Ifo Institut: Parteien ohne Idee zur Finanzierung ihrer kostspieligen Rentenpläne

20.1.2025 – Die Wahlprogramme von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und AfD lassen nicht erkennen, wie die darin geäußerten Versprechen zum Rentensystem finanziert werden sollen. Zu diesem Schluss kommt das Ifo Institut. Die Positionen seien offenkundig von dem Bemühen geprägt, mögliche Belastungen für die Generation der Rentner zu vermeiden.

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Die – teils noch vorläufigen – Wahlprogramme der Parteien zur vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 liegen auf dem Tisch (VersicherungsJournal 14.1.2025, 20.12.2024, 18.12.2024). Vollmundige Versprechen werden darin auch zum dringend reformbedürftigen Rentensystem gemacht. Doch wie sind die Ideen finanzierbar?

Dieser Frage sind die Professoren Dr. Joachim Ragnitz und Dr. Marcel Thum, beide von der Dresdener Niederlassung des Ifo Instituts – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V., nachgegangen.

In ihrem Beitrag „Zeitbombe Rentenversicherung – doch durchgreifende Reformen sind nicht in Sicht“ (PDF; 1,0 MB) für die Publikation Ifo Schnelldienst 1/2025 analysierten sie dazu die Papiere von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und AfD.

Künftig müssen etwas über zwei Beschäftigte einen Rentner finanzieren

Ihr Fazit: „Die bislang zumindest im Entwurf vorliegenden Wahlprogramme [...] lassen nicht erkennen, dass eine zukünftige Regierung, wie auch immer diese zusammengesetzt sein wird, die Probleme der Rentenfinanzierung in der kommenden Legislaturperiode wirklich angehen will.“

Dabei sei offenkundig, dass sich – insbesondere durch den Eintritt der Babyboomer ins Rentenalter – ein riesiger Finanzierungsbedarf auftue, der entschlossenes Handeln erfordere. Derzeit finanzieren drei Erwerbsfähige einen Rentner, zur Mitte des Jahrhunderts müssen etwas über zwei Personen im erwerbsfähigen Alter für eine Person im Rentenalter aufkommen.

„Wesentlich verändern lassen sich die demografischen Strukturen der 2030er- und 2040er-Jahre kaum mehr. Nur die dabei entstehenden Finanzierungslasten lassen sich etwas abmildern und gleichmäßiger über die Generationen verteilen“, schreiben die Wissenschaftler.

Lösungsvorschläge dafür, wie die (gesetzliche) Rentenversicherung zukunftsfest aufgestellt werden kann, gebe es genug, „nur sind sie alle für die eine oder die andere Wählergruppe unbequem und werden daher von der Politik umschifft“.

SPD überträgt die Kosten der Alterung ausschließlich auf die Beschäftigten

Zentrales Wahlversprechen der SPD sei ein dauerhaftes Rentenniveau von 48 Prozent, ohne die Lebensarbeitszeit verlängern und die Praxis des vorzeitigen, abschlagsfreien Renteneintritts beenden zu wollen. „Mit dem Vorschlag werden die Kosten der Alterung ausschließlich der erwerbsfähigen Generation auferlegt, die diese über höhere Beiträge oder Steuern zu tragen hat“, sagt Thum.

Laut Regierungsentwurf zum Rentenpaket II würde der Beitragssatz zur Rentenversicherung bei Umsetzung dieses Vorhabens bis 2045 um 1,5 Prozentpunkte stärker ansteigen auf dann 22,7 Prozent als bei Fortdauer des geltenden Rechts.

Aus dem Finanzierungsproblem der deutschen Rentenversicherung kann man nicht einfach herauswachsen.

Marcel Thum, Ifo-Niederlassung Dresden

Vorschläge der Union zur bAV und pAV bringen zu spät Entlastung

Nach einem Kurswechsel will nun auch die Union am Renteneintrittsalter von 67 Jahren und an der „Rente mit 63“ festhalten. Rentenniveau und Beitragssatz sollen durch Wirtschaftswachstum stabil gehalten werden.

„Durch allgemeine Produktivitäts- und Lohnsteigerungen steigen zwar die Beiträge, aber letztlich auch der Rentenwert und damit die Ausgaben. Aus dem Finanzierungsproblem der deutschen Rentenversicherung kann man daher nicht einfach herauswachsen“, kommentiert Thum die Pläne.

Die weiteren Vorschläge zur Stärkung von betrieblicher und privater Vorsorge, darunter ein staatlich gefördertes, kapitalgedecktes Altersvorsorgedepot für Kinder („Frühstart-Rente“), würden die Rentenkassen erst ab 2070 entlasten, „und dies auch nur, wenn man sich dann traut, das Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung parallel zurückzufahren“, heißt es im Aufsatz.

