10.4.2025 – Ein Unfallgeschädigter muss in der Regel nicht offenlegen, wie viel die tatsächliche Reparatur eines Unfallschadens gekostet hat, wenn er auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens Schadensersatz vom Unfallschuldigen verlangt. Das verdeutlicht ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs.
Ein Kfz-Fahrer war mit seinem hierzulande zugelassenen Wagen in einen Verkehrsunfall verwickelt, der sich ebenfalls in Deutschland ereignete. Der Kfz-Halter ließ die voraussichtlichen Reparaturkosten am Fahrzeug im Rahmen eines Gutachtens von einem Kfz-Sachverständigen ermitteln. Zudem ließ er das Unfallfahrzeug während einer Urlaubsreise in der Türkei sach- und fachgerecht reparieren.
Vom Unfallgegner beziehungsweise dessen Kfz-Haftpflichtversicherer verlangte er unter anderem die Reparaturkosten, welche auf Grundlage des von ihm beauftragten Gutachtens festgestellt wurden. Der Autoversicherer lehnte jedoch die Schadenregulierung ab, da der Geschädigte keine Angaben über die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten in der Türkei machte.
Der Kfz-Halter verklagte daraufhin den Kfz-Haftpflichtversicherer auf Schadenersatz auf Basis des Gutachtens.
Das für den Fall zuständige Amtsgericht Meinerzhagen wies die Klage mit der Begründung ab, dass der Unfallgeschädigte die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten offenlegen müsse, wenn er eine Zahlung verlange. Gegen diese Entscheidung legte der Fahrzeugbesitzer Berufung ein – und hatte Erfolg.
Das Landgericht (LG) Hagen gab der Klage statt und änderte die Entscheidung teilweise ab. Die Entschädigung kann demnach auf Grundlage der fiktiven Schadensabrechnung des Sachverständigengutachters erfolgen. Das LG sah keine Pflicht zur Offenlegung der tatsächlichen Reparaturkosten. Der beklagte Autoversicherer legte gegen dieses Urteil Revision ein.
Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Revision zurück, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung von fiktiven Reparaturkosten und zu den Nebenforderungen richtete. Er bestätigte mit dem am 28. Januar 2025 (VI ZR 300/24) getroffenen Urteil die Entscheidung des LG.
Nach Auffassung des BGH steht dem Kläger ein Anspruch auf Schadensersatz auf Grundlage der Reparaturkosten, wie vom Gutachter ermittelt, zu. Der geschädigte Kfz-Halter muss die konkret angefallenen Reparaturkosten nicht darlegen.
Die Urteilsbegründung: „Bei der fiktiven Abrechnung hat der Geschädigte weder darzulegen, dass er seinen Unfallwagen hat reparieren lassen, noch auf welche Weise und in welchem Umfang die Reparatur durchgeführt worden ist. […] Dem Geschädigten kann auch nicht mangels Vorlage einer Reparaturkostenrechnung oder Vortrags zu den tatsächlich angefallenen Reparaturkosten Schadensersatz versagt werden.“
Weiter heißt es: „Richtschnur für den vom Schädiger nach § 249 Absatz 2 Satz 1 BGB zu leistenden Ersatz sind nicht die vom Geschädigten tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten, sondern der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag. […] Bei der Ermittlung dieses Betrags sind im Rahmen der fiktiven Abrechnung Gesichtspunkte, die eine tatsächlich durchgeführte Reparatur (gleich an welchem Ort) betreffen, grundsätzlich irrelevant.“
Der BGH betont, dass es bei der fiktiven Abrechnung eben nicht auf die tatsächlichen Reparaturkosten ankommt.
Konkret steht dazu in der Urteilsbegründung: „Der Geschädigte eines Kraftfahrzeugsachschadens hat bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Absatz 2 Satz 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln.“
Weiter heißt es im Urteilstext: „Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer abstrahierten Grundlage zufrieden gibt.“
Der Geschädigte darf daher auf Grundlage eines Gutachtens abrechnen, allerdings ohne sich zu bereichern, wie die Richter betonten. Es „gilt für die Ersetzungsbefugnis des § 249 Absatz 2 Satz 1 BGB das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Der Geschädigte soll zwar volle Herstellung verlangen können (Totalreparation), aber an dem Schadensfall nicht verdienen. Diese Grundsätze gelten sowohl für die konkrete als auch für die fiktive Schadensabrechnung“.
In der BGH-Entscheidung wurde zudem auf ein BGH-Urteil aus dem Jahr 2013 (VI ZR 24/13) hingewiesen. Gemäß diesem ist zwar ein Verweis des Kfz-Versicherers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit möglich, aber nur, wenn diese qualitativ gleichwertig und für den Geschädigten ohne Weiteres zumutbar wäre.
Im zu verhandelnden Fall ist das Kriterium der Zumutbarkeit aufgrund der Entfernung zur Werkstatt in der Türkei, die die Reparatur durchgeführt hat, jedoch nicht gegeben.
Der beklagte Versicherer konnte zudem nicht darlegen, dass es eine zumutbare und gleichwertige Reparaturmöglichkeit zu geringeren Kosten in Deutschland gegeben hätte, auf die er den Kfz-Halter hätte verweisen können. Auch die Tatsache, dass die Reparatur in der Türkei möglicherweise günstiger war, ändere nichts an dem Anspruch auf Schadensersatz nach dem deutschen Gutachten.
Im aktuellen Urteil heißt es diesbezüglich: „Etwaige finanzielle Vorteile, die der in Deutschland wohnende Kläger durch die Reparatur seines hier zugelassenen Fahrzeugs in der Türkei erzielt hat, sind im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung nicht zu berücksichtigen.“
Das aktuelle BGH-Urteil schafft rechtliche Klarheit im bisher umstrittenen Punkt, inwieweit ein Geschädigter, der sein Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt, bei fiktiver Abrechnung die konkreten Kosten nennen muss. Laut der aktuellen Entscheidung muss der Geschädigte, sofern er die fiktive Abrechnung wählt, die tatsächlich anfallenden Reparaturkosten nicht angeben.
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