Unfallversicherung: Was beim Invaliditätsnachweis zu beachten ist

28.5.2025 – Für Ansprüche auf eine Invaliditätsleistung aus einer privaten Unfallversicherung reicht eine ärztliche Bescheinigung über eine dauerhafte Beeinträchtigung allein nicht aus. Vielmehr muss darin auch klar belegt sein, dass diese durch einen Unfall verursacht wurde. Zudem gilt die Vorschusszahlung eines Versicherers nicht als verbindliche Anerkenntnis, zur Leistung verpflichtet zu sein. Dies verdeutlicht ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden.

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Ein Mann war innerhalb kurzer Zeit zweimal gestürzt. Beim ersten Sturz verletzte er sich am Kopf, an der rechten Hand und am rechten Unterarm. Nicht ganz drei Wochen später stürzte er mit dem Fahrrad und verletzte sich am linken Knie und an der linken Hand.

Der Betroffene meldete beide Unfälle dem Versicherer, bei dem für ihn eine private Unfallversicherung bestand. Der Unfallversicherer informierte ihn zeitnah schriftlich über die vertraglichen Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen.

Ferner wurde dem Verunfallten ein Formular für eine ärztliche Bescheinigung zugesandt, das er vom behandelnden Arzt ausfüllen lassen sollte.

Ärztliche Atteste und gezahlte Vorschüsse ein Schuldanerkenntnis?

Rund elf Monate nach den Unfällen zahlte der Versicherer Vorschüsse, wies aber per E-Mail darauf hin, dass diese nur wegen der Verfahrensdauer gewährt wurden. Außerdem sei der Versicherungsnehmer schriftlich auf die Vorläufigkeit der Leistung wegen der noch ausstehenden ärztlichen Unterlagen und Gutachten ausdrücklich hingewiesen worden.

In der Folgezeit machte der Verunfallte dauerhafte gesundheitliche Beschwerden wie Taubheitsgefühle in der rechten Hand, Bewegungseinschränkungen und Schmerzen geltend. Der Versicherer verweigerte jedoch eine weitergehende Invaliditätsleistung.

Der Versicherte sah hierin eine unrechtmäßige Leistungsverweigerung und klagte vor dem Landgericht Leipzig auf Zahlung, gestützt auf ärztliche Atteste und die gezahlten Vorschüsse, die er als Schuldanerkenntnis wertete.

Eine Invaliditätsbescheinigung …

Das Landgericht (LG) Leipzig wies die Klage jedoch ab. Der Kläger legte dagegen Berufung ein. Doch auch das Oberlandesgericht (OLG) Dresden bestätigte mit dem Beschluss (4 U 1213/24) vom 11. März 2025 die Entscheidung des LG vollumfänglich. Es wies die Berufung des Klägers per Beschluss zurück, da sie in der Sache „offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg“ habe.

Die Richter stellten fest, dass zwar verschiedene ärztliche Unterlagen eingereicht wurden, jedoch habe der Kläger „zu keinem Zeitpunkt eine fristgemäße ärztliche Invaliditätsfeststellung zu den infolge der Unfälle […] eingetretenen Gesundheitsschäden vorgelegt“. Vor allem fehle in allen mittlerweile vorgelegten Attesten eine klare ärztliche Aussage dazu, dass die geltend gemachten Beschwerden ursächlich auf die beiden Unfälle zurückzuführen seien.

Zwar gibt es ein ärztliches Attest, das an den Arbeitgeber des Verunfallten, nicht jedoch an den Versicherer adressiert war. Aus diesem geht hervor, dass der Betroffene an dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen leidet, die ihn bei der Berufsausübung behindern. Es handelt sich hier um eine Fehlstellung der Finger, eine Bewegungseinschränkung am linken Daumen sowie chronische Schmerzen an der linken Schulter.

Allerdings ergibt sich aus dem Attest auch, dass kein Zusammenhang dieser Beeinträchtigungen mit den Unfallereignissen besteht. Zudem ist es dem Versicherer erst nach der in der Unfallpolice vereinbarten Frist von 36 Monaten nach dem Unfallereignis zugegangen. Weitere Arztberichte belegen ferner, dass die bestehenden Taubheitsgefühle an den Fingern der rechten Hand ebenfalls nicht durch die Stürze verursacht wurden.

