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BGH setzt Versicherern Grenzen beim Herabsetzen von Krankentagegeld

13.3.2025 – Im Jahr 2016 hatte der Bundesgerichtshof bereits eine Klausel in Krankentagegeld-Policen für unwirksam erklärt, die die Herabsetzung des Tagegeldsatzes bei niedrigerem Nettoeinkommen vorsah. Nun entschied das Gericht, dass diese Klausel bei Bestandsverträgen nicht einfach nachträglich durch eine Neuregelung ersetzt werden darf.

Der Bundesgerichtshof (BGH) informiert in einem Pressetext über ein am 12. März 2025 gefälltes Urteil (IV ZR 32/24), das den Krankentagegeldversicherern Grenzen bei der Anpassung unwirksamer Klauseln in Bestandsverträgen setzt. Eine schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor.

Der Kläger hält bei dem beklagten Versicherer eine Krankentagegeldpolice. Laut § 4 Abs. 4 der AVB war es dem Versicherer erlaubt, den Krankentagegeldsatz herabzusetzen, wenn sich das Nettoeinkommen des Versicherten verringert.

Vorhergehendes Urteil: Kürzungsklausel in Krankentagegeldpolicen unwirksam

Erzherzögliches Palais in Karlsruhe, Sitz des BGH (Bild: Comquat, CC BY-SA 2.0)
Erzherzögliches Palais in Karlsruhe, Sitz des BGH
(Bild: Comquat, CC BY-SA 2.0)

Diese Klausel orientierte sich an den damaligen Musterbedingungen des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V. (PKV-Verband) und war folglich branchenüblich. Der BGH erklärte die Klausel mit einem Urteil vom 6. Juli 2016 (IV ZR 44/15) für unwirksam. Die Richter sahen einen Verstoß gegen das Transparenzgebot nach § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB.

Demnach sei der Begriff des Nettoeinkommens in der Klausel nicht genau genug geregelt gewesen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne nicht mit der gebotenen Klarheit entnehmen, welcher Bemessungszeitpunkt und -Zeitraum herangezogen werde, um das Tagegeld herabzusetzen.

Allerdings kann eine solche Kürzungsklausel wirksam sein, wenn dem Versicherungsnehmer bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses transparent vor Augen geführt wird, wie sich das Nettoeinkommen genau definiert und zu welchem Zeitpunkt altes und neues Einkommen miteinander verglichen werden.

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Kläger wollte Reduzieren der Leistung nicht akzeptieren

Folglich begannen die Versicherer, ihre Vertragswerke zu überarbeiten und darin Herabsetzungsklauseln zu definieren, die gesetzeskonform sind. So auch im vorliegenden Fall. 2018 übersandte der beklagte Versicherer dem Kläger geänderte AVB, in denen die Herabsetzung des Tagessatzes neu geregelt wurde.

Der Kläger hielt diese Vertragsänderung jedoch für unwirksam. Er beharrte darauf, dass seine Krankentagegeldversicherung mit dem ursprünglich vereinbarten Tagessatz fortbestehen müsse. Der Versicherer sei nicht berechtigt, die Leistung einseitig herabzusetzen.

Als der Versicherungsfall eingetreten war und der Versicherer nur ein an das gesunkene Einkommen angepasste Tagegeld ausgezahlt hatte, verlangte der Versicherte die Auszahlung des Differenzbetrages sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, die ihm durch den Rechtsstreit entstanden sind.

Vertragsanpassung ist nachträglich erlaubt, wenn notwendig

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand nun die Frage, ob sich der Versicherer auf § 164 VVG berufen kann, um die Änderung des Vertrages zu begründen.

Dieser Paragraf soll die Assekuranzen vor Situationen schützen, in denen eine Regelung durch ein höchstrichterliches Urteil für unwirksam erklärt wurde und dadurch eine Vertragslücke in den Bestandsverträgen entsteht – oder gar ein finanzielles Risiko für den Versicherer.

