Gericht untersagt Allianz Klausel zur Herabsetzung des Rentenfaktors

31.1.2025 – In einem Rechtsstreit setzt sich die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg gegen die Allianz durch. Diese darf eine Klausel in Verträgen über eine fondsgebundene Riester-Rente künftig nicht mehr verwenden und sich in laufenden Verträgen nicht mehr auf sie berufen. Denn mit der Klausel werde allein das Interesse des Versicherers verfolgt, die Rentenhöhe abzusenken.

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Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat einer Klage der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg gegen die Allianz Lebensversicherungs-AG in zweiter Instanz stattgegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist eine Klausel in Verträgen über eine fondsgebundene Riester-Rente, die zwischen Juni und November 2006 verwendet wurde, unwirksam.

Diese Klausel sieht eine Reduzierung der Rente bei nachhaltig abgesunkener Rendite der Kapitalanlagen vor, aber keine entsprechende Rückanpassung bei verbesserten Verhältnissen, wird auf der Homepage des Oberlandesgerichts berichtet. Die Allianz dürfe die Klausel in künftigen Verträgen nun nicht mehr verwenden und sich in laufenden Verträgen nicht mehr auf sie berufen.

Kürzung der Rente um 20 Prozent

In dem verhandelten Fall wurde den Ausführungen zufolge bei Abschluss des Rentenversicherungsvertrags im Jahr 2006 der Rentenberechnung ein Rechnungszins von 2,75 Prozent zugrunde gelegt. Dies hätte eine Rente von 38,74 Euro pro 10.000,00 Euro Policenwert ergeben.

Unter Berufung auf die streitgegenständliche Klausel hat die Allianz den Rentenfaktor in zwei Schritten auf 30,84 Euro unter Zugrundelegung eines Rechnungszinses von 1,25 Prozent reduziert.

Verbraucherschützer in zweiter Instanz erfolgreich

Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hält die Anpassungsklausel für unwirksam. Denn die Klausel sehe weder eine Verpflichtung des beklagten Versicherers vor, die Rente bei einer Verbesserung der Umstände wieder zu erhöhen, noch räume sie dem Verbraucher die Möglichkeit ein, nach erfolgter Anpassung mit zusätzlichen Beiträgen das Rentenniveau wieder anzuheben.

Das Landgericht Stuttgart (53 O 214/22) lehnte die Klage in erster Instanz ab. Das OLG Stuttgart (2 U 143/23) hat der Berufung der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg mit Urteil vom Donnerstag dieser Woche jetzt stattgegeben.

Vertragsanpassung einseitig zugunsten des Versicherers

Demnach ist die Klausel wegen einer unangemessenen Benachteiligung des Verbrauchers unwirksam. „Denn mit der Klausel wird allein das Interesse des Versicherers verfolgt, die Rentenhöhe abzusenken. Die Klausel sieht hingegen nicht vor, dass die Absenkung wenigstens teilweise wieder rückgängig gemacht wird, wenn sich die Verhältnisse wieder nachhaltig bessern“, wird berichtet.

Damit werde das Recht zur Vertragsanpassung einseitig zugunsten des Versicherers ausgestaltet. Die freiwillig in späteren Anschreiben abgegebene Zusage, den Rentenfaktor wieder zu erhöhen, wenn sich bei Rentenbeginn mit den dann maßgebenden Rechnungsgrundlagen ein besserer Rentenfaktor ergibt, ändere an der Unangemessenheit der Klausel nichts.

Eine entsprechende Verpflichtung müsse sich vielmehr aus den damals verwendeten Versicherungsbedingungen ergeben, schreibt die Pressestelle des OLG Stuttgart.

Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen

Eine unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers sieht das Gericht auch darin, dass ihm keine Möglichkeit eingeräumt werde, auf die vorgenommene Rentenkürzung durch Einzahlung entsprechend höherer Prämien zu reagieren, um so die Kürzung wenigstens teilweise zu kompensieren.

Der Versicherungsnehmer habe zwar das Recht, einmal jährlich Zuzahlungen zu leisten oder den vereinbarten Beitrag zu erhöhen. Die Richter sehen darin aber keine hinreichende Reaktionsmöglichkeit. Denn diese Zusatzzahlungen seien in ihrer Höhe beschränkt und nicht mehr möglich, wenn der steuerlich absetzbare Höchstbetrag von 2.100 Euro pro Jahr schon ausgeschöpft sei, heißt es.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Wir gehen davon aus, dass die Gegenseite in Revision gehen wird.

Niels Nauhauser, Abteilungsleiter bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg

Verbraucherzentrale fordert grundlegende Reform

Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg spricht in einer Pressemitteilung von einem „bedeutenden Erfolg“, den sie erzielt habe. Das Urteil habe weitreichende Folgen, die streitgegenständliche Treuhänderklausel sei im Kern in der Branche weit verbreitet.