… ohne Unfallbezug reicht nicht

Zentraler Punkt der OLG-Entscheidung: Eine ärztliche Invaliditätsbescheinigung muss nicht nur die dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigung beschreiben, sondern auch klar feststellen, dass diese auf den Unfall zurückzuführen ist. Diese Kausalitätsfeststellung fehlte hier.

Die vom Kläger eingereichten Atteste bezogen sich zwar auf dauerhafte Beschwerden, stellten aber keinen Zusammenhang mit den Unfällen her. In einem Fall sei die Verletzung sogar vollständig folgenlos ausgeheilt. Zudem sei es dem Kläger zumutbar gewesen, rechtzeitig eine formgerechte ärztliche Feststellung beizubringen, was jedoch unterblieben ist.

Der Unfallversicherer habe ihn nachweislich mehrfach darauf hingewiesen und ihm das entsprechende Formular zugesandt. Auch ein etwaiger Rechtsmissbrauch durch die Assekuranz sei nicht erkennbar, da der Kläger über die Fristen und Anforderungen informiert war.

„Auch wenn an eine Invaliditätsbescheinigung in der privaten Unfallversicherung keine hohen Ansprüche zu stellen sind, genügt es nicht, wenn sie nur die Invalidität als solche, nicht jedoch die (Mit-)Ursächlichkeit des Unfallereignisses feststellt“, so ein Leitsatz zum OLG-Beschluss.

Ein Vorschuss ist kein automatisches Schuldanerkenntnis

Das OLG widersprach zudem dem Argument, die gezahlten Vorschüsse seien eine verbindliche Leistungszusage. Der Versicherer habe nämlich die Vorschüsse ausdrücklich als vorläufige Zahlungen bezeichnet und stets auf die noch ausstehende Invaliditätsbescheinigung hingewiesen.

Das Gericht betonte, der Versicherer hätte „hinreichend deutlich gemacht, dass der Kläger nicht darauf vertrauen konnte, die Beklagte würde sich – unabhängig vom noch ausstehenden Ergebnis der Begutachtung – verbindlich verpflichten wollen, Leistungen zu erbringen“.

Ein weiterer Leitsatz zur OLG-Entscheidung betont: „Die Ankündigung einer Vorschusszahlung durch den Versicherer kann der Versicherungsnehmer nur dann als konstitutives Schuldanerkenntnis verstehen, wenn zuvor Streit über die grundsätzliche Einstandspflicht, insbesondere über die Unfallbedingtheit der körperlichen Beschwerden, bestand.“

Nur wenn es vorher bereits Streit darüber gegeben hätte, ob der Unfallversicherer überhaupt zahlen muss – insbesondere ob die Gesundheitsbeschwerden wirklich durch die Unfälle verursacht wurden –, hätte eine solche Vorschussankündigung als rechtlich bindendes Anerkenntnis gewertet werden können.

Ärztliche Feststellung muss konkret, fristgerecht und vollständig sein

Das Urteil unterstreicht die strengen Anforderungen an die Geltendmachung von Invaliditätsleistungen in der privaten Unfallversicherung. Versicherungsnehmer müssen innerhalb der vereinbarten Frist – gemäß § 188 VVG bis zu drei Jahre ab Unfalltag – nicht nur ärztlich bestätigen lassen, dass eine dauerhafte Beeinträchtigung besteht, sondern auch, dass diese auf ein konkretes Unfallereignis zurückzuführen ist.

Auch wenn der Versicherer selbst ein Gutachten in Auftrag gibt oder Vorschüsse leistet, bleibt es in der Verantwortung des Versicherungsnehmers, diese ärztliche Feststellung rechtzeitig und vollständig vorzulegen, wie dem OLG-Beschluss zu entnehmen ist.

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Schlagwörter zu diesem Artikel
Invalidität · Private Unfallversicherung · Versicherungsvertragsgesetz
 
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