Drohendes Storno: So weit geht die Nachbearbeitungspflicht der Versicherer

31.7.2025 – Das Oberlandesgericht München hat entschieden, dass ein Versicherer eine Provisionsrückforderung stellen kann, wenn er bei stornogefährdeten Versicherungsverträgen angemessene Nachbearbeitungsmaßnahmen ergriffen hat. Der Versicherer ist diesbezüglich unter anderem in der Regel nicht verpflichtet, ausstehende Beitragszahlungen des Versicherungsnehmers gerichtlich einzuklagen.

Ein Mann war bis April 2021 bei einem Versicherer (VR) als Mehrfachagent tätig. Rund sechs Monate vor der Beendigung der Zusammenarbeit vermittelte er eine fondsgebundene Rentenversicherung. Für den Vertragsabschluss erhielt er, wie im Agenturvertrag vereinbart, vom VR eine Abschlussprovision sowie einen Vorschuss auf die jährliche Folgeprovision.

VR forderte vom Mehrfachagenten Provisionen zurück

Nachdem der Versicherungsnehmer (VN) den Erstbetrag nicht bezahlte, verschob der VR auf Wunsch des Kunden den Versicherungsbeginn zweimal um insgesamt ein Jahr. Dennoch zahlte der VN den Erstbeitrag nicht.

Schließlich kündigte der VN den Vertrag Anfang 2022. Dabei gab er an, dass ein Mitarbeiter des VR in einem geführten Telefonat eine weitere Verschiebung abgelehnt und stattdessen eine Kündigung mit anschließendem Neuabschluss empfohlen habe.

Der VR forderte daraufhin vom Mehrfachagenten die Rückzahlung der bereits gezahlten Provisionen. Der Vermittler verweigerte dies mit der Begründung, dass der VR nicht ausreichend nachbearbeitet habe, um den Vertrag zu retten, wie es der § 87a Absatz 3 HGB vorsieht. Der VR könne daher die Provision nicht zurückfordern. Er selbst habe nach Beendigung des Agenturvertrages mit dem VR keine Möglichkeit zur Stornoverhinderung gehabt.

WERBUNG

Versicherer obsiegte in zweiter Instanz

Der VR verklagte daraufhin den Vermittler. Das Landgericht München I entschied zunächst zugunsten des beklagten Vermittlers. Es sah die Nachbearbeitungspflicht des VR als nicht erfüllt an. Die Richter begründeten dies damit, dass der VR nicht ausreichend dargelegt habe, alle zumutbaren Schritte zur Rettung des Vertrags unternommen zu haben.

Das LG stellte dabei darauf ab, dass dem Vermittler nach Beendigung seines Vertrages mit dem VR keine Einflussmöglichkeiten mehr zur Verfügung standen. Die Klage des VR auf Rückzahlung der Provision wurde abgewiesen.

Der VR legte Berufung gegen dieses Urteil ein. Das Oberlandesgericht (OLG) München hob die Entscheidung des LG mit dem Urteil (7 U 2993/23 e) vom 27. November 2024 auf und entschied zugunsten des VR.

Nach Auffassung des Senats war die Nachbearbeitungspflicht hier ausreichend erfüllt. Maßgeblich sei, dass der VR dem stornogefährdeten Vertrag durch wiederholte Versuche, den Vertragsbeginn zu verschieben und die Beitragszahlung einzuziehen, nachgekommen sei.