Die Entscheidung unterstreiche, dass die kapitalgedeckte Altersvorsorge in ihrer derzeitigen Form nicht verbraucherfreundlich ausgestaltet sei. Angesichts des Urteils fordere man die Politik auf, endlich klare gesetzliche Regelungen zu schaffen, um Verbraucher besser vor einseitigen Vertragsänderungen zu schützen.

„Erneut zeigt sich, dass das an eigenen Interessen ausgerichtete Verhalten der Anbieter von Riester-Verträgen direkt zu Lasten der Renten der Sparerinnen und Sparer geht“, wird Niels Nauhauser, Abteilungsleiter bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, zitiert.

„Das Urteil ist ein Etappensieg. Wir gehen davon aus, dass die Gegenseite in Revision gehen wird und der Bundesgerichtshof (BGH) die aufgeworfenen Rechtsfragen verbindlich für die Branche klären wird“, so Nauhauser.

Dieses Urteil ist eine gute Nachricht für Verbraucher – und eine schlechte für die Versicherungsbranche.

Bürgerbewegung Finanzwende

Finanzwende sieht Parallelen zum Rechtsstreit mit der Zurich

Auch die Bürgerbewegung Finanzwende e.V. freut sich über die Entscheidung des OLG Stuttgart. „Dieses Urteil ist eine gute Nachricht für Verbraucherinnen und Verbraucher – und eine schlechte für die Versicherungsbranche. Es dürfte zigtausend Verträge betreffen“, kommt Britta Langenberg, Leiterin Verbraucherschutz bei Finanzwende, in einer Presseaussendung zu Wort.

„Die Entscheidung zeigt: Es ist wichtig, bei grundlegenden Rechtsfragen hartnäckig zu bleiben – und klären zu lassen, wie weit Versicherer im Umgang mit ihren Kundinnen und Kunden eigentlich gehen dürfen“, so Langenberg.

Die Stuttgarter Richter hätten klar zugunsten der Verbraucherseite entschieden, wie zuvor das Landgericht Köln in einem ähnlichen Fall (26 O 12/22). Damals habe ein Riester-Kunde mit Unterstützung von Finanzwende erstritten, dass die Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung AG die einseitige Kürzung seiner Rentenansprüche zurücknehmen musste.

Derzeit gehe man gemeinsam mit der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen am Oberlandesgericht Köln weiter gegen die Zurich vor, um unrechtmäßige Rentenkürzungen zu unterbinden. Ziel sei ein höchstrichterliches Urteil in der Frage von Rentenkürzungen.

Allianz Leben wird die Entscheidungsgründe sorgfältig auswerten.

Franz Billinger, Leiter Kommunikation Allianz Leben

Allianz hat Absenkung des Rentenfaktors überprüfen lassen

„Das Urteil des OLG Stuttgart ist nicht rechtskräftig. Allianz Leben wird die Entscheidungsgründe sorgfältig auswerten und entscheiden, ob gerichtliche Schritte gegen das Urteil ergriffen werden“, berichtet Franz Billinger, Leiter Kommunikation des Münchener Versicherers, auf Nachfrage.

„Bei sämtlichen Produktgestaltungen hat Allianz Leben die rechtlichen Rahmenbedingungen sehr sorgfältig geprüft. Die von der Verbraucherzentrale angegriffene Regelung stellt eine ausgewogene Regelung dar, die sämtliche Interessen berücksichtigt, einschließlich der Interessen der Versicherten“, sagt er.

Unter bestimmten Voraussetzungen sei nach einer Anpassung des Rentenfaktors auch eine Wiederanhebung des Rentenfaktors möglich. Zudem sei die Absenkung des Rentenfaktors auch von einem unabhängigen, aktuariellen Treuhänder geprüft worden. Dieser habe bestätigt, dass die Anpassung erforderlich und angemessen gewesen sei.

Allianz hält bei einer Rentenzahlung die Gesamtrente für entscheidend

„Der Rentenfaktor hat Einfluss auf einen Teil der zukünftigen Rentenleistung, der zu Rentenbeginn berechnet wird und ab dann garantiert ist. Entscheidend bei einer Rentenzahlung ist aber die Gesamtrente. Sie besteht aus der ab Rentenbeginn garantierten Rente und einem zusätzlichen Betrag aus der Überschussbeteiligung. Auch die Überschussbeteiligung wird von der Anpassung des Rentenfaktors nicht beeinflusst“, erklärt Billinger.

„Grundsätzlich gilt: Eine Anpassung des Rentenfaktors zur Berechnung der Rente greift nicht in Garantiezusagen von Allianz Leben ein. Allianz Leben steht zu allen vertraglichen Zusagen und Garantien. Mit der Rentenversicherung der Allianz sichern sich Kundinnen und Kunden ein lebenslanges Einkommen für ihr Alter – mit einem starken Finanzpartner an ihrer Seite.“

Leserbriefe zum Artikel:

Peter Schramm - Unwirksame Klausel wird dann einfach durch eine neue Klausel ersetzt. mehr ...

 
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