Bleibt die lebenslange Absicherung auf der Strecke? Reaktionen auf Lindners pAV-Reformgesetz

2.10.2024 – Der BVI betrachtet die Abkehr von einer 100-prozentigen Beitragsgarantie und einer Leibrente als „revolutionäre“ Errungenschaften und begrüßt die Wahlfreiheit in der Auszahlphase. Letztere hält Dr. Guido Bader, Vorstandsvorsitzender der Stuttgarter, für falsch. Er fordert ebenso wie der GDV, dass das Langlebigkeitsrisiko abgesichert sein muss. AfW und BVK fordern in Stellungnahmen zum geplanten pAV-Reformgesetz bei Anlageentscheidungen eine qualifizierte Beratung für Verbraucher.

Das Bundesministerium der Finanzen hat am Montag die Ressortabstimmung für ein Gesetz zur Reform der steuerlich geförderten privaten Altersvorsorge (pAV-Reformgesetz) gestartet (VersicherungsJournal 30.9.2024). Bild.de hatte zuerst darüber berichtet und gemeldet, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) eine „Konkurrenz zur Riester-Rente“ plane.

Parallel zur Ressortabstimmung wurde der Referentenentwurf mehreren Verbänden zugeleitet. Diese haben nun die Möglichkeit, bis zum 18. Oktober eine Stellungnahme abzugeben. Das Kabinett wird sich voraussichtlich am 13. November mit den Vorschlägen befassen.

Lindners Plan für die private Altersvorsorge

Christian Lindner (Archivbild: Brüss)
Christian Lindner (Archivbild: Brüss)

Die Aba Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V. hat Auszüge aus dem Verbändeanschreiben auf ihrer Homepage veröffentlicht.

Demnach heißt es in dem Papier:

„Die bisherige Ausgestaltung der steuerlichen Fördersystematik bleibt erhalten, das heißt eine steuerliche Freistellung der Beiträge in der Ansparphase durch Zulagen sowie einen zusätzlichen Sonderausgabenabzugsbetrag und eine nachgelagerte Besteuerung in der Auszahlungsphase.

Hierbei soll die bisherige Förderung durch beitragsproportionale Grund- und Kinderzulagen einfacher und transparenter werden, die zudem stärker die Beitragsleistungen der Altersvorsorgenden berücksichtigt und deshalb höhere Anreize zu mehr Eigensparleistungen setzt.

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So soll die private Altersvorsorge zukünftig gefördert werden

Altersvorsorgende mit geringen Einkommen sowie Berufseinsteiger werden darüber hinaus mit festen Erhöhungsbeträgen gefördert. Im Einzelnen sind die Förderung sowie die Anforderungen an die Anbieter und ihre Produkte zukünftig wie folgt ausgestaltet:

  • Beitragsproportionale Grundzulage von 20 Cent für jeden Euro Eigensparleistung (bis zu einem Höchstbetrag von 3.000 Euro, ab 2030 bis zu 3.500 Euro),
  • Beitragsproportionale Kinderzulage pro Kind von 25 Cent für jeden Euro,
  • Eigensparleistung (höchstens 300 Euro pro Kind),
  • Bonuszulage von 175 Euro für Geringverdiener,
  • Berufseinsteigerbonus von 200 Euro pro Jahr für einen Zeitraum von drei Jahren,
  • Förderung eines renditeorientierten und kostengünstigen Altersvorsorgedepots ohne Garantieanforderungen und von Garantieprodukten mit garantiertem Kapital zu Beginn der Auszahlungsphase mit zwei möglichen Garantiestufen (80 Prozent oder 100 Prozent),
  • Standardisierung der Produkte durch Fokus auf Altersvorsorge,
  • Stärkere Trennung der Anspar- und Auszahlungsphase durch Wechselmöglichkeit vor der Auszahlungsphase; in der Ansparphase ist ein Anbieterwechsel nach fünf Jahren ohne Wechselkosten des abgebenden Anbieters möglich,
  • Auszahlungsphase: Wahl zwischen lebenslanger Leibrente oder Auszahlungsplan bis zum 85. Lebensjahr ohne Restverrentungspflicht; Anhebung der Altersgrenze [von 62] auf 65 Jahre,
  • Aufbau einer kostenlos zugänglichen, digitalen Vergleichsplattform; Anbindungspflicht für alle Anbieter von zertifizierten Altersvorsorgeprodukten an die digitale Vergleichsplattform,
  • Weitere Bürokratieabbaumaßnahmen, zum Beispiel bei der Eigenheimrenten-Förderung,
  • Verbesserungen für bereits abgeschlossene Riester-Verträge durch Anhebung des Sonderausgaben-Höchstbetrags auf 3.500 Euro bei grundsätzlichem Bestandsschutz; Verzicht auf Restverrentung bei einem Auszahlungsplan im Konsens der Vertragsparteien sowie eine förderunschädliche Übertragung auf ein neues Altersvorsorgeprodukt sind möglich.“

Das ist ein großer Wurf und bedeutet einen Paradigmenwechsel in der privaten Altersvorsorge.

