenig Auswahl, wenn Kunden gezielt nach nachhaltigen Produkten fragen. Bei Versicherungen halten nur 45,5 Prozent das Angebot für ausreichend, um die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden abzudecken – bei Finanzanlagen sind es knapp 48 Prozent.
Bei der Auswahl nachhaltiger Produkte greifen die meisten Befragten auf sogenannte ESG-Ratings zurück. Beispielsweise die Smart Asset Management Service GmbH (2.4.2025), Zielke Research Consult GmbH oder die Franke und Bornberg GmbH stellen solche Auswertungen bereit. 49 Prozent der Befragten orientieren sich an ihnen.
Etwa jeder Vierte nutzt Gütezeichen und Siegel, um nachhaltige Produkte zu erkennen. 16 Prozent informieren sich über Infoportale wie „Faire Fonds“ des Facing Finance e.V. Als „bemerkenswert“ wertet der AfW, dass 30,3 Prozent der befragten Vermittler keine konkrete Quelle nennen können, um nachhaltige Produkte zu identifizieren.
Der AfW bewertet den aktuellen Status quo so, dass die Präferenzabfrage in ihrer derzeitigen Form gescheitert sei. Nach Einschätzung des Verbandes führt sie nicht nur zu erheblichem Beratungsaufwand ohne erkennbaren Kundennutzen, sondern verunsichert auch Verbraucher und Vermittler.
„Wir begrüßen ausdrücklich die in Brüssel angestoßenen Bemühungen um eine Vereinfachung der Prozesse und setzen uns für klare, verständliche Kategorien ein“, positioniert sich Wirth. Zudem unterstütze der AfW einen Vorstoß des Votum Verbands Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e.V., die Abfragepflicht in der derzeitigen Form auszusetzen.
Es war von Anfang an ein Konstruktionsfehler, die Abfragepflicht zur Nachhaltigkeit vor der verbindlichen Berichterstattung der Unternehmen einzuführen.
Martin Klein, Votum-Vorstand
Der Votum-Verband hatte in einer Stellungnahme berichtet, dass die EU vorübergehend Erleichterungen bei der Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) plant.
Am 3. April 2025 stimmte das Europäische Parlament im Rahmen des „Omnibus“-Pakets der EU-Kommission zu, die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung für die meisten Unternehmen um zwei Jahre zu verschieben.
Dadurch müssen vorerst rund 80 Prozent der bisher berichtspflichtigen Unternehmen keine Nachhaltigkeitsberichte mehr erstellen.
Verpflichtet sind künftig nur noch Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden und entweder einem Jahresumsatz von mindestens 50 Millionen Euro oder einer Bilanzsumme von mindestens 25 Millionen Euro.
Doch genau diese Berichte sollen es auch Anlegern und Vermittlern ermöglichen, nachhaltige Unternehmen anhand verbindlicher Kriterien zu identifizieren. Entsprechend plädiert Votum dafür, auch die ESG-Beratungspflicht für Vermittler für zwei Jahre auszusetzen.
„Hier wurde der zweite Schritt vor dem ersten gemacht“, betont Votum-Geschäftsführer Martin Klein. „Es war von Anfang an ein Konstruktionsfehler, die Abfragepflicht zur Nachhaltigkeit vor der verbindlichen Berichterstattung der Unternehmen einzuführen.
Wenn Berater Empfehlungen geben sollen, brauchen sie eine verlässliche Datenbasis. Diese fehlt derzeit – und das führt zu Unsicherheit bei Kunden und einem kaum tragfähigen Haftungsrisiko für Berater“, positioniert sich Klein.
Ganz abrücken von Nachhaltigkeitsaspekten will Votum aber nicht. Die zwei Jahre sollen genutzt werden, „um brancheneigene, markttaugliche und verbraucherorientierte Lösungen zu entwickeln – mit dem Ziel, ein tragfähiges System zu schaffen, das Beratung und Nachhaltigkeit sinnvoll verbindet“, heißt es in der Stellungnahme.
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