8.4.2025 – Kommt es zu einem Unfall mit einem Linksabbieger und einem auf der Gegenfahrbahn herannahenden Verkehrsteilnehmer, könnte sich der Bevorrechtigte dennoch eine Teilschuld anrechnen lassen müssen, wenn er zum Unfallzeitpunkt zu schnell unterwegs war. Das zeigt ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken.
Ein Mann fuhr bei Dunkelheit mit seinem Motorrad auf einer regennassen Straße. Kurz zuvor hatte er einen Lkw überholt. In Höhe einer Tankstelle kam es zur Kollision mit einem Pkw, der auf der Straße aus entgegengesetzter Richtung kam und nach links auf das Tankstellengelände abbiegen wollte. Der Kradfahrer erlitt beim Unfall erhebliche Verletzungen.
Er verklagte den Fahrer des Pkws und dessen Kfz-Haftpflichtversicherer unter anderem auf Schadensersatz der erlittenen materiellen und immateriellen Unfallschäden. Doch damit hatte er nur teilweise Erfolg.
Vor Gericht gab der Kradfahrer an, dass der Pkw direkt vor ihm abgebogen sei. Der Unfall habe sich dadurch auf seiner Spur ereignet. Der Autofahrer entgegnete jedoch, dass er rechtzeitig geblinkt habe, als er mit dem Bike, das sich nach dem Überholvorgang noch im Bereich der Mittellinie befunden habe, zusammengestoßen sei.
Zudem sei der Biker am Unfallort mit rund 80 bis 100 Stundenkilometer statt der dort erlaubten 50 Stundenkilometer unterwegs gewesen. Darüber hinaus war das Kraftrad aufgrund der Dunkelheit nur schlecht erkennbar und wies zudem technische Mängel wie abgefahrene Reifen und eine überfällige Hauptuntersuchung auf.
Dennoch hatte das mit dem Fall befasste Landgericht Saarbrücken der Klage des Bikers im Wesentlichen stattgegeben. Der beklagte Autofahrer sollte laut Urteil (10 O 15/21) 80 Prozent, der Kradfahrer dagegen nur 20 Prozent des Unfallschadens tragen. Das Gericht befand, dass der Beklagte beim Abbiegen gegen die Wartepflicht verstoßen habe, wie sich aus den Grundsätzen über den Anscheinsbeweis ergebe.
Der Geschwindigkeitsverstoß des Klägers – mindestens 35 Stundenkilometer über dem Limit – wiege dagegen weniger schwer. Die technischen Mängel sowie die Tatsache, dass der Kradfahrer nicht die für das Bike vorgeschriebene Fahrerlaubnis besaß, spielten bei der Verursachung des Unfalls keine Rolle.
Gegen diese Gerichtsentscheidung legten der Autofahrer und dessen Kfz-Haftpflichtversicherer Berufung ein. Sie kritisierten die Haftungsverteilung. Ihrer Ansicht nach sei der Anscheinsbeweis im konkreten Fall durch die schlechte Sichtbarkeit, die Geschwindigkeitsübertretung und die technischen Mängel des Motorrads entkräftet.
Laut dem Urteil (3 U 36/23) vom 13. Dezember 2024 des Saarländischen Oberlandesgerichts (OLG) Saarbrücken war die Berufung zulässig und auch teilweise begründet. Das OLG Saarbrücken änderte die Entscheidung der Vorinstanz teilweise ab. Der beklagte Autofahrer beziehungsweise seine Kfz-Haftpflichtversicherung wurden verurteilt, dem Motorradfahrer 60 Prozent seiner Unfallschäden zu ersetzen.
Das OLG erachtete eine Mitschuld des Motorradfahrers in Höhe von 40 Prozent als angemessen.
Zwar befand sich der Kläger zum Unfallzeitpunkt laut Sachverständigengutachten wieder auf seiner Fahrbahnseite, weil der Überholvorgang bereits abgeschlossen war, und nicht, wie vom Beklagten behauptet, auf der Mittellinie. Der Hauptgrund für den höheren Haftungsanteil war jedoch die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung, die die Richter als unfallursächlich werteten.
Im Urteil heißt es dazu: „Denn der Geschwindigkeitsverstoß des Klägers wiegt nicht nur im Hinblick auf die Höhe der gefahrenen Geschwindigkeit […], sondern auch vor dem Hintergrund der Witterungs- und Sichtverhältnisse (Nässe und Dunkelheit bei Geschwindigkeitsverstoß des Motorradfahrers mit entsprechend erschwerter Erkennbarkeit für den Gegenverkehr) so schwer, dass dem Senat eine Mithaftung des Klägers von 40 Prozent angemessen erscheint.“
Wie dem OLG-Urteil zu entnehmen ist, gilt laut gängiger Rechtsprechung: Der rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und einem Verkehrsunfall ist „zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre“.
Zwar blieb die grundsätzliche Vorfahrtsverletzung des abbiegenden Pkws bestehen, dennoch stellte das Gericht klar, dass der Unfall für den Kläger bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit möglicherweise milder verlaufen wäre. Auch wenn die Kollision nicht sicher vermeidbar gewesen wäre, hätte sie sowohl deutlich im Ablauf als auch in den Verletzungsfolgen abgeschwächt werden können.
Hingegen wurden in diesem Fall die fehlende Fahrerlaubnis und die mangelhafte Bereifung vom OLG nicht als unfallursächlich gewertet und wirkten sich daher nicht auf die Haftungsverteilung aus.
Wer haftet nach einem Unfall? Wie werden dabei Fahrfehler, Technikprobleme am Fahrzeug oder Drogenkonsum des Fahrers gewertet? Welche Parksünden können als Straftat gewertet werden? Wann können Richter von einem Fahrverbot absehen – und wann ist eine solche Ermessensentscheidung rechtlich ausgeschlossen? Diese und andere Fragen beantwortet das neueste Dossier des VersicherungsJournals. Es gibt unter anderem einen fundierten Überblick über relevante Urteile im Verkehrsrecht – von Tempoverstößen bis Fahrerassistenzsystemen. Anhand zahlreicher Praxisfälle zeigt die 54-seitige Publikation, wie Gerichte komplexe Unfallhergänge bewerten, welche Rechtsfolgen drohen und inwieweit Regelverstöße eine negative Auswirkung auf den Kfz-Versicherungsschutz haben können. Diverse weitere Themen rund um das Verkehrsrecht wie das Fahreignungsregister, häufige Verkehrsverstöße oder rechtliche Entwicklungen hinsichtlich von Fahrerassistenzsystemen werden verständlich aufbereitet. Weitere Informationen und eine Bestellmöglichkeit finden sich unter diesem Link. Die Publikation steht Premium-Abonnenten des VersicherungsJournals zur persönlichen Nutzung kostenlos zur Verfügung. |
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