Eine Ausweitung der Rentenversicherungspflicht auf Beamte würde kurzfristig zu einer Doppelbelastung der öffentlichen Haushalte führen.

Joachim Ragnitz, Ifo-Niederlassung Dresden

Beim Bürgerfonds der Grünen liegt ein möglicher Zielkonflikt vor

Bündnis 90/Die Grünen sprechen sich ebenfalls für ein stabiles Rentenniveau sowie gegen ein höheres Renteneintrittsalter aus. Zudem sollen auch Beamte und Selbstständige künftig in die Rente einzahlen.

Ferner ist geplant, eine kapitalgedeckte Vorsorge in Form eines „Bürger*innenfonds“ einzuführen. Dieser soll primär in klimaschutzrelevante Vorhaben investieren. Seine Erträge sollen zur Aufstockung von kleinen und mittleren Renten verwendet werden. „Ein möglicher Zielkonflikt zwischen klimapolitischen und rentenpolitischen Zielen wird dabei nicht thematisiert“, schreiben die Wissenschaftler.

Zudem bleibe unklar, wie solch ein Fonds die kurzfristig zu erwartenden Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung beheben solle.

„Insbesondere eine Ausweitung der Rentenversicherungspflicht auf Beamte würde kurzfristig zu einer Doppelbelastung der öffentlichen Haushalte führen, die dann sowohl die laufenden Pensionszahlungen als auch die Beiträge für das aktive Personal zu schultern hätten“, sagt Ragnitz.

Vorschläge der AfD verschärfen das Finanzierungsproblem noch

Die AfD möchte das Rentenniveau mittelfristig sogar auf gut 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens erhöhen. Finanziert werden soll dies durch einen höheren steuerfinanzierten Bundeszuschuss. Politiker sollen künftig ebenfalls in die gesetzliche Rente einzahlen. Beitragssatzerhöhungen will man über Entlastungen bei der Einkommensteuer begegnen.

Die Vorschläge würden zu einer Umschichtung der Finanzierung der Rente führen und das Finanzierungsproblem durch die Rentenerhöhung sogar noch verschärfen, urteilen die Wissenschaftler. Der Effekt durch die Einbeziehung von Politikern in die Rentenversicherung sei darüber hinaus vernachlässigbar.

Jüngere Generation muss für Leistungsverbesserungen aufkommen

„Alle vier Positionen sind offenkundig von dem Bemühen geprägt, mögliche Belastungen für die Generation der Rentnerinnen und Rentner (beziehungsweise derjenigen, die bald in Rente gehen) zu vermeiden beziehungsweise im Falle der AfD-Vorschläge das Volumen der Rentenzahlungen gegenüber dem Status quo zu erhöhen“, wird festgestellt.

Politökonomisch sei dies verständlich, stelle diese Gruppe doch die Mehrheit der Wahlberechtigten dar. „Dass das sich kurzfristig verschärfende Finanzierungsproblem dann nur durch höhere Finanzierungsbeiträge der erwerbsaktiven Generation oder höhere Steuern gelöst werden kann, wird geflissentlich verschwiegen“, kritisieren Ragnitz und Thum.

„Dies ist zumindest unehrlich, denn ganz offenbar bleiben die Interessen der jüngeren Generation, die für Leistungsverbesserungen zugunsten der Rentnergeneration aufkommen muss, dabei systematisch unberücksichtigt.“

In Deutschland traut sich aktuell keine der großen Parteien an eine solche Reform heran.

Marcel Thum, Ifo-Niederlassung Dresden

Lebenserwartung und Inflationsentwicklung berücksichtigen

Das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung anzupassen, betrachten die Wissenschaftler als langfristig wirksamen Weg, die gesetzliche Rentenversicherung zu stabilisieren. So ließe sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern angesichts der demografischen Schieflage annähernd stabil halten.

Zudem sollte die Haltelinie für das Rentenniveau abgeschafft werden. Auch sollten die Renten künftig lediglich an die Inflationsentwicklung angeglichen werden, statt an die Zuwachsrate der Nettolöhne.

„Sowohl die Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung als auch die Inflationsindexierung der Renten sind Regelungen, die in anderen europäischen Ländern bereits erfolgreich eingeführt wurden. In Deutschland traut sich aktuell keine der großen Parteien an eine solche Reform heran“, sagt Thum.

Für die Babyboomergeneration sei es zu spät für den Aufbau eines kapitalgedeckten Zusatzsystems. „Individuelle Konten mit einem standardisierten und administrativ günstigen Portfolio können allerdings dazu dienen, weiteren Teilen der Bevölkerung, die sich bislang auf geringverzinsliche Spareinlagen beschränkten, Zugang zu Kapitalmarktanlagen zu eröffnen. Hier sollten die politischen Parteien die realistischen Ziele ihrer Politikpläne ehrlich kommunizieren“, heißt es abschließend im Beitrag.

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