Leerstand nicht allein entscheidend: Wann eine Gefahrerhöhung gegeben ist

18.8.2025 – Die Bestimmung „Das Gebäude ist nicht länger als sechs Monate ununterbrochen unbewohnt“ ist laut einem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts als Gefahrerhöhungstatbestand im Hinblick auf die Steigerung des Brandrisikos unwirksam. Eine Erhöhung der Brandgefahr könne erst dann zu bejahen sein, wenn zu dem Leerstehen weitere Umstände hinzukommen, so das Gericht.

Eine Eigentümergemeinschaft versicherte Ende 2015 ein Wohnhaus bei der Allianz Versicherungs-AG im Tarif „SicherheitPlus“ in der Fassung von 2014 gegen Brand. Die letzten Bewohner des Hauses waren im Frühjahr und Sommer des gleichen Jahres verstorben.

Rund drei Jahre später kaufte ein Mann das Gebäude. Der Versicherer stellte nach einem Telefongespräch mit der Ehefrau des neuen Eigentümers im Oktober 2018 einen Versicherungsschein aus. Das Objekt stand weiterhin leer. Im Oktober 2021 brannte es vollständig nieder.

In einem Gutachten wurden ein Neuwertschaden von 397.280 Euro und ein Zeitwertschaden von 99.320 Euro festgestellt. Die Aufräum- und Abbruchkosten sollten 12.500 Euro kosten. Hinzu kam ein Schaden am Zubehör von 1.300 Euro.

Allianz kürzte die Entschädigungsleistung

Die Allianz regulierte den Zeitwertschaden und die weiteren Posten zu 40 Prozent und teilte mit, dass sie 40 Prozent des Neuwertanteils zahle, wenn die Wiederherstellung des Gebäudes innerhalb von drei Jahren nachgewiesen werde.

Die Leistungskürzung wurde mit einer Obliegenheitsverletzung begründet. Eine Gefahrerhöhung sei nicht angezeigt worden, hieß es beim Versicherer. Diese sei durch den Leerstand entstanden. In dessen Folge sei es unstreitig zu Vandalismus am Gebäude gekommen. Beispielsweise seien Scheiben eingeschlagen worden und Unbefugte ein- und ausgegangen.

Zudem habe die Ehefrau des Versicherungsnehmers einen persönlichen Termin abgelehnt, da mit dem ihr vorliegenden Vertrag der Vorbesitzer „alles okay“ sei. Eine zielgerichtete Nachfrage nach einem Leerstand von mehr als sechs Monaten habe sie beim Telefongespräch verneint.

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Berufungsgericht urteilt zugunsten der Allianz

Gegen die Entscheidung des Versicherers klagte der Hausbesitzer und forderte die restlichen 60 Prozent ein. Das Gebäude habe schon leer gestanden, als er den Versicherungsvertrag neu abgeschlossen habe, begründete er dies.

Deshalb liege eine Gefahrenerhöhung nicht vor. Damit habe er auch dem Versicherer nichts anzeigen müssen. Im Übrigen habe es schon beim Abschluss des vorangehenden Vertrages leer gestanden.

Das Landgericht Flensburg (4 O 141/22) gab ihm Recht und verurteilte die Allianz zur Zahlung der vollen Entschädigungsleistung. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (16 U 64/24) hingegen urteilte kürzlich im Berufungsverfahren im Sinne des Versicherers und wies die Klage des Hausbesitzers ab.

Leistungskürzung im vorgenommenen Umfang rechtens

„Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist ohne entscheidende Bedeutung, ob das Gebäude zum Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Versicherungsvertrags durch die Eigentümergemeinschaft im Dezember 2015 noch bewohnt war oder schon nicht mehr“, schreibt das Oberlandesgericht im Urteil.

Im Streitfall habe eine zur Leistungskürzung berechtigende, nicht angezeigte und nicht genehmigte sogenannte objektive Gefahrerhöhung im Sinne der Versicherungsbedingungen vorgelegen.

Und zwar deshalb, „weil das Gebäude zum Zeitpunkt des Brandes, nicht aber schon zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Versicherungsvertrags langjährig und mit nach dem Erwerb des Klägers zu Tage getretenen und ihm bekannten Folgen für das Brandrisiko leer stand, ohne dass der Kläger das, wozu er gehalten gewesen wäre, der Beklagten angezeigt hätte“, so die Richter.

Die Obliegenheitsverletzung des Klägers rechtfertige auch eine Leistungskürzung in dem von der Beklagten vorgenommenen Umfang.

