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Wie leisten private Invaliditäts- und Pflegepolicen nach Wegfall der Pflegestufen?

19.5.2025 – Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs zeigt, dass bei privaten Pflege- und Invaliditätsversicherungen die Änderung der gesetzlichen Vorgaben, inwieweit eine Pflegebedürftigkeit vorliegt, zu einer rechtlichen Lücke im Versicherungsvertrag führen kann. So ist zum Beispiel eine generelle Gleichsetzung von Pflegegrad 2 mit der früheren Pflegestufe I nicht zulässig.

Eine Frau hatte im Mai 2014 eine private Invaliditätsversicherung abgeschlossen. Nach den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen leistet der Versicherer eine Pflegerente, wenn die versicherte Person in die Pflegestufe I, II oder III nach dem Sozialgesetzbuch eingestuft wird.

Im Rahmen der Pflegereform nach dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) änderten sich zum 1. Januar 2017 jedoch die Kriterien der Pflegebedürftigkeit nach § 14 SGB XI. Die bis dahin drei Pflegestufen wurden von fünf Pflegegraden gemäß § 15 SGB XI abgelöst.

Welcher Pflegegrad welcher Pflegestufe entspricht, war strittig

Im Jahr 2019 wurde bei der Versicherten eine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2 festgestellt. Der Versicherer verweigerte die Zahlung der Pflegerente mit der Begründung, dass der Pflegegrad 2 nicht automatisch der früheren Pflegestufe I entspricht.

Er gab an, dass eine Umrechnung der im Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zur Bestimmung des Pflegegrades ermittelten Punkte anhand der Vorgaben des früheren Rechts lediglich zu einer Einordnung in die ehemalige Pflegestufe 0 führe.

Die Versicherte war anderer Ansicht und verklagte den Versicherer auf Rentenzahlung. Das Landgericht Dessau-Roßlau wies die Klage ab.

Regelungslücke durch Gesetzesänderung

Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hingegen gab der Klägerin weitgehend recht: „Als Folge der Pflegereform sei der vertraglichen Regelung die Anknüpfung für den Versicherungsfall abhandengekommen, was zu einer planwidrigen Lücke geführt habe.“

Um diese entstandene Regelungslücke zu schließen, sei der Vertrag ergänzend dahingehend auszulegen, dass die neue Einstufung in Pflegegrad 2 als gleichwertig zur früheren Pflegestufe I anzusehen sei.

Das OLG war zudem der Ansicht, dass der Versicherungsvertrag keine nochmalige inhaltliche Prüfung der Pflegebedürftigkeit durch den beklagten Versicherer vorsehe. Daher seien die Entscheidung der Pflegekasse und das zugrundeliegende Gutachten des Medizinischen Dienstes nicht im Einzelfall auf die Kriterien der Pflegestufe I zu untersuchen.

Pflegestufe I ist nicht gleichzusetzen mit Pflegegrad 2

Der Bundesgerichtshof (BGH) hob allerdings mit dem Urteil vom 30. April 2025 (IV ZR 126/23) das Berufungsurteil auf und wies den Fall zur erneuten Entscheidung an das OLG zurück.

Zwar bestätigte auch der BGH, dass die zugrunde liegenden „Versicherungsbedingungen infolge des Wegfalls der Pflegestufen […] eine planwidrige Regelungslücke enthalten“.

Diese Lücke könne aber nicht ohne Weiteres durch eine generelle Gleichsetzung von Pflegegrad 2 mit Pflegestufe I geschlossen werden. Denn die Pflegereform habe nicht nur die Begrifflichkeiten verändert, sondern auch die Kriterien zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit erheblich erweitert.

BGH: Ein erweiterter Leistungsumfang kann nicht verlangt werden

Insbesondere werden mit dem Pflegegrad 2 auch psychische und kognitive Einschränkungen berücksichtigt, die früher nur für die sogenannte „Pflegestufe 0“ galten. Dadurch könnten auch Personen in den Pflegegrad 2 fallen, die nach alter Rechtslage nicht die Pflegestufe I oder höher erreicht hätten.

Eine Gleichsetzung von Pflegegrad I mit Pflegestufe 2 wäre somit eine Ausweitung des Versicherungsumfangs. Das BGH betont, „dass das Berufungsgericht nicht in seine Überlegungen einbezogen hat, inwieweit einer Erweiterung des Leistungsversprechens möglicherweise eine unzureichende Kalkulation des Tarifs auf Seiten der Beklagten gegenübersteht“.

Die Grenzen für eine ergänzende Vertragsanpassung

Der BGH stellt klar: Nicht „jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsschluss bestehenden Verhältnisse“ rechtfertigt eine ergänzende Vertragsanpassung eines Versicherungsvertrages durch ein Gericht, wenn das zu einer erheblichen Ausweitung der Leistungspflicht führen würde.

Eine solche Vertragsanpassung sei nur unter bestimmten Bedingungen möglich, etwa wenn es, wie in § 313 BGB geregelt, unzumutbar wäre, am alten Vertrag festzuhalten.

Das OLG muss nun klären, ob der Versicherungsvertrag aufgrund des Wegfalls der alten Pflegestufen im Wege einer Anpassung nach § 313 BGB so auszulegen ist, dass der Versicherer unter bestimmten Voraussetzungen auch bei Pflegegrad 2 eine Pflegerente leisten muss.

Im Zweifelsfalle ist ein Gutachten erforderlich

Der Versicherer könnte in dem Fall vom Versicherten verlangen, sich begutachten zu lassen, um eine Pflegebedürftigkeit nach den alten Kriterien der Pflegestufen I bis III festzustellen.

Laut BGH gilt: Auch wenn der ursprüngliche Vertrag nur auf die alten Pflegestufen verweist, ist es nicht generell ausgeschlossen, „dass als Leistungsvoraussetzung eine den Pflegestufen I bis III entsprechende Pflegebedürftigkeit im Einzelfall durch Sachverständigengutachten nachzuweisen ist“.

Ergänzend heißt es im BGH-Urteil: „Ergibt die vorzunehmende Aufklärung des Sachverhalts, dass die Anknüpfung des Versicherungsfalls an die Einstufung in einen Pflegegrad nach dem deutschen Sozialgesetzbuch eine Prämienanpassung zulässt, kann das Interesse des Versicherungsnehmers, im Rahmen der Leistungsprüfung von einer Begutachtung verschont zu bleiben, hinter seinem Interesse an einer Vermeidung steigender Prämien zurücktreten.“

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Schlagwörter zu diesem Artikel
AVB · Bundesgerichtshof · Invalidität · Rente · Schadenregulierung
 
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