Thomas Richter, BVI-Hauptgeschäftsführer

BVI: Reform macht die Altersvorsorge attraktiv

Thomas Richter (Bild: BVI)
Thomas Richter (Bild: BVI)

Der Bundesverband Investment und Asset Management e.V. (BVI) begrüßt den Referentenentwurf zur pAV-Reform. „Das ist ein großer Wurf und bedeutet einen Paradigmenwechsel in der privaten Altersvorsorge“, sagt Hauptgeschäftsführer Thomas Richter.

„Das bisherige, weltweit längst überholte Mantra, dass Altersvorsorge eine 100 Prozent Beitragsgarantie und eine Leibrente umfassen muss, gilt nicht mehr. Das ist revolutionär und macht die Altersvorsorge für die Sparer attraktiv, weil sie renditestärker anlegen können.“

Ein wichtiger Schritt sei die Wahlfreiheit in der Auszahlphase. Künftig könnten die Menschen die Rentenphase entsprechend ihrer individuellen Bedürfnisse planen und zwischen einem Fondsauszahlplan, einer sogenannten Fondsrente, und einer Rentenversicherung wählen.

Richter: „Mit diesem Gesetzentwurf wird der Weg frei für flexiblere Spar- und Auszahlmodelle. Die Bürger haben endlich Wahlfreiheit statt gesetzlichen Zwang. Das macht für sie die Altersvorsorge attraktiv.“ Der BVI befürworte die im Gesetzentwurf enthaltene Möglichkeit, den Verzicht auf Garantien und Verrentung auch auf den Bestand der Riester-Verträge anzuwenden.

Dass Verbraucher Anlageentscheidungen ohne qualifizierte Beratung treffen könnten, halten wir das für problematisch.

Norman Wirth, geschäftsführende Vorstand des AfW

AfW: Schritt zu einer modernen und flexiblen Altersvorsorge

Norman Wirth (Bild: Andreas Klingberg)
Norman Wirth (Bild: Andreas Klingberg)

Auch der AfW – Bundesverband Finanzdienstleistung e.V. begrüßt das Papier. Ein zentraler Punkt sei die flexiblere Gestaltung der Auszahlungsphase. „Das ist eine wichtige Neuerung, die den Bedürfnissen nach mehr Flexibilität in der Altersvorsorge Rechnung trägt“, heißt es.

Allerdings: „Soweit vorgesehen ist, dass Verbraucher Anlageentscheidungen beim vorgesehenen Referenzdepot ohne qualifizierte Beratung treffen könnten, halten wir das für problematisch. Der AfW wird sich daher weiter für verbindliche Beratungsstandards einsetzen, um sicherzustellen, dass Verbraucher über eventuelle Risiken und die Chancen ihrer Anlagewahl umfassend aufgeklärt werden, so wie dies der Gesetzgeber es erst vor einigen Jahren und aus gutem Grund eingeführt hat.“

Insgesamt sieht der AfW die Reform als „wichtigen Schritt zu einer modernen und flexiblen Altersvorsorge, die den unterschiedlichen Lebensentwürfen von heute gerecht wird“. Einhergehen sollte die zu begrüßende stärkere Eigenverantwortung der Menschen mit mehr finanzieller Bildung und weniger unqualifizierter Finanzberatung in sozialen Medien.

„Wir werden die dringend notwendigen Reformen konstruktiv und aktiv begleiten. Wir appellieren an die Ampelparteien bei diesem wichtigen Thema nicht weitere Jahre zu verschenken. Das Land braucht die Reform“, sagt der geschäftsführende Vorstand Norman Wirth.

Aus BVK-Sicht sollte zwingend eine vorherige Beratung erfolgen.

Michael H. Heinz, BVK-Präsident

BVK: Altersvorsorge ist mehr als Vermögensaufbau

Michael H. Heinz (Bild: Brüss)
Michael H. Heinz (Bild: Brüss)

Der Bundverband Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) äußert sich ebenfalls positiv. Unterstützt werde insbesondere das Ziel, „die geförderte private Altersvorsorge flexibler, transparenter und renditestärker zu machen, um ihre Attraktivität insgesamt und damit ihren Verbreitungsgrad zu erhöhen“.

„Als Altersvorsorgeexperten freuen wir uns, dass diese wichtige und überfällige Reform endlich umgesetzt wird und einige der vom BVK in die Fokusgruppe Altersvorsorge eingebrachten Gedanken aufgenommen wurden,“ sagt Präsident Michael H. Heinz.

Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass ab 2030 Eigenbeiträge bis zu 3.500 Euro steuerlich geltend gemacht werden können. Aus Sicht des BVK sollte diese Möglichkeit direkt alle Selbstständigen erhalten.

Das Wahlrecht zwischen verschiedenen Garantieniveaus, das auch für den Bestand gelten soll, und eine flexiblere Auszahlungsphase sehe man skeptisch, „da keine Absicherung des Langlebigkeitsrisikos erfolgen muss“. Es sollte daher „zwingend eine vorherige Beratung erfolgen, um sicherzustellen, dass die monatlichen Fixkosten im Alter auch dauerhaft abgesichert werden und die Verbraucher vor Grundsicherungsbedarf im hohen Alter geschützt werden“

So wie die Reform gestaltet ist, bleibt die lebenslange Absicherung auf der Strecke.

Jörg Asmussen, GDV-Hauptgeschäftsführer

GDV: Balance von Sicherheit und Rendite bleibt wichtig

Jörg Asmussen (Bild: GDV)
Jörg Asmussen (Bild: GDV)

Zustimmung zum Entwurf kommt grundsätzlich auch vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV). Er spricht von einem „Vorschlag zur Modernisierung“, sieht jedoch Handlungsbedarf bei der langfristigen Absicherung.

„So wie die Reform gestaltet ist, bleibt die lebenslange Absicherung auf der Strecke: Altersvorsorge ist mehr als Vermögensaufbau. Die lebenslange Absicherung ist die Stärke der Lebensversicherung,“ sagt Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. „Zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger vertrauen uns Versicherern bei der geförderten privaten Altersvorsorge. Darauf wollen wir in Zukunft aufbauen.“

Man unterstütze den Vorschlag, einfache und transparente Produkte mit lebenslanger Auszahlgarantie zu fördern sowie ein beitragsproportionales Fördersystem einzuführen. Eine einfachere Förderung senke die Zugangsschwellen.

Zu den geplanten drei Garantiestufen 100 Prozent, 80 Prozent und ohne Garantie sagt Asmussen: „Die Balance von Sicherheit und Rendite ist weiterhin wichtig. Die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger sind jedoch unterschiedlich. Daher ist der optionale Wegfall der vollen Beitragsgarantie richtig und wurde lange von uns gefordert.“

Die Wahlmöglichkeit für Auszahlpläne bis zum 85. Lebensjahr halte ich für falsch.

Dr. Guido Bader, Vorstandsvorsitzender der Stuttgarter

Stuttgarter: Dynamisierung des Höchstbetrages fehlt

Guido Bader (Bild: Stuttgarter)
Guido Bader (Bild: Stuttgarter)

„Es ist mehr als begrüßenswert, dass die Regierung die steuerlich geförderte private Altersvorsorge reformieren will. Die Stagnation der Riester-Rente in den vergangenen Jahren war dafür ein klarer Beleg. Deutschland braucht eine attraktive steuerlich geförderte private Absicherung neben der gesetzlichen Rente“, äußert sich Dr. Guido Bader, Vorstandsvorsitzender der Stuttgarter Lebensversicherung a.G., zum vorgelegten Entwurf.

„Die Wahlmöglichkeit für Auszahlpläne bis zum 85. Lebensjahr halte ich für falsch“, sagt er. „Für mich sollte eine staatlich geförderte Altersvorsorge zwingend eine lebenslange Rentenzahlung vorsehen. Alles andere ist ein fahrlässiger Umgang mit Steuergeldern.

Das Langlebigkeitsrisiko muss abgesichert sein. Auszahlungspläne sind ein zu hohes Risiko, da sie die Gefahr bergen, dass im Alter das Geld ausgeht, was am Ende Staat und Allgemeinheit belastet.“

Die Einführung der 80-Prozent-Garantie halte man für überfällig, habe man diese doch bereits vor mehr als zehn Jahren gefordert. Das Altersvorsorge-Depot sei ferner ein guter Ansatz, es fehlten jedoch Sicherungsmechanismen. „Ein staatlich gefördertes Altersvorsorgeprodukt sollte eine gewisse Grundabsicherung bieten, da Totalverluste, wie zuletzt beispielsweise bei bestimmten Russland-Fonds, leider nie völlig auszuschließen sind“, so Bader.

„Sehr gut ist es, dass die Höchstbeträge angehoben werden und ab dem Jahr 2030 nochmals steigen. Dass darüber hinaus eine kontinuierliche Dynamisierung des Höchstbetrages mit Blick auf die Inflation der kommenden Jahre fehlt, ist für mich unverständlich. Hier hätten wir uns eine Koppelung an die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung vorstellen können“, sagt er.

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