Nicht jeder tätliche Angriff auf dem Betriebsweg wird als Arbeitsunfall anerkannt

16.11.2023 – Nicht jeder körperliche Angriff auf eine Pflegeperson, die sich auf einem Betriebsweg befindet, steht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls. Das hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit einem gestern veröffentlichten Urteil vom 9. November 2023 entschieden (L 21 U 85/21).

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Gemäß § 2 Absatz 1 Nummer 17 SGB VII stehen Pflegepersonen bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Als Pflegepersonen gelten Menschen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen in seiner häuslichen Umgebung pflegen.

Angriff auf Pflegeperson durch Jugendliche

Dieser Voraussetzungen trafen auch auf den Kläger zu. Der lebte zusammen mit seinem Lebensgefährten in einem Berliner Mehrfamilienhaus. Unter anderem aufgrund eines insulinpflichtigen Diabetes war Letzterer mit dem Pflegegrad 3 pflegebedürftig.

Weil der Mann das Blutzuckermessgerät seines Lebensgefährten vergessen hatte, wollte er es in der Nacht des 28. Mai 2018 aus seinem Auto holen. Dabei traf er im Treppenhaus auf zwei Jugendliche. Die lebten in einer betreuten Wohngemeinschaft im selben Gebäude. Nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung griffen die Jugendlichen den Mann an.

Als Arbeitsunfall anzuerkennen?

Der Angegriffene erlitt eine Fraktur seines Oberkiefers und des Jochbeins. Anschließend wollte er Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung in Anspruch nehmen. Weil er das Messgerät holen wollte, habe er sich auf dem Weg zu seinem Auto auf einem versicherten Betriebsweg befunden, argumentierte der Betroffene.

Das sah die Unfallkasse Berlin anders. Sie lehnte es ab, das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung

Der Verletzte reichte Klage ein. Damit hatte er sowohl bei dem in erster Instanz mit dem Fall befassten Berliner Sozialgericht als auch bei dem von ihm in Berufung angerufenen Landessozialgericht Berlin-Brandenburg keinen Erfolg.

Nach Ansicht der Richter gehört der Kläger als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson zwar zu den Personen, die kraft Gesetz unfallversichert seien. Auch sei der Gang aus der Wohnung zu seinem Auto als Betriebsweg seiner pflegerischen Tätigkeit zuzurechnen.

Gleichwohl habe der Mann zum Zeitpunkt der erlittenen Verletzungen nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Denn nicht jeder körperliche Angriff auf einem Betriebsweg sei als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Zuvor bestehender persönlicher Konflikt

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Auslöser für den Angriff eine persönliche Feindschaft der Beteiligten gewesen. Die habe sich über einen längeren Zeitraum entwickelt. Schon in der Vergangenheit sei es zu erheblichen Konflikten zwischen dem Kläger beziehungsweise seinem Lebensgefährten und den Jugendlichen gekommen.

Der Betroffene sei folglich nicht Opfer der Körperverletzung geworden, weil er sich gerade auf dem Weg zu seinem Auto befand, um das Blutzuckermessgerät zu holen. Die wesentliche Ursache des Angriffs sei vielmehr der schon zuvor bestehende persönliche Konflikt zwischen ihm und den Angreifern gewesen.

Die Unfallkasse Berlin habe es daher zu Recht abgelehnt, den Vorfall als Arbeitsunfall anzuerkennen.

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Gesetzliche Unfallversicherung · Gesundheitsreform · Gewerbeordnung
 
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