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Koalitionswirrwarr rund um die Rentenpolitik – erster Stresstest für Merz?

20.6.2025 – Bereits die magere Ausbeute des Koalitionsvertrages in Sachen Altersvorsorgereform sorgte für massive Kritik. Das Papier enthielt nur wenige Ansätze für Veränderungen, darunter die Aktivrente. Doch selbst diese Maßnahme wird jetzt von mehreren Studien als wenig zielführend bewertet. Unterdessen treten Differenzen in den Koalitionsparteien rund um das Thema Rentenreform deutlich zutage.

Viele offene Fragen, wenig Konkretes und nur Prüfung einer neuen „Kenngröße für ein Gesamtversorgungsniveau über alle drei Rentensäulen“ durch eine Kommission bis zur Mitte der Legislaturperiode.

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD blieb im Bereich Altersvorsorge weit hinter den Erwartungen an dringend notwendige Reformschritte zurück (VersicherungsJournal 9.4.2025). Dies kritisierten unter anderem 28 führende Ökonomen, darunter die Wirtschaftsweisen, schon vor der Unterzeichnung des Papiers (Medienspiegel 8.4.2025, 11.4.2025).

Das möglicherweise dahinterstehende Kalkül, zunächst einmal eine Regierung auf den Weg zu bringen, trägt nun nicht mehr. Es drängt die Zeit, und so melden sich immer mehr Stimmen zu Wort. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sprach sich vor wenigen Tagen in einer Pressekonferenz zur wirtschaftlichen Lage für eine schnellere Erhöhung des Renteneintrittsalters aus.

Das Renteneintrittsalter steigt bis 2031 auf 67 Jahre. Dies sei aber nicht ambitioniert genug, so Reiche. Auch das Thema Frühverrentung sei ein Problem. „Wenn Sie mich fragen, führt kein Weg daran vorbei, länger zu arbeiten“, wird sie vom Handelsblatt zitiert.

Erhöhung des Rentenalters ist für die SPD ein „fatales Signal“

Friedrich Merz (Bild: Tobias Koch)
Friedrich Merz (Bild: Tobias Koch)

Zuvor hatte Bundeskanzler Friedrich Merz in seiner Regierungserklärung eine Debatte über die Arbeitszeit in Deutschland angestoßen.

In Summe war das nun für SPD-Fraktionsvizin Dagmar Schmidt zu viel.

„Die Logik, dass erst alle mehr und ungeregelter arbeiten und dann auch noch später in Rente gehen sollen, verkennt die Realität in der Arbeitswelt“, sagte sie Anfang dieser Woche.

Das treffe vor allem diejenigen, die körperlich hart, mit hoher psychischer Belastung oder im Schichtdienst arbeiteten, und setze „ein fatales Signal“.

Alle müssten sich nach jahrzehntelanger Arbeit auf die gesetzliche Rente verlassen können. Einseitige Klientelpolitik der großen Überschriften zulasten von Arbeitnehmern werde die SPD nicht mitmachen.

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Gesetzliches Rentenalter ist laut Bundesbank-Studie Orientierungspunkt

Die Deutsche Bundesbank zeigt indes in ihrem neuen Monatsbericht (PDF; 17,54 MB), dass das gesetzliche Rentenalter für die Versicherten den zentralen Orientierungspunkt für ihren Rentenzugang bildet und mit Einführung der vorgezogenen abschlagsfreien Rente („Rente mit 63“) der Anteil der Personen, die vorgezogen in Rente gingen, stark angestiegen ist.

Um die Erwerbstätigkeit zu erhöhen und die Rentenfinanzen zu entlasten, sprechen sich die Autoren des Berichts dafür aus,

  • das gesetzliche Rentenalter nach 2031 an die Lebenserwartung zu koppeln sowie
  • die vorgezogene abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte zu beenden und
  • die Altersgrenze für den frühestmöglichen Rentenzugang mit der Entwicklung der Lebenserwartung zu verbinden.

„Die neue Bundesregierung plant hingegen, das Arbeiten über das gesetzliche Rentenalter hinaus steuerlich attraktiver zu machen. Einiges spricht aber dafür, dass finanzielle Anreize die Erwerbsphase nur wenig verlängern dürften, und weitere steuerliche Begünstigungen haben Nachteile“, heißt es.

Es ist besonders wichtig, effiziente und für den Bund kostengünstige Instrumente zu nutzen.

Deutsche Bundesbank

Aktivrente bringt aus Sicht der Bundesbank Nachteile mit sich

Hier ist die im Koalitionsvertrag vereinbarte und von der Union vorgeschlagene „Aktivrente“ gemeint. Damit möchte man Arbeiten im Alter attraktiv machen. Wer das gesetzliche Rentenalter erreiche und freiwillig weiterarbeite, bekomme sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei, steht im Papier.

Dies bringt aus Sicht der Bundesbank jedoch Nachteile mit sich. Laut einer Umfrage spielten finanzielle Motive nur eine untergeordnete Rolle für längeres Arbeiten. Menschen, die im höheren Alter noch erwerbstätig seien, gehe es eher um Spaß an der Arbeit oder soziale Aspekte. „Insoweit ist bei einer finanziellen Vergünstigung eher mit Mitnahmeeffekten zu rechnen“, wird berichtet.

