4.7.2025 – Der Wirtschaftsweise Martin Werding fordert einen Ausbau der ergänzenden, kapitalgedeckten Altersvorsorge. In einer Studie hat er berechnet, wie sich die Fixierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent auswirkt. Demnach begünstigt die Haltelinie Jahrgänge im rentennahen und Rentenalter und belastet aktiv Versicherte unter 48 Jahren. Letztere könnten aber mit einer ergänzenden Vorsorge ein Rentenplus von mindestens 200 Euro im Monat erzielen.
Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) gerät mit dem Übergang der Babyboomer in den Ruhestand an ihre Belastungsgrenze. Dennoch soll das Rentenniveau weiterhin nicht unter 48 Prozent fallen. Zunächst ist dies bis 2031 vorgesehen (VersicherungsJournal 27.6.2025). Die SPD möchte aber eigentlich „dauerhaft“ ein Niveau von 48 Prozent festschreiben (23.6.2025).
Der Wirtschaftsweise Professor Dr. Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum hat für die Fidelity International LLC in einer Studie die Kosten berechnet, die diese Haltelinie für den Bundeshaushalt und für jüngere Versicherte verursacht – und dabei mit den Effekten eines Ausbaus ergänzender, kapitalgedeckter Altersvorsorge verglichen.
Die Untersuchung „Reformschritte in die falsche Richtung: Kosten der ‚Haltelinie‘ für das Sicherungsniveau gesetzlicher Renten“ (PDF; 588 KB) ist öffentlich zugänglich und über die Homepage von Fidelity abrufbar.
Das Ergebnis: Die Bundesmittel für die gesetzliche Rentenversicherung steigen selbst bei der günstigsten der drei untersuchten Finanzierungsoptionen von aktuell rund 142 Milliarden Euro bis 2040 auf rund 198 Milliarden Euro und bis 2060 sogar auf knapp 270 Milliarden Euro an.
In der teuersten Variante würden sich die Bundesmittel bis 2040 auf 233 Milliarden Euro und bis 2060 sogar auf knapp 353 Milliarden Euro erhöhen. Dies entspricht fast sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Werding hält jede der betrachteten Varianten für eine enorme Belastung für die Finanzen des Bundes. „Entweder stellen kontinuierlich steigende Zuschüsse an die GRV in Zukunft die Finanzierung anderer Ausgaben des Bundes in Frage, oder es müssen erhebliche zusätzliche (Steuer-)Einnahmen mobilisiert werden“, schreibt der Ökonom.
Wenn letzteres nicht geschehe, würde sich der Anteil der Bundesmittel für die GRV am Bundeshaushalt – ausgehend von derzeit rund 30 Prozent – schon unter dem geltenden Recht auf Dauer auf über 40 Prozent erhöhen.
Die Haltelinie sei vorteilhaft für Versicherte im Renten- und rentennahen Alter, da diese höhere Renten erhielten, ohne dafür vorab eine gewisse Zeit höhere Beiträge zahlen zu müssen. Wer dagegen vor dem Bezug einer höheren Rente erst längere Zeit höhere Beiträge entrichten müsste, könne per Saldo belastet werden, so Werding.
Um den Punkt zu bestimmen, wann die Belastung durch höhere Beiträge den Vorteil höherer Rentenansprüche übersteigt, hat er Vergleiche mit Renten aus einer ergänzenden, kapitalgedeckten Altersvorsorge angestellt, in die die höheren Beiträge alternativ eingezahlt werden.
„Mit der Dauer der Ansparzeit nehmen kapitalgedeckte Renten aufgrund von Zinseszinseffekten überproportional zu. Daher gibt es – in Abhängigkeit von der Höhe der erwarteten Rendite – eine Mindestansparzeit, ab der die Verwendung der zusätzlichen Beiträge, die die Haltelinie nach sich zieht, für eine kapitalgedeckte Vorsorge zu einer höheren Zusatzrente führt als eine Fixierung des Sicherungsniveaus der umlagefinanzierten GRV“, berichtet er.
Die Mindestansparzeit lasse sich in eine Altersgrenze übersetzen. „Oberhalb dieser Grenze werden die Versicherten durch die Haltelinie begünstigt, unterhalb werden sie belastet“, so Werding.
Für den Vergleich wurden drei Renditeszenarien unterstellt: konservativ (Nominalrendite pro Jahr: vier Prozent), ausgewogen (sechs Prozent) und chancenorientiert (acht Prozent). Die Berechnungen erfolgten auf Basis monatlicher Rentenansprüche eines Standardrentners.
