4.12.2025 – Beim Zusammenstoß nach einem Spurwechsel spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Spurwechsler den Unfall verursacht hat. Hinter den Verstoß gegen die besondere Sorgfalt tritt auch die Betriebsgefahr des Unfallgegners zurück. Das zeigt ein Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts.
Ein Volvofahrer war im Dezember morgens auf der dreispurigen B503 Richtung Kiel unterwegs. Wegen Bauarbeiten an der Hochbrücke kam der Verkehr ins Stocken. Der Mann fuhr zunächst rechts auf der Spur, die eigentlich zur Abfahrt führte, wollte aber weiter geradeaus in die Stadt. Also setzte er zum Wechsel auf die mittlere Spur an, auf der ein Lkw stand.
Vor dem Lkw sah er eine größere Lücke und zog nach links hinüber. Beim Wiederanfahren des Lkw kam es jedoch zur Kollision: Der Laster streifte den Volvo hinten links seitlich. Die Schäden zogen sich vom hinteren Bereich der linken Fondtür bis zum Radkasten. Es entstand ein Sachschaden von mehr als 20.000 Euro.
Der Volvofahrer verklagte den Lkw-Fahrer, weil er davon ausging, dass sein Auto zum Zeitpunkt der Kollision bereits im Stau gestanden hatte und der Lkw ihm von hinten hineingefahren war. Um genau diese Frage drehte sich der Rechtsstreit.
Im Verfahren änderte der Kläger seine Schilderung des Ablaufs. Zunächst hatte er erklärt, der Verkehr habe sich kurzfristig gestaut und er sei nach links auf die mittlere Spur in eine etwas größere Lücke gewechselt. Der Lkw habe dabei etwa sieben Meter hinter ihm gestanden. Als der Verkehr wieder anrollte, sei der Lkw losgefahren und auf seinen – nach eigener Darstellung – stehenden Volvo aufgefahren.
Ein vom Landgericht Kiel eingeholtes Gutachten kam jedoch zu dem Ergebnis, dass sich der Unfall so nicht ereignet haben könne. Demnach befand sich der Volvo zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes in Bewegung.
Daraufhin änderte der Kläger erneut seine Darstellung. Schriftlich ließ er vortragen, das Spurenbild könne auch dadurch entstanden sein, dass er sich nach der Kollision mit seinem Fahrzeug aktiv vom Lkw gelöst habe. Diese Fahrbewegung erkläre, warum die Spuren eher auf eine Kollision in Bewegung hindeuten.
Das Landgericht Kiel wies die Klage mit Urteil vom 7. August 2025 (9 O 73/24) ab. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Volvofahrer gegen § 7 Absatz 5 StVO verstoßen habe. Ein Fahrstreifen dürfe nur gewechselt werden, wenn die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei.
Dabei hob das Gericht auf den Anscheinsbeweis ab. Wenn sich die Kollision im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel ereignet, spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Fahrstreifenwechsler den Unfall verursacht habe. Diesen Beweis habe der Kläger nicht wirksam entkräften können.
Der Volvofahrer akzeptierte das Urteil nicht und legte Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht (OLG) ein. Er verlangte die Einholung eines Ergänzungsgutachtens und reichte drei Fotos ein, die seine Darstellung des Unfallhergangs untermauern sollten. Außerdem argumentierte er, dass bei der Haftungsfrage auch die Betriebsgefahr des Lkw berücksichtigt werden müsse.
Mit einem Hinweisbeschluss vom 15. September 2025 (7 U 71/25) machte der zuständige 7. Senat jedoch deutlich, dass eine Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe. Dabei hoben die Richter hervor, dass die vorgelegten Fotos das Unfallgutachten nicht erschüttern könnten – und daher kein weiteres Gutachten erforderlich sei.
Laut Beschluss hat sich das Landgericht auf ein umfangreiches Sachverständigengutachten gestützt, als es die Klage abwies. Der Sachverständige habe alle vorhandenen Unterlagen ausgewertet, darunter das frühere Schadengutachten, sämtliche Originalfotos sowie Handyaufnahmen des Klägers. Auch die drei Fotos, auf die sich die Zweifel des Klägers stützten, habe er in seine Analyse einbezogen.
Nach Analyse der Kontakt- und Schleifspuren kam der Sachverständige zu dem eindeutigen Ergebnis, dass der Volvo zum Zeitpunkt der Kollision in Bewegung gewesen war und sich sogar etwas schneller bewegt hatte als der gerade anfahrende Lkw.
Auch widerlege das Gutachten die Version des Klägers, wonach er das Auto nur in Bewegung gesetzt habe, um sich vom Lkw wegzubewegen. Stattdessen müssen sich beide Fahrzeuge zum Zeitpunkt der Kollision in Bewegung befunden haben. Hätte sich der Vorgang wie geschildert ereignet, hätten sich noch weitere diverse Spuren eines Auffahrens des Lkws auf das stehende Auto finden lassen müssen, die es jedoch nicht gab.
Auch die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs müsse sich der Lkw-Fahrer nicht anrechnen lassen, wie das OLG weiter hervorhob. Diese trete im Rahmen der Abwägung nach § 17 Absatz 1 StVG und § 17 Absatz 2 StVG hinter den Verstoß des Klägers zurück.
Der Kläger wurde folglich gemäß § 522 Absatz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass:
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