Doch erlaubt ist eine neue Regelung nur, „wenn dies zur Fortführung des Vertrags notwendig ist oder wenn das Festhalten an dem Vertrag ohne neue Regelung für eine Vertragspartei auch unter Berücksichtigung der Interessen der anderen Vertragspartei eine unzumutbare Härte darstellen würde“, so heißt es im Versicherungsvertragsgesetz.

Ein dauerhaftes Absinken des Nettoeinkommens unter den versicherten Tagessatz […] stellt für den Krankentagegeldversicherer keine unzumutbare Härte […] dar.

Bundesgerichtshof

Voraussetzung für nachträgliche Vertragsanpassung nicht gegeben

Doch die Voraussetzungen, die eine nachträgliche Vertragsanpassung gerechtfertigt hätten, sieht der BGH nicht als erfüllt an.

„Zwar kann es in den Fällen eines dauerhaften Absinkens des Nettoeinkommens unter den versicherten Tagessatz zu einer Erhöhung des (subjektiven) Risikos für den Versicherer kommen. Dies aber stellt für den Krankentagegeldversicherer keine unzumutbare Härte im Sinne von § 306 Absatz 3 BGB dar“, heißt es hierzu im Pressetext des Gerichtes.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt eine ergänzende Vertragsauslegung voraus, dass „keine dispositiven Gesetzesbestimmungen“ zur Verfügung stehen, heißt es. Mit anderen Worten: Wenn es bereits gesetzliche Vorschriften gibt, die die entstandene Lücke im Vertrag füllen, kann der Vertrag nicht nachträglich mithilfe von § 164 VVG angepasst werden.

„Summenversicherung“: Leistung darf vom versicherten Risiko abweichen

Doch ein solcher Ausgleich für die entstehende Lücke ist im vorliegenden Fall gegeben. So heben die Richter laut Pressetext darauf ab, dass die Krankentagegeldversicherung als „Summenversicherung“ ausgestaltet sei.

Einer solchen Versicherung sei immanent, „dass die Versicherungsleistung von dem versicherten Risiko abweichen und deshalb höher, aber auch niedriger als der tatsächliche Durchschnittsverdienst des Versicherungsnehmers ausfallen kann“, so heißt es in der Mitteilung des Gerichtes.

Dass beide Parteien die Inkongruenz zwischen Nettoeinkommen und Versicherungsleistung als zumutbar bewerten, zeige sich auch im umgekehrten Fall: Steigt das Einkommen des Versicherten, muss oder kann das versicherte Tagegeld nicht automatisch entsprechend erhöht werden, so dass die Versicherungsleistung das zu versichernde Risiko unterschreiten würde.

Eingriffsmöglichkeit über Prämienanpassung

Darüber hinaus verwies der BGH auf eine weitere Möglichkeit, mit der die Versicherer eine Vertragslücke beziehungsweise ein finanzielles Risiko abwenden können: durch die Anhebung der Beiträge.

„Sollte sich der Wegfall der Herabsetzungsmöglichkeit auf die Prämienkalkulation auswirken, steht es dem Versicherer bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zudem frei, auf der Grundlage vertraglicher oder gesetzlicher Regelungen die Prämien neu festzusetzen“, schreibt der BGH.

Der Umstand, dass dem Versicherer die Möglichkeit genommen ist, den Krankentagegeldsatz herabzusetzen, „hindert ihn schließlich nicht daran, unter Umständen unberechtigte Leistungsansprüche zurückzuweisen und von dem Versicherungsnehmer die Erfüllung nach wie vor im Bedingungswerk vorgesehener Nachweispflichten für das Vorliegen des Versicherungsfalls zu fordern“, so führt das Gericht aus.

Urteil der Vorinstanz korrigiert

Mit seinem Richterspruch korrigiert der BGH das Urteil der Vorinstanz. Das Oberlandesgericht Köln hatte am 27. Februar 2024 (9 U 40/23) noch im Sinne des Versicherers entschieden.

Leserbriefe zum Artikel:

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