10.2.2025 – Obwohl die Zahl der neu eingehenden Klagen vor Zivilgerichten in den vergangenen Jahren stark abgenommen hat, verzeichnen die 44 Rechtsschutzversicherer im GDV immer höhere Leistungsausgaben – knapp 3,6 Milliarden Euro allein im Jahr 2023. Zwar deutet die Schaden-Kosten-Quote von 92 Prozent auf Gewinne im Versicherungsgeschäft hin, doch die Anbieter beklagen steigende Kosten für Rechtsanwalts- und Gerichtsgebühren.
Die Deutschen streiten sich immer seltener vor Gericht: In den Jahren 2007 bis 2023 ist die Zahl der neu eingegangenen Zivilverfahren an den Gerichten nahezu stetig gesunken. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis).
Demnach sank die Zahl der neu eingegangenen Verfahren an den Amtsgerichten um knapp 38,8 Prozent auf 773.365. Die Neuzugänge an den Landgerichten gingen um knapp 19,4 Prozent auf 300.950 zurück.
„Betroffen sind nahezu alle Sachgebiete“, zitiert die Verlag C. H. Beck oHG eine Sprecherin des Bundesministeriums der Justiz.
Der Eingangsrückgang ziehe sich demnach durch alle Streitwertgruppen und betreffe alle Bundesländer – auch im Osten der Bundesrepublik. Laut Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen lässt sich bislang „keine eindeutige Erklärung für den Rückgang der Verfahrenszahlen“ finden.
Ursachenforschung betrieb auch ein Forschungskonsortium im Auftrag des Bundesjustizministeriums, das seinen Abschlussbericht 2023 übergeben hat. In diesem Rahmen wurden die Eingangszahlen statistisch näher untersucht, Gerichtsakten ausgewertet sowie ergänzende Daten bei Rechtsschutzversicherern und Schlichtungsstellen erhoben.
Außerdem befragte das Forschungsteam Betroffene, Anwälte und Richter nach ihren Erfahrungen.
Der Abschlussbericht benennt als wesentliche Gründe für den zu beobachtenden Rückgang:
Letztere haben einen starken Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit eines Gerichtsverfahrens: Sie steigt laut der Studie um fast die Hälfte, wenn der Kläger eine Rechtsschutzversicherung besitzt.
32,7 Prozent der Befragten, die in den vergangenen zehn Jahren mindestens einen Konflikt hatten, besaßen eine Rechtsschutzversicherung. Zum Vergleich: Bei den Befragten ohne Konflikt liegt der Anteil der Versicherten nur 20,4 Prozent. „Die Kausalitätskette lässt sich hierbei nicht nachvollziehen“, schreiben die Studienautoren.
„Vorstellbar ist jedoch, dass die Befragten durch den Konflikt sensibilisiert waren und daraufhin eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen haben. Es ist jedoch auch möglich, dass Rechtsschutzversicherte wissen, dass sie ein höheres Konfliktrisiko tragen und sich deshalb zum Abschluss einer Rechtsschutzversicherung entschlossen haben.“
Die Studienautoren nennen als Beispiel den realen Fall eines Betroffenen des Dieselskandals mit einem Streitwert von 18.000 Euro:
Der interviewte Autobesitzer hatte auf Anraten seines Anwalts eine Klage eingereicht und erhielt von der Gegenseite ein Kulanzangebot in Höhe von etwa 12.000 Euro als Gutschein, das er annahm. Ohne die Kostenübernahme durch seine Rechtsschutzversicherung hätte er die Klage nicht erhoben, weil er das finanzielle Risiko als zu hoch einschätzte.
Die Studiendaten zeigen auch, welche Kundengruppen häufig eine Rechtsschutzversicherung besitzen. Demnach sind es vor allem Erwerbstätige und Höherverdienende. Ebenso gaben Männer häufiger als Frauen an, eine solche Police zu besitzen.
Außerdem zeigte sich, dass der Anteil bei älteren Befragten höher ist als bei jüngeren und bei Menschen mit Migrationshintergrund seltener als bei Befragten ohne Migrationshintergrund.
Für die Anbieter verlief das Geschäft mit Rechtsschutzversicherungen zwischen 2005 und 2019 positiv: Der Bestand von Versicherungsverträgen stieg um 12,4 Prozent, was für die Studienautoren die Vermutung nahelegt, dass sich die Zahl möglicher Streitanlässe im Untersuchungszeitraum erhöht hat.
Das widerspricht jedoch den deutlich sinkenden Eingangszahlen bei den zivilgerichtlichen Amts- und Landgerichten in den vergangenen Jahren.
„Doch diesen Rückgang können wir in unseren Betrachtungen zur Rechtsschutzversicherung so nicht feststellen“, erklärt ein Sprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) auf Anfrage des VersicherungsJournals.
Hierzu präsentiert er einen Vergleich der Eingangszahlen bei den Amts- beziehungsweise Landgerichten mit den per Gerichtsverfahren erledigten Verfahren in der Rechtsschutzversicherung.
Um die unterschiedlichen Größenordnungen vergleichbar zu machen, sind die jeweiligen Daten indiziert. Hierbei zeigt sich einerseits, dass die Kurve der gerichtlich erledigten Verfahren in der Rechtsschutzversicherung seit 2010 ansteigt.