Nachbearbeitungspflicht für Versicherer oder Vermittler

Das OLG betonte: „Nach § 87a Absatz 3 Satz 2 HGB in Verbindung mit § 92 HGB entfällt der Anspruch auf Provision im Falle der Nichtausführung des vermittelten Vertrags, wenn und soweit die Nichtausführung auf Umständen beruht, die nicht vom Versicherer zu vertreten sind.“

Das Gericht ergänzte: „Das Versicherungsunternehmen muss stornogefährdete Verträge selbst nachbearbeiten oder dem Versicherungsvermittler durch Stornomitteilung die Möglichkeit einer Nachbearbeitung eröffnen, wobei sich Art und Umfang der gebotenen Nachbearbeitungsmaßnahmen nach dem jeweiligen Einzelfall bestimmen.“

Im konkreten Fall hatte der VR dreimal erfolglos versucht, die Prämie einzuziehen, und danach auf Wunsch des VN den Vertragsbeginn zweimal verschoben. Nach Auffassung des Gerichts war damit das übliche Maß einer gebotenen Nachbearbeitung mehr als erfüllt.

Zumutbarkeit der Maßnahmen maßgeblich

Wörtlich führt das OLG aus: „Da jeder der erfolglosen Versuche, die Erstprämie zu dem jeweils geänderten Termin einzuziehen, mit entsprechendem Verwaltungsaufwand und Bankkosten verbunden war, hatte die Klägerin nach den Umständen des Einzelfalls die ihr zuzumutende Nachbearbeitung mit der zweimaligen Verlegung des Versicherungsbeginns und den insgesamt drei erfolglosen Versuchen, die Erstprämie zu unterschiedlichen Zeitpunkten einzuziehen, erbracht.“

Eine weitere Verschiebung des Versicherungsbeginns oder erneute gerichtliche Durchsetzung der Erstprämie sind für den VR laut OLG nicht zumutbar. Zumal die wiederholten Lastschriftrückgaben schon zu Vertragsbeginn das erforderliche Vertrauensverhältnis für eine langfristige Zusammenarbeit mit dem VN beschädigt hätten.

Selbst das laut VN geführte Telefonat mit einem Mitarbeiter des VR, bei dem ihm empfohlen wurde, den Vertrag zu kündigen und einen neuen abzuschließen, stellt unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Bemühungen des VR laut OLG keine Verletzung der Nachbearbeitungspflicht dar.

Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen, da das OLG keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf sah und es sich um eine Einzelfallentscheidung handelte.

Fazit

Das Urteil stellt klar, dass ein VR nicht verpflichtet ist, bei jedem stornogefährdeten Vertrag alle erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, sondern eine angemessene Nachbearbeitung ausreicht, um eine Rückforderung der Provision zu rechtfertigen.

Vermittler können sich auf Provisionsansprüche nur berufen, wenn der VR seine Nachbearbeitungspflicht verletzt hat oder er dem Vermittler keine Möglichkeit einer Nachbearbeitung, zum Beispiel mittels einer Stornomitteilung, eröffnete.

Die Anforderungen an die Nachbearbeitung durch den VR richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Ein übermäßiger Aufwand, etwa durch gerichtliche Klagen auf nichtgezahlte Prämien, ist einem VR – auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten – in der Regel nicht zuzumuten.

WERBUNG
Schlagwörter zu diesem Artikel
Fondspolicen · Mehrfachvertreter · Mitarbeiter · Provision · Storno · Versicherungsvermittler · Vertretervertrag
 
WERBUNG
WERBUNG
Werben im Extrablatt

Mit einer Anzeige im Extrablatt erreichen Sie mehr als 12.500 Menschen im Versicherungsvertrieb, überwiegend ungebundene Vermittler. Über die Konditionen informieren die Mediadaten.

Ihr Wissen und Ihre Meinung sind gefragt

Ihre Leserbriefe können für andere Leser eine wesentliche Ergänzung zu unserer Berichterstattung sein. Bitte schreiben Sie Ihre Kommentare unter den Artikel in das dafür vorgesehene Eingabefeld.

Die Redaktion freut sich auch über Hintergrund- und Insiderinformationen, wenn sie nicht zur Veröffentlichung unter dem Namen des Informanten bestimmt ist. Wir sichern unseren Lesern absolute Vertraulichkeit zu. Schreiben Sie bitte an redaktion@versicherungsjournal.de.

