16.10.2025 – Eine ehrenamtliche Helferin im Tierheim verletzte sich beim Gassigehen mit einem Hund des Tierheims schwer. Der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung wollte den Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkennen. Doch das Sozialgericht Oldenburg stuft den Vorfall als Arbeitsunfall ein.
Eine Frau engagierte sich seit 2015 als sogenannte „Gassigängerin“ mehrmals in der Woche für ein Tierheim, das unter anderem für verschiedene Gemeinden die öffentliche Aufgabe der Fundtierverwahrung wahrnimmt und von einem Tierschutzverein betrieben wird.
Seit 2018 führte sie werktäglich für etwa 1,5 Stunden am Tag einen bestimmten Hund aus. Zudem trat sie im gleichen Jahr als Mitglied dem Tierschutzverein bei und war zeitweise auch als Kassenprüferin tätig.
Am 1. März 2021 rutschte sie beim Spaziergang mit dem Hund auf einem Trampelpfad aus und zog sich einen komplizierten Bruch am Sprunggelenk zu. Der Unfall musste operativ behandelt werden.
Der Verein meldete den Unfall der zuständigen Berufsgenossenschaft. Diese erkannte den Unfall jedoch nicht als Arbeitsunfall an. Gegen diese Ablehnung legte die Verunfallte Widerspruch ein und forderte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall nach § 8 SGB VII aufgrund einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 und 6 SGB VII.
Die Berufsgenossenschaft wies den Widerspruch jedoch zurück.
Zwar kann ein Vereinsmitglied grundsätzlich auch im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung unfallversichert sein, wenn es wie ein Beschäftigter arbeitet. Versichert sind nämlich nicht nur Arbeitnehmer während ihrer beruflichen Tätigkeit, sondern unter anderem nach § 2 Absatz 2 SGB VII auch Personen, die wie Beschäftigte tätig werden – sogenannte „Wie-Beschäftigte“ –, auch wenn sie keinen Arbeitslohn dafür erhalten.
Die Berufsgenossenschaft sah das Gassigehen jedoch nur als Erfüllung von Vereinspflichten, nicht jedoch als arbeitnehmerähnliche Tätigkeit an. Der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung argumentierte, es habe sich um eine typische ehrenamtliche Tätigkeit gehandelt, wie sie von vielen Mitgliedern ausgeübt werde.
Solche Tätigkeiten fielen unter mitgliedschaftliche Pflichten und seien daher nicht als Arbeitsunfall versichert. Die Berufsgenossenschaft lehnte daher auch im Widerspruchsverfahren die Anerkennung des Arbeitsunfalls ab. Die Verunfallte war mit dieser Argumentation nicht einverstanden und klagte.
Das Sozialgericht Oldenburg gab der Klage der Gassigängerin vollumfänglich statt und entschied mit dem Urteil vom 7. Mai 2025 (S 73 U 162/21), dass die Klägerin zum Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit als „Wie-Beschäftigte“ ausgeübt hatte.
Das Gericht stellte klar: „Das Ausführen der Hunde hat für das Tierheim einen wirtschaftlichen Wert“, da es für die artgerechte Tierhaltung erforderlich sei und ansonsten von angestellten Mitarbeitern übernommen werden müsste. Bei der Beurteilung wurde zudem berücksichtigt, dass die Gassigänger in den betrieblichen Ablauf des Tierheims fest eingebunden sind.
Außerdem wertete das Gericht den Umfang der Tätigkeit als nicht geringfügig, da diese von der Frau „täglich in einem nicht unerheblichen Zeitumfang“ ausgeübt wurde. Relevant für die Entscheidung war ferner, dass es sich nach Einschätzung des Gerichts nicht um eine rein freiwillige und lose Aufgabe handelte.
Vielmehr unterlag die Klägerin konkreten Regeln und war weisungsgebunden: Sie durfte nur zu bestimmten Zeiten kommen, musste Abwesenheiten melden und bekam den Hund vom Personal übergeben – was für eine Nähe zu einem echten Arbeitsverhältnis spricht.
Zwar war die Klägerin Vereinsmitglied, doch laut Gericht ergibt sich weder aus der Satzung noch „aus den Gepflogenheiten und Erwartungen des Vereins“ eine Pflicht der Mitglieder, Hunde auszuführen. Somit handelte es sich beim Gassigehen nicht, wie von der Berufsgenossenschaft angenommen, um eine typische ehrenamtliche Tätigkeit, wie sie von vielen Vereinsmitgliedern ausgeübt werde.
Im Gegenteil: „Die Klägerin hat diese Tätigkeit auch bereits drei Jahre ausgeübt, bevor sie Mitglied des Vereins wurde“, ist dem Urteil zu entnehmen.
Zwar gilt laut Ausführungen des Gerichts: „Eine Tätigkeit als ‚Wie-Beschäftigter‘ scheidet aus, wenn das Tätigwerden auf besonderen Verpflichtungen und Rechtsverhältnissen beruht, die ein Arbeitsverhältnis typischerweise ausschließen, wie mitgliedschaftliche, gesellschaftsrechtliche/körperschaftliche oder familiäre Bindungen.“
Das heißt, wenn ein Vereinsmitglied seiner mitgliedschaftlichen Verpflichtung zum Beispiel als Kassenwart oder Vorstand nachgeht, gilt er für diese Tätigkeit nicht als „Wie-Beschäftigter“.
Allerdings führt eine Mitgliedschaft in einem Verein nicht automatisch dazu, dass dessen Mitglieder nicht doch als „Wie-Beschäftigte“ gelten können und damit bei der Ausübung einer Tätigkeit, die nicht als mitgliedschaftliche Pflicht anzusehen ist, gesetzlich unfallversichert sind, wie das Urteil belegt.
Das Gericht stellte nämlich klar, dass die Klägerin nicht aus einer besonderen Nähe zum Verein handelte, wie es bei typischen mitgliedschaftlichen Pflichten der Fall wäre. Es habe sich um eine Tätigkeit gehandelt, die – auch wenn sie ehrenamtlich war – in Form, Umfang und Einbindung einem normalen Arbeitsverhältnis sehr nahekam.
Ehrenamtliche sind gemäß § 2 SGB VII in der Regel gesetzlich unfallversichert, wenn sie unter anderem unentgeltlich
tätig sind.
Kein gesetzlicher Unfallschutz – sofern es sich nicht um eine Wie-Beschäftigung handelt – besteht meist in Sport-, Umwelt-, Karnevals- oder Tierschutzvereinen sowie bei der Ausübung von Vereinsämtern wie Vorstand oder Kassenwart (VersicherungsJournal 31.1.2022).
Allerdings kann auch ein gemeinnütziger Verein oder Verband, wie ein Sportverein oder Landessportverband, für ehrenamtlich Tätige, die nicht bereits gesetzlich unfallversichert sind, eine freiwillige Versicherung bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) abschließen.
Weitere Informationen zum gesetzlichen Unfallschutz für Ehrenamtliche enthält die kostenlos downloadbare Broschüre „Zu Ihrer Sicherheit“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS).
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