Andererseits nehmen die Zahlen der neu eingegangenen Verfahren vor den zivilgerichtlichen Amts- und Landgerichten im gleichen Zeitraum tendenziell ab.
„Auch wenn es hier sicher überlagernde Effekte – wie etwa den Dieselskandal – gibt, interpretieren wir diese Entwicklung dahingehend, dass die Rechtsverfolgungskosten für Verbraucherinnen und Verbraucher eine erhebliche Hürde für den Zugang zum Recht darstellen“, erklärt der GDV-Sprecher.
„Für nicht rechtsschutzversicherte Rechtsuchende kann sich diese Hürde sogar zum Rechtshindernis auswachsen.“ Das bestätigt der Abschlussbericht des Forschungskonsortiums, wonach sich jede oder jeder Zweite aus Furcht vor den Kosten beziehungsweise vor dem Kostenrisiko gegen ein Gerichtsverfahren entscheidet.
Die drohenden Kosten des Verfahrens waren ebenso für die befragten Anwälte in mehr als der Hälfte der Fälle ein wesentlicher Faktor. Sie sollten angeben, warum sich ihre Mandanten gegen eine Klage entschieden haben oder sie ihnen davon abgeraten haben.
Gleichzeitig seien die Kosten der Rechtsverfolgung in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, betont der Verbandssprecher. Diese Entwicklung zeigten die GDV-Daten zur Rechtsschutzversicherung auf. Sie seien aus seiner Sicht auch ein Indikator für die Kosten, die Verbraucher mit rechtlichem Beratungsbedarf oder bei juristischen Auseinandersetzungen zu tragen haben.
Der GDV-Kennzahl Schadendurchschnitt liegt demnach eine Vielzahl an Rechtsschutzfällen in alltäglichen Rechtsangelegenheiten zugrunde. Diese seien teilweise mit hohen Streit- und Gegenstandswerten sehr kostenintensiv.
Andere fallen mit nur geringen Streit- oder Gegenstandswerten hingegen weniger teuer für die aktuell 44 Rechtsschutzversicherer in dem deutschen Branchenverband aus.
Die Hintergründe für den relativ stetigen Kostenanstieg seien zum einen regelmäßige Erhöhungen der gesetzlichen Kosten. Erst am 31. Januar hat der Bundestag beschlossen (PDF, 990 KB), die Rechtsanwaltsvergütung und Gerichtskosten per Gesetz weiter zu erhöhen.
Hinzu kämen die Inflation sowie die Lohnkostenentwicklung, die sich auf die in der Mehrzahl der Fälle auf die für die Kostenbestimmung relevanten Streit- und Gegenstandswerte auswirken.
Deutlich werde die Problematik der Kostensteigerung anhand einer ebenfalls indizierten Gegenüberstellung von Schadendurchschnitt und Verbraucherpreisindex (VPI). „Demnach steigen die Rechtsverfolgungskosten deutlich stärker als die Inflation, die die Rechtssuchenden ja auch an anderer Stelle bereits trifft.“
Hierzu hat der Branchenverband im vergangenen Jahr typische Fallkonstellationen mit ihrer Entwicklung seit 2018 durchgerechnet.
Laut der GDV-Berechnung stiegen beispielsweise die Kosten im Fall Räumungsklage wegen Eigenbedarf seit dem Jahr 2018 um 40 Prozent auf nun 4.118 Euro.
Wenn sich eine Armbanduhr nach der Ersteigerung als gefälscht entpuppt, ist der anschließende Rechtsstreit mit 2.360 Euro inzwischen um 35 Prozent teurer geworden. Für die Rückabwicklung des Kaufvertrags eines defekten Neuwagens werden mit 10.474 Euro 26 Prozent mehr fällig.
Die Versicherer plädierten daher im Vorfeld für eine geringere Anhebung der Anwalts- und Gerichtsgebühren als vom früheren Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) geplant.
In einer Stellungnahme warnte der GDV, dass Anwalts- und Gerichtskosten schon jetzt für viele Menschen eine finanzielle Hürde bei der Durchsetzung ihres Rechtes seien. Betroffen seien vor allem Rechtssuchende ohne Rechtsschutzversicherung.
In Einzelbereichen setzen sich die Versicherer sogar für abgesenkte Gebühren ein. Denn aus GDV-Sicht sollten Effizienzgewinne und Kostenvorteile, die aus digitalisierten Abläufen und Arbeitsweisen gezogen werden, an die Rechtssuchenden weitergereicht werden.
Das gelte vor allem für Fälle der industriellen anwaltlichen Mandatsbearbeitung in sogenannten Massenverfahren, wie zum Beispiel im sogenannten Dieselskandal.
Insgesamt bearbeiten die Rechtsschutzversicherer jährlich rund 4,7 Millionen Fälle und wenden für diese gut 3,6 Milliarden Euro auf. Rund 80 Prozent davon entfallen auf Anwaltshonorare, die bereits vor vier Jahren um mehr als zehn Prozent erhöht worden sind.
Die Rechtsschutzversicherer rechneten demnach durch die eigentlich für 2024 geplante neunprozentige Gebührenanhebung mit einer Kostensteigerung von insgesamt sieben Prozent.
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