Demnach nehmen gesetzliche Renten aufgrund der Haltelinie ab 2031 zunächst schnell, dann immer langsamer zu. Bis 2070 liegt der Zuwachs nur bei rund 100 Euro im Monat (in Preisen von 2025).
Renten, die ergänzend eine kapitalgedeckte Vorsorge vorsehen, steigen dagegen zunächst langsam, dann aber aufgrund des Zinseszinseffektes immer schneller. Bis zum Ende des Simulationszeitraumes liegt das Plus bei konservativer Anlagestrategie bei mehr als 200 Euro pro Monat, bei ausgewogener bei knapp 400 Euro und bei chancenorientierter bei fast 600 Euro.
Der Punkt, wann Renten mit ergänzenden Ansprüchen aus kapitalgedeckter Vorsorge vorteilhafter als Renten mit Haltelinie sind, variiert je nach Anlagestrategie. Bei einer konservativen Strategie erfolgt der Umschlag beim Geburtsjahrgang 1986, bei einer ausgewogenen beim Geburtsjahrgang 1981 und bei einer chancenorientierten bereits beim Geburtsjahrgang 1978.
„Die Ergebnisse dieser Berechnungen belegen klar, was die Einführung einer Haltelinie für das Sicherungsniveau der GRV bewirkt, die die Beteiligung älterer Versicherter an den Auswirkungen der demografischen Alterung auf die Rentenfinanzen beendet: eine intergenerationelle Umverteilung zugunsten Versicherter der GRV, die heute – je nach Renditeannahmen – im Alter ab 40, 45 oder 48 Jahren stehen und zu Lasten Versicherter geringeren Alters“, schreibt Werding.
„Diese Umverteilung nimmt massive Ausmaße an, wenn man etwa die Wirkungen auf Versicherte über 50 Jahre, die bis 2040 in Rente gehen, mit denen auf heute 25-Jährige vergleicht, die 2067 in Rente gehen.“
Der Wissenschaftler hält den Ausbau ergänzender, kapitalgedeckter Altersvorsorge für „die einzige ursachengerechte Lösungsoption“ – bei sinkendem Sicherungsniveau des Umlagesystems –, um die Effekte der demografischen Alterung auf die Rentenfinanzen einzudämmen.
Denn die im aktuellen Koalitionsvertrag vorgesehene Steuerfinanzierung einer Haltelinie für das Sicherungsniveau der GRV „dürfte angesichts der Finanzlage des Bundes schon bis 2031“ an Grenzen stoßen. Auch eine Beitragsfinanzierung, wie sie bereits die Vorgängerregierung geplant habe, sei keine Lösung, da sie zu ständig steigenden Belastungen der aktiv Versicherten führe.
Dieses Potenzial kann voll zum Tragen gebracht werden, wenn möglichst zeitnah mehr Mittel in kapitalgedeckte Formen der Altersvorsorge eingezahlt werden.
Martin Werding, Ruhr-Universität Bochum
Die Studie zeige das Potenzial kapitalgedeckter Instrumente, sowohl bei der betrieblichen Altersversorgung als auch im Rahmen privater Vorsorge, um zur Bewältigung der demografischen Alterung beizutragen.
„Dieses Potenzial kann voll zum Tragen gebracht werden, wenn möglichst zeitnah mehr Mittel in kapitalgedeckte Formen der Altersvorsorge eingezahlt werden – möglichst noch um Einiges mehr als die Differenz zwischen GRV-Beitragssätzen mit beziehungsweise ohne eine Haltelinie für das Sicherungsniveau“, betont Werding.
Dagegen würden die finanziellen Spielräume aktiv Versicherter hierfür durch einen verstärkten Anstieg des Beitragssatzes spürbar eingeschränkt.
„Mit Hilfe ergänzender Kapitaldeckung lassen sich die Konflikte zwischen angemessenem Sicherungsniveau und erträglicher Beitragsbelastung perspektivisch überwinden, die in der derzeit beginnenden Phase akuter Alterung deutlich zunehmen und ansonsten dauerhaft anhalten werden. Bei einer alternden Bevölkerung lässt sich das Ziel einer langfristig tragfähigen Alterssicherung nur mit einem angemessenen Mix aus Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung erreichen“, so Werding.
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