Beratungsverzicht: Nur wirksam erklärt auf einem gesonderten Dokument?

13.3.2025 – Bei der Versicherungsvermittlung kann laut einem Beschluss des OLG Nürnberg ein Beratungsverzicht vorformuliert sein und muss nicht zwingend auf einem gesonderten Dokument erklärt werden. Eine Überprüfung dieser Entscheidung durch den BGH wäre für die Kanzlei Wirth–Rechtsanwälte „mehr als wünschenswert“ gewesen, ist jedoch erschwert. Die Folge sind Rechtsunsicherheiten für Verbraucher, Vermittler und Versicherer.

Das Oberlandesgericht Nürnberg (8 U 1684/24) hat kürzlich entschieden, dass ein Beratungsverzicht nach § 6 Absatz 3 VVG auch auf vorformulierten Formularen erfolgen darf, sofern er optisch deutlich hervorgehoben und eigenhändig unterschrieben ist. Ein gesondertes Dokument ist nicht erforderlich, um wirksam auf eine Beratung und auch auf die Dokumentation dieser Beratung zu verzichten.

Dies berichtet die Wirth – Rechtsanwälte, Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB in einer Presseaussendung. Der kürzlich entschiedene Fall wird in der Mitteilung vorgestellt und kommentiert.

Versicherungsnehmer fühlt sich falsch beraten

In dem Fall stritten die Parteien über einen Schadenersatzanspruch im Zusammenhang mit dem Abschluss einer fondsgebundenen Basis-Rentenversicherung. Der Kläger hatte nach einem etwa 45-minütigen telefonischen Beratungsgespräch mit dem Versicherer ein achtseitiges Antragsformular nebst allgemeiner Vertragsinformationen, Produktinformationsblatt und Fondsinformationen erhalten.

Das Formular war von der Beklagten bereits teilweise ausgefüllt worden. Die Option „Ich verzichte auf die Beratung“ war vorgedruckt und angekreuzt. Der Kläger nahm weitere Eintragungen vor und unterschrieb eigenhändig an allen vorgesehenen Stellen, darunter auch den Beratungsverzicht.

Die Beklagte nahm den Antrag an und übersandte den Versicherungsschein. Der Kläger erbrachte den einmalig zu zahlenden Beitrag in Höhe von 30.000 Euro. Später machte er geltend, er sei falsch beraten worden und forderte Schadensersatz in Höhe von 31.029,34 Euro sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.626,49 Euro.

OLG Nürnberg sieht keine Aussicht auf Erfolg

Das Landesgericht Regensburg (34 O 1349/23) wies seine Klage zurück. Die wesentliche Begründung war, dass der Kläger wirksam auf die Beratung verzichtet habe und daher seitens der Beklagten keine Verletzung der Beratungspflicht vorliege.

Auch das Oberlandesgericht Nürnberg folgte der Argumentation des Versicherungsnehmers nicht. Mit Beschluss vom 9. Januar 2025 (8 U 1684/24) wies es kürzlich darauf hin, dass es die Absicht habe, die Berufung gegen das Urteil der Vorinstanz mangels Aussicht auf Erfolg zurückzuweisen.

Gericht hält Vorformulierung für zulässig

Die Richter stellten klar, dass eine wirksame Verzichtserklärung gemäß § 6 Absatz drei Satz 1 VVG nicht unbedingt auf einem separaten Dokument – „in einer vom Antragsformular körperlich losgelösten eigenen Urkunde“ – erfolgen muss.

Vielmehr könne sie „auch im Hauptvertrag enthalten sein kann, solange sich die Erklärung und die hierauf bezogene Unterschrift deutlich vom Wortlaut des Vertrages absetzen“. Es sei ausreichend, wenn die Erklärung deutlich sichtbar gestaltet und vom Verbraucher bewusst und eigenhändig unterschrieben werde.

So liege der Fall auch hier. Unter anderem sei die gegenständliche Verzichtserklärung durch die drucktechnische Gestaltung des Antragsformulars deutlich vom übrigen Text abgesetzt worden. Der eigenständige Erklärungsgehalt konnte, so das OLG Nürnberg, von einem aufmerksamen Versicherungsnehmer nicht übersehen werden.

Auch sei es zulässig, dass die Erklärung vom Versicherer vorformuliert sei und vom Kläger nur noch unterschrieben werden müsse, sofern der Verbraucher deutlich auf mögliche nachteilige Folgen hingewiesen werde.

Beratungsverzicht im Einzelfall sittenwidrig

„Laut dem OLG Nürnberg ist die Verzichtserklärung eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, so dass eine sogenannte AGB-Kontrolle auch mit Blick auf § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht in Betracht kommt“, schreibt die Kanzlei Wirth–Rechtsanwälte in der Pressemitteilung.

„Nach dieser Vorschrift wären solche Formularklauseln unwirksam, die mit dem wesentlichen Grundgedanken der verbraucherschützenden Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes VVG unvereinbar wären. Jedenfalls bei einem standardmäßigen Beratungs- und/oder Dokumentationsverzicht läge dieser Gedanke sehr nahe“, heißt es.

Allerdings habe das Gericht zugleich darauf hingewiesen, dass ein Beratungsverzicht nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und damit unwirksam sein könne, wenn im Einzelfall ein klares Verhandlungsungleichgewicht zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer bestehe oder der Versicherer einen offensichtlichen, besonderen Beratungsbedarf hätte erkennen müssen.

„Allerdings ist dafür der Versicherungsnehmer darlegungs- und beweisbelastet, wozu der Kläger, in dem vom OLG Nürnberg entschiedenen Sachverhalt allerdings nichts Substanzielles vortrug“, wird berichtet.

Die Tragweite dieser Entscheidung ist so weitgehend, dass eine höchstrichterliche Überprüfung mehr als wünschenswert gewesen wäre

Tobias Strübing, Fachanwalt in der Kanzlei Wirth–Rechtsanwälte

Auswirkungen auf die gesamte Branche

Tobias Strübing (Bild: Wirth Rechtsanwälte)
Tobias Strübing (Bild: Wirth Rechtsanwälte)

„Ich schaue sehr kritisch auf die Entscheidung des OLG Nürnberg, weil der Fall im Wege eines Beschlusses nach § 522 ZPO entschieden und damit die Revision zum Bundesgerichtshof zumindest erschwert wurde“, wird Rechtsanwalt Tobias Strübing, Fachanwalt in der Kanzlei Wirth–Rechtsanwälte, zitiert.

„Die Tragweite dieser Entscheidung ist meines Erachtens so weitgehend, dass eine höchstrichterliche Überprüfung durch den BGH mehr als wünschenswert gewesen wäre. Denn diese Entscheidung lässt sich so auch auf den Beratungsverzicht für Vermittler gemäß § 61 Abs. 2 VVG übertragen und hat damit Auswirkungen auf die gesamte Branche“, so der Fachanwalt für Versicherungsrecht.

„Gerade bei komplexen und erklärungsbedürftigen Produkten wie der fondsgebundenen Basis-Rentenversicherung besteht doch ein hoher Verbraucherschutz und mit Sicherheit sehr häufig auch ein hoher Beratungsbedarf. Die fehlende Möglichkeit einer höchstrichterlichen Klärung erschwert nun aber weiter eine einheitliche Rechtsprechung und lässt Verbraucher, Vermittler und Versicherer mit Rechtsunsicherheiten zurück“, kritisiert er.

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