5.2.2025 – Ein Zahnarzt hatte bei einem Unfall 2014 Verletzungen an den Handgelenken erlitten. Vor Gericht stritt man sich 2021 um einen weiteren Verdienstausfall-Ersatz. Das Oberlandesgericht Saarbrücken befand: In der Prognose könne nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass ein freiberuflich tätiger Zahnarzt mit fast 75 Jahren auch ohne Unfall noch voll erwerbstätig gewesen wäre. Und: Schadensersatz für eine Praxiswertminderung könne er erst verlangen, wenn sich eine solche bei Aufgabe oder Veräußerung der Praxis konkret auswirkt.
Der Kläger, ein im Juni 1946 geborener, freiberuflich in eigener Praxis tätiger Zahnarzt, war im Oktober 2014 bei einem Verkehrsunfall im Bereich beider Handgelenke verletzt worden. Das Landgericht Saarbrücken hatte die Haftung des gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherers im September 2020 rechtskräftig festgestellt und dem Kläger Schadenersatz zugesprochen.
Es hielt unter anderem auch fest: Soweit der Arzt einen verminderten Praxiswert als Vermögensschaden geltend macht, könne er dafür mangels Darlegung eines konkreten Schadens keinen Ersatz verlangen. Im Übrigen sei ein etwaig verringerter Unternehmenswert durch den Ersatz des Verdienstausfalls hinreichend ausgeglichen.
In seiner Berufung forderte der Arzt neben Zinsen zusätzlich rund 83.000 Euro Ersatz für weiteren Verdienstausfall für den Zeitraum Januar 2021 bis Mai 2021 sowie dafür, dass sich sein Praxiswert gemindert habe.
Das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken gab ihm in seinem Urteil (3 U 6/24) vom 17. Januar 2025 nur hinsichtlich der Verzugszinsen teilweise recht. Einen Anspruch wegen zusätzlichen Verdienstausfalls sah es nicht.
Es hielt zunächst fest: Ein Verdienstausfallschaden für Januar bis Mai 2021 scheide nicht bereits deshalb dem Grunde nach aus, weil davon auszugehen wäre, dass der damals 74-einhalb-Jährige seine Zahnarzttätigkeit ohne den Unfall bereits beendet hätte.
Der Erwerbsschaden sei zwar auch bei Selbstständigen und Freiberuflern „grundsätzlich zeitlich auf das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben begrenzt“.
Es gebe bei ihnen aber weder feste Altersgrenzen für den Ruhestand, noch könne nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass ein Unternehmer oder Freiberufler seine Tätigkeit im Regelrentenalter einstellt. Und hier sei der Kläger zum Unfallzeitpunkt bereits 68 gewesen und habe die Zahnarztpraxis weiter betrieben, wenngleich er bereits im Rentenbezug gestanden habe.
Allerdings: Bei der Prognose des ohne den Unfall erzielten Einkommens „kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass nach allgemeiner Erfahrung die Arbeitskraft ab einem gewissen Alter nachlässt“. Daher könne bei Selbstständigen, die über das gesetzliche Regelrentenalter hinaus arbeiten, eine Reduzierung der Tätigkeit einzubeziehen sein.
„Dabei entspricht es der Erfahrung, dass bei älteren Menschen die im Wirtschaftsleben erforderliche körperliche und geistige Beweglichkeit ab einem Alter von 70 Jahren selten noch (vollständig) vorhanden sein wird, beziehungsweise sie nicht mehr fähig und bereit sind, die erforderlichen Anstrengungen (in vollem Umfang) auf sich zu nehmen“, so das OLG.
Selbst, wenn also angenommen werden kann, dass er seine Tätigkeit ohne den Unfall auch 2021 noch ausgeübt hätte, „kann […] gleichwohl nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass er ohne den Unfall noch voll erwerbstätig gewesen wäre und Umsätze entsprechend denjenigen im Zeitraum 1.10.2011 bis 30.9.2014 erzielt hätte“.
Aus Sicht des OLG spielten noch weitere Aspekte mit. So habe der Dentist sich bereits seit 2018 um einen Verkauf der Praxis bemüht; seit 2019 habe er nur noch in geringem Umfang und seit 2020 keine Vertretungen durch andere Zahnärzte mehr in Anspruch genommen. Per 30. Juni 2021 habe er alle Mitarbeiter entlassen und führe die Praxis nur noch mit seiner Ehefrau in kleinem Umfang weiter.
Zudem beziehe der Mann bereits seit dem 65. Lebensjahr Rente. Für die Beibehaltung eines Lebensstandards erscheine eine (dauerhafte) volle Erwerbstätigkeit nicht nötig.
Folglich könne für die Berechnung des Schadens 2021 „nicht mit hinreichender Gewissheit angenommen werden“, dass er ohne Unfall weiterhin voll erwerbstätig gewesen wäre. Ebenso könne nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass ihm für Januar bis Mai 2021 ein über den zuerkannten Betrag hinausgehender unfallbedingter Erwerbsschaden entstanden wäre.
Auch mit dem – schon vom Landgericht abgewiesenen – Wunsch nach Ersatz des von ihm behaupteten Praxisminderwerts hatte der Kläger beim OLG keinen Erfolg.
Ein Schädiger müsse zwar den Mindererlös im Fall einer unfallbedingten Betriebsaufgabe ersetzen. „So liegt es hier aber nicht.“ Der Kläger habe die Praxis weder unfallbedingt aufgeben müssen noch bislang verkauft. Ohne Veräußerung habe sich ein etwaiger unfallbedingter Minderwert „somit noch nicht konkret und sichtbar ausgewirkt“.
Die „lediglich vorgestellte“ Vermögensminderung bilde für sich aber keine Grundlage für einen Anspruch. Dieser entstehe erst bei Veräußerung. Bis dahin bleibe der behauptete Praxisminderwert fiktiv. „Einen solchen fiktiven Schaden kann der Geschädigte indes nicht verlangen“, so das OLG.
Aber auch wenn der Anspruch damit bislang noch gar nicht entstanden ist: Das Landgericht habe die Klage dennoch „zutreffend als endgültig unbegründet abgewiesen“.
Nach der Methode, auf die sich der Zahnarzt zur Schadensbemessung stützt, sei für die Bestimmung des Unternehmenswerts der durchschnittliche Umsatz der letzten drei Jahre vor der Bewertung maßgeblich.
Da er die Praxis aber noch nicht veräußert hat, wären bei einer zukünftigen Veräußerung „die zeitnächsten drei Jahre vor dem Verkauf maßgeblich“, so dass die Umsätze bis inklusive 2021 keine Bedeutung mehr haben. Nach der Entlassung der Mitarbeiter sei nicht mehr davon auszugehen, dass die Umsätze ab 2022 geringer wären als jene, die er ohne Unfall erzielt hätte.
„Damit steht fest, dass sich ein unfallbedingter Praxisminderwert im Fall eines zukünftigen Verkaufs nicht manifestieren wird. Der Kläger wird in diesem Fall denjenigen Verkaufserlös erzielen können, den er auch ohne die unfallbedingte Beeinträchtigung seiner Erwerbstätigkeit erzielt hätte“, schloss das OLG.
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