WERBUNG

Pedelec überholt Inlineskater – Haftung für Sturz auch ohne Berührung?

9.10.2025 – Ein Pedelecfahrer hatte einen Inlineskater mit zu geringem Abstand überholt, ohne Warnzeichen zu geben. Für den daraus resultierenden Unfall hat er voll zu haften, entschied das Oberlandesgericht Hamm. Ob es eine Berührung zwischen beiden gab, spiele für die Haftungsfrage keine Rolle.

Ein Inlineskater fuhr mittig auf einem 2,20 Meter breiten Weg. Der Fahrer eines Pedelecs näherte sich von hinten, ohne dass der Skater es bemerkte. Beim Überholvorgang stürzte der Mann auf seinen Rollen und zog sich schwere Verletzungen zu.

Daraufhin verklagte er den Radfahrer und machte geltend, dass dieser weder einen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten noch ein Warnsignal gegeben habe. Auf das Urteil macht Timo Karle, Richter und derzeit abgeordnet an das Bayerische Justizministerium, in einem Praxisbericht der Juris GmbH aufmerksam.

Unterschiedliche Versionen des Unfallhergangs

Vor Gericht schilderten beide Parteien den Vorfall aus unterschiedlichen Perspektiven. Der Pedelecfahrer betonte, dass er genügend Abstand gehalten und „Vorsicht!“ gerufen habe, bevor er überholte. Außerdem sei er nicht für den Sturz verantwortlich, da er den Skater nicht berührt habe.

Der Kontrahent hingegen behauptete, es habe eine Berührung gegeben. Strittig war zudem, ob der Unfallbereich von Fußgängern und Radfahrern gemeinsam genutzt werden durfte oder ob es sich um einen reinen Fußweg handelte.

WERBUNG

Oberlandesgericht bestätigt Fehlverhalten des Radfahrers

Das Oberlandesgericht Hamm kam mit einem Hinweisbeschluss vom 30. Dezember 2024 (I-7 U 5/24) zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall das Fehlverhalten beim Pedelecfahrer liegt und er den Inlineskater entschädigen muss. Damit bestätigte das Gericht das Urteil der Vorinstanz.

Zunächst hob das Gericht hervor, dass eine Gefährdungshaftung des Radfahrers nach § 7 Absatz 1 StVG ausscheide. Pedelecs mit einer Tretunterstützung bis maximal 25 km/h seien demnach keine Kraftfahrzeuge im Sinne des Straßenverkehrsgesetzes. Der Inlineskater sei rechtlich gemäß § 24 Absatz 1 StVO als Fußgänger zu behandeln.

Auf Grundlage der Feststellungen des Amtsgerichts konnten dem Beklagten gleich zwei Verstöße gegen verkehrsrechtliche Sorgfaltsnormen nachgewiesen werden:

  • Er hatte gegen die Pflicht aus § 5 Absatz 4 Satz 2 StVO verstoßen, beim Überholen einen ausreichenden Seitenabstand einzuhalten. Zu dieser Feststellung gelangte der Senat aufgrund einer einfachen Rechnung: Von der Mitte des Weges bis zum Rand haben nur 1,10 Meter zur Verfügung gestanden. Auch wenn der Radfahrer „auf der Kante der Grasnarbe“ gefahren sei, sei damit ersichtlich, dass schon aufgrund des breiten Lenkers kein ausreichender „lichter Raum“ eingehalten wurde.
  • Darüber hinaus habe der Radfahrer gegen die Pflicht aus § 1 Absatz 2 StVO verstoßen, sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder behindert werde. Der Verstoß liegt darin, dass er kein Warnzeichen gegeben hat – in diesem Fall die Nutzung der Klingel. Der Einwand, er habe „Vorsicht!“ gerufen, half ihm nicht, da der Inlineskater vor dem Überholvorgang nicht darauf reagierte. Folglich hätte der Radfahrer davon ausgehen müssen, dass der Ruf nicht gehört wurde – und sein Verhalten entsprechend anpassen müssen.

Gutachten für kausalen Zusammenhang mit Sturz nicht notwendig

Das Gericht stützt seine Entscheidung auf einen Anscheinsbeweis: Aus dem typischen Ablauf – ein Pedelecfahrer überholt einen mittig fahrenden Skater auf engem Weg, der anschließend stürzt – ergibt sich die Vermutung, dass das Überholmanöver den Sturz verursacht hat. Der Pedelecfahrer konnte diese Vermutung nicht widerlegen.

Demnach lehnte das Gericht auch die Forderung des Beklagten ab, ein unfallanalytisches Gutachten zur weiteren Aufklärung des Hergangs einzuholen. Dies sei nicht notwendig beziehungsweise ungeeignet, da der Radfahrer keine Anknüpfungstatsachen vortragen konnte, anhand derer ein Gutachter den Unfallhergang plausibel rekonstruieren könnte.

Ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Skaters sei zugleich zu verneinen, hob das Gericht weiter hervor. Ein solches ergebe sich weder aus der mittigen Fahrweise auf dem Weg noch aus dem unterlassenen Tragen von Protektoren.

Anscheinsbeweis – für Überholende schwer zu widerlegen

Richter Timo Karle weist in seinem Praxisbericht darauf hin, dass es ungewöhnlich sei, dass das Gericht vorliegend einen Anscheinsbeweis für ausreichend hielt. Eigentlich hätte der Kläger den Vollbeweis zu führen gehabt, dass das Überholen ursächlich für den Sturz gewesen sei.

