3.4.2025 – Das Sozialgericht Stuttgart hat einem Mann Witwerrente zuerkannt, obwohl sein Gatte zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits an einem unheilbaren Hirntumor litt – und drei Monate später verstarb. Warum das Gericht derart entschied.
Verstirbt ein Ehegatte oder eine Ehegattin innerhalb eines Jahres nach der Hochzeit, geht die Deutsche Rentenversicherung (DRV) in der Regel von einer sogenannten Versorgungsehe aus.
Die Folge: Eine Witwen- oder Witwerrente wird meist versagt, weil der Gesetzgeber unterstellt, dass die Ehe vor allem aus finanziellen Gründen geschlossen wurde (VersicherungsJournal Archiv).
In einem Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Stuttgart konnte ein Ehegatte dennoch nachweisen, dass die Ehe nicht aus Versorgungsgründen geschlossen wurde – obwohl sein Lebenspartner zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits an einer schweren Erkrankung mit ungünstiger Prognose litt und beide davon wussten.
Der Kläger war seit 2013 mit dem Verstorbenen liiert, seit Januar 2014 lebten sie zusammen. Im Juli 2019 wurde bei seinem Partner nach einem Verkehrsunfall ein unheilbarer Hirntumor entdeckt, der nur noch palliativ behandelt werden konnte. In der Folge litt er unter schweren Seh- und Gleichgewichtsstörungen und musste sich mehreren Therapien unterziehen.
Am 27. März 2020 heirateten beide. Doch Anfang Juni wurde der frisch Vermählte im Koma aufgefunden und ins Krankenhaus eingeliefert, wo er wenige Tage später infolge einer Einblutung in den Tumor verstarb. Die Ehe dauerte weniger als drei Monate.
Ende Juni 2020 beantragte der Witwer eine Hinterbliebenenrente und erklärte, dass die Ehe bereits seit Weihnachten 2018 geplant war. Zu diesem Zeitpunkt verlobten sich auch beide Partner.
Wegen fehlender Unterlagen hätten sie die erforderlichen Dokumente erst Anfang 2019 einreichen können und im März desselben Jahres einen Termin zur Eheschließung erhalten – also noch, bevor die schwere Diagnose beim Verstorbenen gestellt wurde.
Dennoch lehnte es der Rentenversicherungsträger ab, eine Hinterbliebenenrente auszuzahlen, und verwies auf § 46 Absatz 2a SGB VI. Nach den vorliegenden Unterlagen sei bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung absehbar gewesen, dass die Krankheit innerhalb eines Jahres zum Tod führen werde, argumentierte die Rentenversicherung.
Dagegen legte der Witwer Widerspruch ein. Er argumentierte, es sei verkannt worden, dass eine schwere Krankheit keinen generellen Ausschlussgrund darstelle, sondern einer Gesamtschau bedürfe. So könnten auch Freunde und Bekannte bezeugen, dass die Heirat bereits seit 2018 geplant gewesen sei. Zu dem Zeitpunkt des Heiratsantrags sei kein baldiger Tod des Gatten absehbar gewesen.
Die Rentenversicherung aber blieb bei ihrem negativen Bescheid, nachdem sie noch einmal eine beratende Ärztin hinzugezogen hatte. Diese teilte mit, dass aus den Befunden beim Verstorbenen bereits seit Juli 2019 ein fortgeschrittenes Tumorleiden ersichtlich gewesen sei. Folglich sei auch die Eheschließung im Jahr 2020 als Versorgungsehe zu werten.
Als besondere Umstände sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls anzusehen.
Sozialgericht Stuttgart
Das Sozialgericht Stuttgart entschied am 24. November 2024 (S 24 R 4315/21), dass der Widerspruchsbescheid der Rentenversicherung rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze. Daher habe dieser Anspruch auf die Zahlung einer kleinen Witwenrente.
Dauert eine Ehe weniger als ein Jahr, so komme es darauf an, ob „besondere Umstände“ vorliegen, die die Annahme widerlegen, dass der Hauptzweck der Heirat die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung war, betont das Gericht.
Als „besondere Umstände“ seien hierbei laut SGB „alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls“ anzusehen, „die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen“. Dabei müssten die „Beweggründe“ (Motive, Zielvorstellungen) beider Ehegatten für die Heirat gewürdigt werden, wobei diese zwischen beiden Partnern auch abweichen können.
Das Gericht betonte, dass der Gesundheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung eine zentrale Rolle bei der Bewertung des Hauptzwecks der Heirat spielt.
Lässt sich feststellen, dass der Versicherte zu diesem Zeitpunkt offensichtlich an einer lebensbedrohlichen Krankheit litt, wird der Ausnahmetatbestand des § 46 Absatz 2a SGB VI in der Regel nicht erfüllt. Das bedeutet, die Heirat wird vermutlich vor allem mit dem Ziel eingegangen sein, eine Hinterbliebenenversorgung zu sichern.
Trotzdem könne auch bei schwerer Krankheit und einer ungünstigen Prognose des Ehegatten die Heirat aus anderen, gleichwertigen oder überwiegenden Gründen als der Absicht der Versorgung erfolgt sein, so das Gericht. In solchen Fällen müssten jedoch die Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, stärker gewichtet werden, je offenkundiger und lebensbedrohlicher die Erkrankung des Versicherten war.
Mit anderen Worten: Der Schweregrad und die Bekanntheit der Krankheit erhöhen den Beweisaufwand des Hinterbliebenen, um die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen. Sie erfordere „den vollen Beweis des Gegenteils und damit einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit“, heißt es im Urteilstext.
Im vorliegenden Fall stand aus Sicht der Kammer die Absicht im Vordergrund, „die Liebesbeziehung zu dem Versicherten zu besiegeln und ihre Zusammengehörigkeit durch Heirat nach außen zu zeigen“. Diese Absicht könne grundsätzlich als besonderer Umstand gewertet werden, der eine Witwenrente trotz einer Ehe von weniger als einem Jahr rechtfertigt.
Dabei hob das Gericht hervor, dass das Paar die Heiratspläne bereits vor Bekanntwerden der potenziell tödlichen Krankheit vorantrieb: konkret seit Weihnachten 2018, als sie sich verlobten. Auch die Beschaffung der erforderlichen Unterlagen für die Heirat sei bereits vor dem Unfall und der darauffolgenden Zufallsdiagnose erfolgt, konkret die beglaubigte Übersetzung der Geburtsurkunde im Juni 2019 des aus Armenien stammenden Klägers.
Die Heiratspläne wurden vor der Diagnose auch Freunden und Bekannten bereits telefonisch mitgeteilt, wie das Gericht nach Anhörung von Zeugen weiter betonte. Auch habe sich zum Zeitpunkt der Heirat der Gesundheitszustand des Verstorbenen als vergleichsweise stabil gezeigt. Daher sei nicht mit einem baldigen Tod zu rechnen gewesen, hob das Sozialgericht mit Verweis auf ein ähnliches Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg hervor (24.10.2019).
Folglich hätten die beiden Ehegatten nach der Diagnose ihre bereits begonnen Heiratsvorbereitungen nur fortgesetzt. Erst ab Mitte März 2020 war die akute Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung aus objektiver Sicht offensichtlich gewesen; damit seien aber die bereits vorher unternommenen Heiratsvorbereitungen nicht unter dem Eindruck einer unmittelbar lebensbedrohlichen Erkrankung erfolgt.
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