Allgemeine Pressemitteilungen erbitten wir an meldungen@versicherungsjournal.de.

WERBUNG
Noch erfolgreicher Kundengespräche führen

Geraten Sie in Verkaufssituationen immer wieder an Grenzen?
Wie Sie unterschiedliche Persönlichkeitstypen zielgerichtet ansprechen, erfahren Sie im Praktikerhandbuch „Vertriebsgötter“.

Interessiert? Dann können Sie das Buch ab sofort zum vergünstigten Schnäppchenpreis unter diesem Link bestellen.

Diese Artikel könnten Sie noch interessieren
18.1.2016 – Vermittler können sich über Serviceleistungsmodelle alternative Verdienstmöglichkeiten erschließen. Doch wie reagieren die Kunden, machen sie dabei mit? Antworten hierzu gibt eine Umfrage des VersicherungsJournals. (Bild: VersicherungsJournal) mehr ...
 
27.11.2015 – Die vom VersicherungsJournal bei Versicherungsvertretern und -maklern erfragten positiven und negativen Erfahrungen mit Servicegebühren und Kooperationen wurden in einem Dossier zusammengefasst. Darin werden außerdem die Möglichkeiten und Grenzen von Dienstleistungs-Entgelten und die unausgeschöpften Potenziale aufgezeigt. mehr ...
 
19.6.2014 – PRAXISWISSEN: Wer Personal zur Unterstützung im Vermittlerbüro sucht, dem gibt der Gesetzgeber verschiedene vertragliche Optionen vor. Eine Möglichkeit ist die Zusammenarbeit mit einem Tippgeber. Welche gesetzlichen Bestimmungen hierbei gelten. mehr ...
 
21.4.2011 – Insgesamt deutlich über 600 Makler und Vertreter beantworteten die Fragen des VersicherungsJournals zu Abschluss- und Bestandsvergütungen und sonstigen Anreizen. Wie viele „Provisionsexzesse“ es danach gibt. mehr ...
 
25.3.2025 – Verdienen sich Vermittler der staatlich geförderten Altersvorsorge eine sprichwörtlich goldene Nase oder liegt ihr Verdienst unter dem Mindestlohn? Hierüber streiten sich Versicherungsvermittler und Verbraucherschützer in einer aktuellen Onlinedebatte. (Bild: Mathconcepts) mehr ...
 
2.10.2024 – Mit dem Vorschlag eines freiwilligen Provisionsdeckels hatte der Bundesverband deutscher Versicherungsmakler im Vermittlermarkt für Empörung gesorgt. Doch auf einer Tagung bekräftigte er seinen Vorschlag. (Bild: Schmidt-Kasparek) mehr ...
 
15.9.2023 – Auf welchen Angeboten unabhängige Versicherungsvermittler eher sitzen blieben und bei welchen der Absatz regelrecht brummte, zeigt eine aktuelle Studie. Ihr zufolge gibt es ein neues Schlusslicht – und einige lukrative Sparten fielen im Rang kräftig zurück. (Bild: Wichert) mehr ...
 
22.3.2023 – In 2022 zeigte sich die ALH-Gruppe 2022 wachstumsstark. Die Gründe dafür nannte der Vorstand bei der Vorlage der Bilanzen. Nach Tausenden verlorenen Vollversicherten meldet der Krankenversicherer die Wende. Auch die Leben-Sparte vergrößerte ihren Bestand deutlich. (Bild: Ullrich) mehr ...
 
1.11.2022 – Die Behörde hat am Montag ein brisantes Merkblatt zur Diskussion gestellt. Darin verlangt sie von der Branche eine stärkere Kundenorientierung und droht bei hohen Verwaltungs- und Vertriebskosten mit verstärkter Aufsicht. Auch Vermittler müssen mit Einschnitten rechnen. (Bild: Pixabay, CC0) mehr ...