Die Entscheidung des OLG Hamm mache klar, dass Radfahrer beim Überholen besonders vorsichtig sein müssen – selbst wenn es zu keiner Berührung komme. Wer zu nah an einem anderen Verkehrsteilnehmer vorbeifahre, müsse mit einer schwierigen Beweislast im Streitfall rechnen, da Gerichte auch „berührungslose“ Unfälle als kausal dem Überholmanöver zuordnen können. Ob andere Gerichte dieser Einschätzung folgen, bleibe abzuwarten.

Wie viel Abstand beim Überholen genau nötig sei, erläutert der Jurist, hänge von Fahrzeugart, Geschwindigkeit, Wegverhältnissen, Wetter und dem Verhalten der überholten Person ab. Für Kraftfahrzeuge legt die StVO konkrete Mindestabstände fest. Für Radfahrer würden diese genauen Vorgaben jedoch nicht gelten, der Grundsatz des „ausreichenden Abstands“ bleibe aber verbindlich.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Gefährdungshaftung · Schadenersatz
 
WERBUNG
WERBUNG
Werben im Extrablatt

Mit einer Anzeige im Extrablatt erreichen Sie mehr als 12.500 Menschen im Versicherungsvertrieb, überwiegend ungebundene Vermittler. Über die Konditionen informieren die Mediadaten.

Ihr Wissen und Ihre Meinung sind gefragt

Ihre Leserbriefe können für andere Leser eine wesentliche Ergänzung zu unserer Berichterstattung sein. Bitte schreiben Sie Ihre Kommentare unter den Artikel in das dafür vorgesehene Eingabefeld.

Die Redaktion freut sich auch über Hintergrund- und Insiderinformationen, wenn sie nicht zur Veröffentlichung unter dem Namen des Informanten bestimmt ist. Wir sichern unseren Lesern absolute Vertraulichkeit zu. Schreiben Sie bitte an redaktion@versicherungsjournal.de.

Allgemeine Pressemitteilungen erbitten wir an meldungen@versicherungsjournal.de.

WERBUNG
Noch erfolgreicher Kundengespräche führen

Geraten Sie in Verkaufssituationen immer wieder an Grenzen?
Wie Sie unterschiedliche Persönlichkeitstypen zielgerichtet ansprechen, erfahren Sie im Praktikerhandbuch „Vertriebsgötter“.

Interessiert? Dann können Sie das Buch ab sofort zum vergünstigten Schnäppchenpreis unter diesem Link bestellen.

Diese Artikel könnten Sie noch interessieren
27.8.2025 – Ein Auto hatte einem Pedelec-Fahrer im Kreisverkehr die Vorfahrt genommen. Dennoch wurde dem Radler eine Teilschuld für den Unfall zugesprochen. Welche Regeln in solchen Fällen laut Gerichtsurteil gelten. (Bild: Pixabay CC0/Hans Cramer) mehr ...
 
3.7.2025 – Eine E-Scooter-Fahrerin war vom Gehweg auf die Fahrbahn gefahren und dabei mit einem stehenden Wagen kollidiert. Inwieweit sie haftet und der Versicherer des E-Scooters Schadenersatz leisten muss, entschied das Landgericht Berlin. (Bild: Pixabay CC0) mehr ...
 
22.5.2025 – Auf einer engen Straße kamen sich ein Fahrradfahrer und ein Fahrzeug entgegen. Dabei geschah ein Unfall. Anschließend verlangte der verletzte Radler von der Kfz-Fahrerin Schadenersatz und Schmerzensgeld. Doch vor Gericht ging es vor allem um sein eigenes Fehlverhalten. (Bild: Pixabay CC0) mehr ...
 
22.4.2025 – Gemeinsame Fuß- und Radwege halten einige Gefahren bereit, wie ein Pedalritter erfahren musste, der mit recht hohem Tempo unterwegs war. (Bild: Surprising Media, Pixabay-Inhaltslizenz) mehr ...
 
16.4.2025 – Ein Bauer hatte an einem windigen Tag die Fracht seines Treckergespanns ausgebracht. Dabei ging ein Teil der stinkenden Fracht auf einem Nachbargrundstück nieder. Ob der Fahrer das Unglück hätte vorhersehen müssen oder ob es auf ein Verschulden gar nicht ankommt, musste ein Gericht klären. (Bild: Myriams-Fotos_Pixabay-Inhaltslizenz) mehr ...
 
17.2.2025 – Wenn Autos als Terrorwaffe eingesetzt werden, stellt sich auch die Frage der Entschädigung der Betroffenen. Wovon diese abhängt, wer zuständig ist und welche Grenzen gelten. Und ob die einschränkenden Terrorklauseln der privaten Versicherer hier greifen. (Bild: Pixabay, CC0) mehr ...
 
6.1.2025 – Nach dem Anschlag in Magdeburg mit fünf Toten und über 200 Verletzten haben die Betroffenen nur unzureichende Ansprüche auf Schadenersatz. Die Ursachen analysiert der Versicherungsrechtler Professor Dr. Hans-Peter Schwintowski im Interview des VersicherungsJournals. (Bild: privat) mehr ...