Eine Erhöhung der Brandgefahr kann jedoch dann zu bejahen sein, wenn zu dem Leerstehen weitere Umstände hinzukommen.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht

Zusammentreffen verschiedener Umstände erhöht Brandgefahr

In dem Versicherungsschein ist unter anderem deklariert, dass das Haus nicht länger als sechs Monate ununterbrochen unbewohnt ist. „Im Hinblick auf eine Gefahrerhöhung kann für sich allein betrachtet das bloße Leerstehen eines Wohngebäudes noch nicht als Erhöhung der (Brand-)Gefahr angesehen werden“, schreibt das Oberlandesgericht in seinem Urteil.

Diese werde zum Beispiel bei Gebäuden in geschlossenen Ortsteilen, die ordnungsgemäß überwacht würden, möglicherweise sogar eher vermindert als erhöht. „Eine Erhöhung der Brandgefahr kann jedoch dann zu bejahen sein, wenn zu dem Leerstehen weitere Umstände hinzukommen“, heißt es.

Eine Gefahrerhöhung sei etwa dann anzunehmen, wenn ein Gebäude unbeobachtet in beträchtlicher Entfernung vom Ortsrand liege, seit dem Auszug der letzten Bewohner erhebliche Zeit verstrichen sei und durch Verwahrlosung das Leerstehen offenbar werde. Bei dem Zusammentreffen solcher Umstände müsse davon ausgegangen werden, dass die Brandgefahr erhöht sei, so die Richter.

Denn das Gebäude könne zu einem Unterschlupf oder Anziehungspunkt für Wohnsitzlose werden, die erfahrungsgemäß mit fremdem Eigentum sorglos umgingen. Auch sei es in erhöhtem Maße einer mutwilligen oder fahrlässigen Brandstiftung durch Kinder, Jugendliche oder Erwachsene ausgesetzt.

Der Kläger hat keinen eigenen neuen Versicherungsvertrag abgeschlossen.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht

Gravierende Veränderungen nach dem Hauskauf

„Der Kläger hat keinen eigenen neuen Versicherungsvertrag abgeschlossen, sondern er ist vielmehr lediglich in den vorbestehenden Versicherungsvertrag eingetreten“, wird festgestellt. Als dieser Vertrag geschlossen wurde, habe noch keine Gefahrenlage vorgelegen. Dies ergebe sich schon daraus, dass das Haus noch nicht einmal sechs Monate lang leer gestanden habe.

Zudem spreche nichts dafür, dass das Haus bereits damals einen heruntergekommenen Zustand aufgewiesen hätte. Der Kläger habe selbst erklärt, „dass der Zustand bei seinem Erwerb so gewesen sei, dass man darin hätte wohnen können; es sei allenfalls ein Fenster kaputt gewesen“, so das Gericht.

Gravierende Veränderungen über den bloßen Leerstand hinaus, namentlich eine augenscheinliche Verwahrlosung der Bausubstanz und ein wiederholtes Eindringen Unbefugter in das Gebäude, habe es erst später während der Besitzzeit des Klägers gegeben, heißt es im Urteil. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus den eigenen Angaben des Klägers.

Das Gebäude war für Dritte umso mehr einladend, als es [...] über Strom verfügte.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht

Kenntnis über Verwahrlosung des Gebäudes

Nach seiner Darstellung sei der Zustand des Gebäudes zur Zeit des Brandes schlecht gewesen. Er habe es als „aus heutiger Sicht unbewohnbar“ bezeichnet. In der Brandnacht habe er gesagt, die Eingangstüren seien häufig durch unbefugte Personen geöffnet und beschädigt worden, und später, dass er die Türen „immer wieder zugemacht“ habe.

Sein Sohn habe berichtet, dass regelmäßig Zigarettenstummel und Alkoholflaschen gefunden worden seien. Eine Nachbarin habe ausgesagt, dass das Dach zwei große Löcher aufgewiesen habe, eines davon seit längerer Zeit. „Das Gebäude war für Dritte umso mehr einladend, als es – wie der Kläger ausweislich seiner Vernehmung [...] auch wusste – über Strom verfügte“, so die Richter.

In all dem zeigt sich [...] das Vollbild einer Gefahrerhöhung, nämlich ein langjährig leer stehendes Haus, das mehr und mehr heruntergekommen ist und regelmäßig von unbefugten Dritten aufgesucht worden ist, die sich dort auch jeweils über einige Zeit zu Konsumzwecken aufgehalten haben“, stellen sie fest.

Eine Obliegenheit zur Anzeige habe den Kläger ab dem Zeitpunkt getroffen, „da er von dem wiederholten Eindringen Unbefugter in das Gebäude Kenntnis erlangt hatte“, wird ausgeführt. „Für ihn war nach seinen eigenen Angaben augenscheinlich, dass und wie sich das Objekt in der Zwischenzeit verändert hatte.“ Es liege „ein allemal mehr als nur mittelgradiges Verschulden des Klägers vor“.

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