Die Haushaltslage des Bundes sei jedoch bereits angespannt. Es wäre daher besonders wichtig, effiziente und für den Bund kostengünstige Instrumente zu nutzen, zumal auch der bürokratische Aufwand durch die Aktivrente steige.

Bundesbank hält Abschläge für vorzeitigen Ruhestand für zu niedrig

Die Volkswirte bringen eine weitere Stellschraube ins Spiel. Bei einem flexibleren Übergang vom Beruf in die Rente sei die Höhe der Ab- und Zuschläge von Bedeutung, heißt es im Bericht.

Derzeit fallen bei einem vorgezogenen Rentenzugang Abschläge von 0,3 Prozent pro Monat an, bei einem aufgeschobenen Zugang Zuschläge von 0,5 Prozent pro Monat. Sie machten einen vorgezogenen Rentenzugang für Versicherte attraktiver und verursachten finanzielle Lasten für die gesetzliche Rentenversicherung, heißt es.

Die Autoren des Berichts plädieren dafür, dass Abschläge wie Zuschläge gestaffelt sein sollten, je nachdem, wie viel früher oder wie kurz vor dem gesetzlichen Rentenalter jemand Rente beantragt oder wie viel länger er im Berufsleben verbleibt.

Für einen 1964 geborenen, durchschnittlich versicherten Erwerbstätigen, der vier Jahre früher in Rente geht, würde dies einen Verzicht von 19 Prozent der Rentenhöhe bedeuten statt derzeit 14,4 Prozent. Bliebe er zwei Jahre länger in Arbeit, lägen die kumulierten Zuschläge bei nur noch 10,5 Prozent statt derzeit zwölf Prozent. Vertretbar wäre auch, „die Abschläge eher höher und die Zuschläge niedriger anzusetzen“.

Das birgt sozialen Sprengstoff.

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Aktivrente wirft laut DIW Berlin verteilungspolitische Fragen auf

Auch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW Berlin) kommt zu dem Schluss, dass von der Aktivrente vor allem gut qualifizierte Rentner mit hohen Einkommen profitieren dürften.

Wer im Rentenalter sozialversicherungspflichtig beschäftigt sei, gehöre besonders häufig der obersten Einkommensgruppe an, heißt es. Deshalb werfe die Aktivrente verteilungspolitische Fragen auf. Wer aus gesundheitlichen Gründen oder wegen familiärer Verpflichtungen nicht weiterarbeiten könne, bleibe außen vor.

„Das birgt sozialen Sprengstoff – vor allem, wenn ältere Beschäftigte steuerlich stark begünstigt werden, während jüngere Erwerbstätige weiterhin voll belastet bleiben“, heißt es. Ferner könne man die Aktivrente aus rechtlichen und faktischen Gleichbehandlungsgründen nicht den Selbstständigen vorenthalten. Das erhöhe dann aber die Mitnahmeeffekte, da Selbstständige häufiger bis ins hohe Alter weiterarbeiteten.

Und man würde auch passive Unternehmenseinkünfte von Personengesellschaftern begünstigen – also Kapitalerträge. „Das zu unterbinden, wird leicht zum Bürokratiemonster“, wird berichtet.

Ob diese Effekte eintreten, bleibt jedoch unsicher.

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

DIW Berlin ist skeptisch in Hinblick auf Steuermehreinnahmen

Gleichzeitig würde die Aktivrente zunächst jährliche Steuerausfälle von etwa 800 Millionen Euro verursachen. Die Forscher gehen davon aus, dass rund 230 000 erwerbstätige Rentner unmittelbar von der Aktivrente profitieren würden.

Erst wenn weitere 75 000 erwerbstätige Rentner hinzukämen, könnte durch zusätzliche Einnahmen von Sozialbeiträgen sowie Unternehmens- und indirekten Steuern ein kleiner Überschuss für den Staat von gut 500 Millionen Euro entstehen.

Ein stärkerer Beschäftigungsanstieg auf 150 000 Personen könnte zu jährlichen Mehreinnahmen von bis zu 1,8 Milliarden Euro führen. „Ob diese Effekte eintreten, bleibt jedoch unsicher“, schreibt das DIW Berlin.

IW-Studie belegt Trend zum vorzeitigen Renteneintritt

Der Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. (IW) hat unterdessen in einer Studie festgestellt, dass bei Babyboomern ein vorzeitiger Ruhestand äußerst beliebt ist (Medienspiegel 16.6.2025). Rund 1,8 Millionen Menschen aus den Boomer-Jahrgängen (Geburtsjahre 1954 bis 1969), die bis 2023 ins Rentenalter gekommen sind, nutzten demnach bereits diese Möglichkeit.

Bezogen auf alle Angehörigen des jeweiligen Geburtsjahrgangs sei dies ein Anteil von 44 Prozent, bezogen auf die Neurentner laut Rentenversicherung mehr als 55 Prozent. Ändere sich der Trend nicht, beziehen der Untersuchung zufolge ab 2025 jährlich mindestens eine Million Babyboomer vor Überschreiten des Regelalters die gesetzliche Rente.

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