9.9.2024 – Eine Anlegerin verklagte ihren Anlagevermittler auf Schadenersatz: Er hätte sie über eingeschränkte Bestätigungsvermerke in den Jahresabschlüssen der insolvent gewordenen GmbH aufklären müssen, befand das OLG. Der BGH urteilte indes: Weder sei ein eingeschränkter Bestätigungsvermerk automatisch eine „rote Flagge“, noch müsse der Anlagevermittler zwingend in jedem Fall Jahresabschlüsse abrufen und lesen.
Im Dezember 2015 schloss eine Anlegerin mit einer Container-Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH einen Kauf- und Verwaltungsvertrag über mehrere Schiffscontainer.
Im Januar 2015 hatte die GmbH ihren Jahresabschluss für 2013 veröffentlicht. Der Wirtschaftsprüfer versah ihn mit einem eingeschränkten Bestätigungsvermerk: Zu nicht in der Bilanz enthaltenen Geschäften (Art, Zweck, Risiken, Vorteile) beziehungsweise zum Gesamtbetrag der sonstigen finanziellen Verpflichtungen seien keine Angaben gemacht und die Gesamtbezüge der Geschäftsführer nicht angegeben worden.
Auch die früheren Jahresabschlüsse ab 2006 enthielten – vom Berufungsgericht als offenkundig behandelt – ein solcherart eingeschränktes Testat.
2018 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Anlegerin verklagte den Anlageberater beziehungsweise -vermittler auf Schadensersatz.
Das Landgericht Hamburg wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht (OLG) änderte das Urteil: Der Anlagevermittler habe vertragliche Auskunftspflichten verletzt, indem er nicht auf die eingeschränkten Bestätigungsvermerke hingewiesen habe.
Dass der Abschluss zu außerbilanziellen Geschäften und finanziellen Verpflichtungen keine Angaben gemacht habe, zeige, dass die Gesellschaft nicht vollständig transparent habe sein wollen. Dies sei eine wichtige Information gewesen, deshalb hätte der Berater darauf hinweisen können und müssen. Jedenfalls hätte er die Nichteinholung entsprechender Informationen offenlegen müssen.
Wo die Grenzen der Informations- und […] Ermittlungspflicht des Anlagevermittlers im einzelnen Fall zu ziehen sind, hängt von den jeweiligen Umständen ab.
Bundesgerichtshof
Der Haftpflichtversicherer des Vermittlers brachte die Sache vor den Bundesgerichtshof (BGH) – mit Erfolg: Er gab der Revision statt und verwies die Sache zurück ans OLG. Der BGH ortete keine für die Anlageentscheidung „kausale Auskunftspflichtverletzung“ durch den Anlagevermittler.
„Wo die Grenzen der Informations- und einer gegebenenfalls im Rahmen des Zumutbaren bestehenden Ermittlungspflicht des Anlagevermittlers im einzelnen Fall zu ziehen sind, hängt von den jeweiligen Umständen ab“, stellte er in seinem Urteil vom 15. August 2024 (III ZR 74/23) fest.
Von Bedeutung seien dabei etwa die Situation, wie sie sich bei der Anlageentscheidung insgesamt darstellt, die Geschäftserfahrung und der konkrete Kenntnisstand des Anlageinteressenten oder auch die Frage, inwieweit der Vermittler Vertrauen und besondere Kenntnisse für sich in Anspruch nimmt.
Ergeben die dem Vermittler bereits vorliegenden Informationen ein hinreichendes, objektiv zutreffend erscheinendes und in sich schlüssiges Gesamtbild der Anlage, reicht es aus, wenn er die Plausibilität des Anlagekonzepts anhand dieser Informationen beurteilt.
Bundesgerichtshof
Das OLG blende aus, „dass der konkrete Pflichtenumfang eines Anlagevermittlers nur anhand der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls und nicht abstrakt bestimmt werden kann“. Außerdem überdehne es dessen Pflichten in einer Weise, die auch ansonsten der Rechtsstellung eines Anlagevermittlers nicht entspreche.
„Ergeben die dem Vermittler bereits vorliegenden Informationen ein hinreichendes, objektiv zutreffend erscheinendes und in sich schlüssiges Gesamtbild der Anlage, reicht es aus, wenn er die Plausibilität des Anlagekonzepts anhand dieser Informationen beurteilt.“
Weitere Nachforschungen beziehungsweise Ermittlungen zur Gewinnung neuer, ihm bislang unbekannter Erkenntnisse in Bezug auf das Beteiligungsobjekt müsse er nur anstellen, „wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte Anlass zu Zweifeln am Funktionieren des Anlagemodells geben“.
Doch auch wenn solche Anhaltspunkte vorliegen, müsse der Vermittler nicht zwingend auf frühere Jahresabschlüsse zugreifen. „Denn er kann selbst entscheiden, auf welche Weise er – wenn überhaupt – Nachforschungen zur Plausibilität eines Investments anstellt, solange die von ihm genutzten Informationsquellen nur ausreichend sind“, so der BGH.
Eine Pflicht speziell zur Auswertung von im Bundesanzeiger veröffentlichten Jahresabschlüssen mit Testaten könnte allenfalls in Betracht zu ziehen sein, „wenn andere hinreichende Erkenntnisquellen nicht zur Verfügung stehen, Plausibilitätszweifel spezifisch Punkte betreffen, die vorrangig durch Einsichtnahme in die Jahresabschlüsse zu klären sind, oder der Anlagevermittler […] beim Anleger diesbezüglich Erwartungen geweckt hat.“
Was den Bestätigungsvermerk angeht, stellte der BGH fest: Ein solcher stelle zwar „durchaus eine wichtige Informationsquelle für den Markt und insbesondere für Kapitalanlageinteressenten“ dar.
Doch ein – aus unterschiedlichen Gründen gebotener – eingeschränkter Bestätigungsvermerk sei „für sich genommen nicht stets als ‚rote Flagge‘ in Bezug auf die wirtschaftliche Situation und Bonität des Unternehmens vor beziehungsweise nach dem Stichtag anzusehen“.
So wie der uneingeschränkte bringe auch der eingeschränkte Bestätigungsvermerk einen „zusammenfassenden ‚Positivbefund‘ der Rechnungslegung“ zum Ausdruck – und nicht notwendig eine negative Einschätzung der Unternehmenslage.
Im vorliegenden Fall gebe das Testat für den Jahresabschluss 2013 im Übrigen ausdrücklich an, dass dieser ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermittle. Dasselbe gelte für den Lagebericht, der die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung zutreffend darstelle.
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