Wann müssen Volkshochschulen Sozialbeiträge für Honorarkräfte zahlen?

12.11.2024 – Ob Lehrkräfte Sozialversicherungs-pflichtig beschäftigt sind, richtet sich nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Eine gefestigte, langjährige Rechtsprechung, die eine lehrende Tätigkeit – insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule – bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig einstuft, existiert nicht. Das hat das Bundessozialgericht bestätigt.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 5. November 2024 (B 12 BA 3/23 R) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Lehrkräfte als selbstständig oder abhängig beschäftigt gelten. Das Gericht informiert darüber in einer Pressemitteilung – die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus.

Student gab Unterricht – nicht weisungsgebunden

Bundessozialgericht (Bild: Partynia, CC BY-SA 3.0)
Bundessozialgericht (Bild: Partynia, CC BY-SA 3.0)

Im verhandelten Rechtsstreit hatte eine Volkshochschule gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) geklagt. Diese forderte, dass die Schule für die Jahre 2017 bis 2021 Rentenbeiträge für einen Studenten nachzahlt, der für die Bildungseinrichtung Unterricht gab. Die Volkshochschule vertrat jedoch die Auffassung, dass der Student als Selbstständiger tätig gewesen sei.

Die Volkshochschule bietet unter anderem Kurse an, mit denen Schüler auf dem zweiten Bildungsweg einen Realschulabschluss nachholen können. Der beigeladene Student unterrichtete in diesem Rahmen als Honorarkraft mehrere Kurse in Recht und Politik.

Laut Vertragsbedingungen hatte die Schule keine Weisungsbefugnis gegenüber dem Studenten – ein entscheidender Punkt, um eine Scheinselbstständigkeit auszuschließen.

Zwar stellte die Schule die Unterrichtsräume zur Verfügung und stimmte die Kurszeiten mit dem Studenten ab, doch dieser konnte die Lehrinhalte frei gestalten. Er reichte regelmäßig Berichte über den Lernfortschritt der Schüler bei der Fachbereichsleitung ein, die diese in ein Zwischenzeugnis einfließen ließ.

Vorinstanzen entschieden zugunsten der Volkshochschule

Trotz der vorliegenden Umstände stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung fest, dass ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mit dem Studenten vorlag. Daher forderte sie vom Träger der Volkshochschule die Nachzahlung der Sozialbeiträge für den betreffenden Zeitraum. Gegen den entsprechenden Bescheid setzte sich der Träger juristisch zur Wehr.

Das Sozialgericht Hildesheim (SG) hob die Bescheide zunächst auf. Auch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) entschied zugunsten der klagenden Schule und wies die Berufung der DRV zurück.

Berufungsgericht verweist auf Sonderrechtsprechung vor 2022

Das Berufungsgericht aus Celle musste ein wegweisendes Urteil des Bundessozialgerichts vom Juni 2022 berücksichtigen. Im „Herrenberg-Urteil“ wurde eine auf Honorarbasis beschäftigte Musikschullehrerin als abhängig Beschäftigte eingestuft. Seither sind Musikschulen verpflichtet, auch ihre Honorarkräfte fest anzustellen und zu versichern (VersicherungsJournal Medienspiegel 20.4.2023).

Das Landessozialgericht wies jedoch darauf hin, dass für die Zeit vor Juni 2022 eine entscheidende Sonderrechtsprechung des BSG galt, nach der lehrende Tätigkeiten grundsätzlich als selbstständig zu bewerten waren. Erst mit dem Herrenberg-Urteil sei eine neue Bewertung eingetreten. Auf davor liegende Zeiträume seien die vermeintlich geänderten Grundsätze aber nicht übertragbar.

Stark vereinfachend hätte die Volkshochschule aufgrund der gängigen Rechtspraxis zum damaligen Zeitpunkt davon ausgehen dürfen, dass der Student anhand der getroffenen Vereinbarungen als Selbstständiger tätig war.

BSG widerspricht Vorinstanzen

Diesem Tenor hat das Bundessozialgericht widersprochen und das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben. Eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit – insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule – bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre, existiert nicht, so hob der 12. Senat des BSG hervor.

Die Volkshochschule könne sich daher nicht auf den Fortbestand einer früheren Rechtsprechung berufen. Entscheidungen über das Vorliegen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung basieren stets auf einer Einzelfallbeurteilung, so betonte der Senat. Wie das BSG das Fehlen einer gefestigten Rechtsprechung zu diesem Zeitpunkt begründet, ist jedoch nicht aus der Pressemitteilung ersichtlich.

Für den Zeitraum vom 7. August 2017 bis zum 22. Juni 2018 stellte das oberste Sozialgericht fest, dass der Student sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und die Volkshochschule für diesen Zeitraum Beiträge nachzahlen muss. Für die späteren Zeiträume wies der Senat die Sache zur weiteren Ermittlung an das Landessozialgericht zurück.

Auch wenn die Klägerin argumentierte, dass die nachträgliche Zahlung von Beiträgen für vergangene Zeiträume sie unzumutbar belasten würde, reicht dies allein nicht aus, um Vertrauensschutz zu gewähren.

Rentenversicherung fehlen wichtige Merkmale von Selbstständigkeit

Wie begründet die beklagte Rentenversicherung, dass der Student abhängig beschäftigt gewesen ist? Auch diese Frage lässt die Pressemitteilung des BSG offen.

Einen Hinweis liefert jedoch die Terminvorschau des Bundessozialgerichts. Auch wenn es für Dozenten nur grobe Rahmenvorgaben gebe und sie ihren Unterricht frei gestalten dürfen, spreche dies erst dann für Selbstständigkeit, wenn dem Dozenten eigenes unternehmerisches Handeln mit entsprechenden Chancen und Risiken möglich sei.

An eigenem unternehmerischem Handeln mit Chancen und Risiken fehle es der Tätigkeit des Studenten, bemängelt die DRV. Deshalb macht sie geltend, dass in dem Urteil der Vorinstanz sowohl Verstöße gegen § 7 Absatz 1 SGB IV als auch gegen Art. 20 Absatz 3 GG vorliegen.

 

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Ausbildung · Bundessozialgericht
 
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